Lektorat, Programmplanung und Projektmanagement im Buchverlag. Michael Schickerling
außer Haus gegeben. Umso mehr müssen Lektoren oder Redakteure den Überblick über den gesamten Produktionsprozess behalten: Sie werden zu Produktmanagern, die über gute Kenntnisse der #Zielgruppe verfügen, kostenbewusst handeln und in enger Abstimmung mit Vertrieb und Marketing neue Projekte entwickeln – eben Bücher, manchmal auch Hörbücher, zunehmend auch #E-Books, #Apps, Online-Datenbanken oder andere Medien.
Dabei spielt auch eine Rolle, dass circa 65 Prozent der jährlichen Neuerscheinungen Non-Fiction-Titel sind.1 Diese werden anders als in der Belletristik häufig vom Schreibtisch aus konzipiert. So steht nicht allein der ›gute Text‹ im Vordergrund, sondern die Erwartungen einer Vielzahl von Interessengruppen: Leser, Medien, Buchhandel und Verlagsleitung.
Während Lektoren früher vor allem für die Inhalte ihrer Produkte verantwortlich waren, tragen sie heute oft Umsatz- oder Ergebnisverantwortung. Damit geht einher, dass Cheflektoren und Redaktionsleiter nicht mehr nur über das Programm entscheiden, sondern ihren Bereich als ein finanziell eigenständiges Profit-Center führen, das mit einem eigenen Budget ausgestattet ist und gewinnorientiert arbeiten soll. In gleichem Maß wächst der Erfolgsdruck auf jeden einzelnen Mitarbeiter.
Schaltzentrale Lektorat
In den Redaktionen der Verlage vollzieht sich eine immer stärkere Differenzierung des Berufsbilds: Der redigierende Lektor oder Copy-Editor ist für die termingerechte Projektabwicklung verantwortlich und arbeitet wie eh und je inhaltlich am Manuskript, während der akquirierende Lektor oder Acquisition-Editor neben der Autorengewinnung eher konzeptionelle Aufgaben übernimmt. So sind Lektoren und Redakteure nicht nur Fachleute für die Beurteilung und Bearbeitung von Texten, sondern vor allem die Schaltzentrale der Buchproduktion, in der alle Fäden zusammenlaufen: Bei der Projektakquise arbeiten sie mit #Autoren, #Herausgebern, #Literaturagenten sowie inund ausländischen Lizenzgebern zusammen. Gutachter helfen bei der fachlichen Beurteilung von Manuskripten. Diese entstehen in der Zusammenarbeit mit Autoren, Herausgebern, #Ghostwritern oder #Übersetzern. Freie Redakteure, Korrektoren oder Illustratoren bearbeiten das Manuskript. Grafiker und #Hersteller geben dem Werk eine Form. Vertrieb, Presse, Marketing und Social Media schließlich bringen das Buch in die Öffentlichkeit. Büchermachen ist also immer ein Teamspiel.
So koordiniert das Lektorat den gesamten Entstehungsprozess eines Buchs und ist von allen Beteiligten am besten über Inhalte, Autoren und Termine informiert. Damit ist es zentrale Anlaufstelle bei allen Fragen und Problemen – innerhalb des eigenen Verlags ebenso wie nach außen. Gesucht wird also weniger der philosophisch gebildete Schöngeist, sondern der multitaskingfähige Pragmatiker. Doch auch für diesen gilt, was der Soziologe Gerhard Schulze feststellte: »Im heißen Spektakel des Literaturbetriebs ist der Kopf des Lektors die einzige kühle Stelle. Illusionslos sieht er die Entbehrlichkeit der vielen Wörter, für die er mitverantwortlich ist.«2
Lektor oder Redakteur: Für viele ist das ein Traumberuf, der noch dazu als recht elitär gilt. Ein Beruf wie jeder andere ist es zweifelsohne nicht, denn Routine gibt es trotz standardisierter Abläufe selten. Jedes Buchprojekt verlangt, sich auf neue Inhalte und andere Menschen einzustellen. Wer sich darauf einlässt, tut dies mit Haut und Haaren: Geregelte Arbeitszeiten stehen oft nur auf dem Papier, denn das Arbeitsergebnis bemisst sich nicht nach geleisteten Stunden, sondern nach Qualität, Verkaufserfolg und pünktlichem Erscheinen der Produkte. Dass viele Veranstaltungen außerhalb der offiziellen Arbeitszeiten stattfinden, dass Autoren auch nach Feierabend oder am Wochenende ein offenes Ohr erwarten, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Gefragt ist also der Einsatz der ganzen Persönlichkeit, nicht nur des (unter-)bezahlten Lohnarbeiters. Der Dank für diese Mühen? Das Gehalt ist in anderen Branchen besser, und den Ruhm ernten die Autoren. Wer schnell viel Geld verdienen will und nicht damit zurechtkommt, vor allem im Hintergrund zu wirken, wird in diesem Beruf nicht glücklich. Alle anderen aber gewinnen nicht nur neue Einsichten, sondern vor allem spannende Kontakte zu vielen außergewöhnlichen Menschen.
Trotz dieser hohen Anforderungen gibt es für Lektoren und Redakteure in Buchverlagen weder eine einheitliche, geregelte Ausbildung noch klar vorgezeichnete Karrierewege. Für den Einstig üblich ist ein Studium mit anschließendem Praktikum oder Volontariat. Daneben gibt es weitere Möglichkeiten: eine Ausbildung für Medienkaufleute, ein Studium oder Aufbaustudium der Buch- oder Medienwissenschaften, ein Einstieg als Assistent, Lektor oder Redakteur. Wer den Beruf ausfüllen will, sollte eine gute Allgemeinbildung und ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium mitbringen, für die Tätigkeit in einem Fachverlag vielleicht sogar promoviert sein oder über Berufserfahrung verfügen.
Gefordert sind zudem Veränderungsbereitschaft und Experimentierfreude, um die Möglichkeiten der neuen Medien zu erkennen und zu nutzen. Denn die Verlagsbranche steckt in einem gewaltigen Umbruch, der viele bekannte Geschäftsmodelle revolutioniert und neue Chancen eröffnet – und für Anbieter, die mit dem notwendigen Strukturwandel nicht Schritt halten können oder wollen, krisenhafte Züge annimmt. Für Lektoren und Redakteure in nahezu allen Verlagen bedeutet das: Sie werden in Zukunft nicht allein Bücher machen, sondern Inhalte so aufbereiten, dass sie online via Internet, mobil als App beziehungsweise E-Book oder weiterhin ganz klassisch in gedruckter Form verfügbar sind.
Checkliste: Verlegerische Talente
• Leselust, denn Lesen ist Ausgangs-, Ziel- und Mittelpunkt des Berufs.
• Neugier, um sich immer wieder auf neue Menschen einzulassen, in neue Themen einzuarbeiten und permanent weiterzubilden.
• Kommunikationstalent, um auch in heiklen Situationen mit eigenwilligen Menschen zurechtzukommen und um andere für die eigenen Ideen zu gewinnen.
• Überzeugungsfähigkeit und Durchsetzungsstärke, um bei unterschiedlichen Interessen keinen faulen Kompromiss, sondern die beste Lösung zu erzielen.
• Organisationstalent, um bei allen Projekten den Überblick zu behalten und diese termingerecht abzuschließen.
• Marktorientierung, um Trends und Leserinteressen zu erkennen, neue Autoren zu finden und den in- und ausländischen Buchmarkt im Blick zu behalten.
• Urteilsvermögen, um Projektangebote sicher zu bewerten und Manuskripte zielgruppengerecht zu bearbeiten.
• Sprachgefühl und Sprachkenntnisse für den souveränen Umgang mit der deutschen und englischen Sprache sowie nach Bedarf mit weiteren Fremdsprachen.
• Redaktionskenntnisse, damit aus Manuskripten druckreife Bücher werden.
• Herstellungskenntnisse, um Gestaltungsfragen kompetent zu beurteilen und um zu wissen, was technisch machbar und sinnvoll ist.
• Zahlenverständnis, um den richtigen Ladenpreis zu finden und die Kosten unter Kontrolle zu halten.
Viele Fähigkeiten und Kenntnisse, die vielleicht fehlen, wachsen mit der Erfahrung oder lassen sich in berufspraktischen Seminaren erwerben. Das geschieht zum Beispiel am Mediacampus Frankfurt (www.mediacampus-frankfurt.de), an der Akademie der Deutschen Medien (www.medien-akademie.de), bei den Landesverbänden des Börsenvereins (www.fortbildung-verlag.com), am Mediakolleg des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels (www.mediakolleg.at) oder beim Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband (www.sbvv.ch). Darüber hinaus sind Fachbücher zur beruflichen Weiterbildung ebenso nützlich wie die regelmäßige Lektüre der Branchenmedien.
Lektoren und Redakteure sind während der ersten Berufsjahre überwiegend mit der Abwicklung