Rosa, die schöne Schutzmannsfrau. Salomo Friedländer
zu sein schien, drohte zu versagen. Und die obenerwähnten Herrschaften begannen sich durch ein langsames Training auf die alte Gesundheit zurückzuschrauben. Ein paar kränkelnde Monarchen hetzten ihre Polizei auf die G. m. b. H... Kurzum, Krendelen sah den Zeitpunkt heranrücken, an dem seine große Tat wirkungslos zunichte werden sollte. Nochmals hielt er in seinem Laboratorium eine Stunde der tiefsten Einkehr und Versenkung in sich selber. Dann hieb er sich mit der Faust auf den Schädel, daß er ihm dröhnte.
Sogleich ging er an die Arbeit. Er präparierte eine große Menge des von ihm erfundenen luftreinigenden Stoffes Atoxomyolyomulpollambixohoptotachylamolinovolmanombosusilotanbolinoxylpyramidolinoferosambulonolasinolins.
Den brauchte er jetzt nur durch ein elektrisches Verfahren zur Verdampfung zu bringen – und die Erdatmosphäre war nur noch für Kerngesunde atembar geworden. So machte er denn sein Herz stählern gegen alle auflösende Weichmut, und am Donnerstag vollzog er das Schicksal, zu dem er nun einmal ausersehen war – als der große Vakuumreiniger der Lebendigen.
Bereits Freitag Nacht wüteten Seuchen schrecklich dezimierend auf der gesamten Erdoberfläche. Herr v. d. K. hielt sich nur durch die Macht seines Gedankens aufrecht und mußte trotz allem über das große Sterben lächeln. Er wußte, was niemand wußte: daß die Seuche das anzeigende Symptom ihres noch latenten Gegenteils war; und daß dieses jetzt, von ihm heraufbeschworen, sich endlich leuchtend genug offenbaren werde. Außerdem verbrannten die Leichen in der prächtigen Luft – es war Vorfrühling – ohne allen Verwesungsgestank.
Oho! Nichts mehr von etwelchem faulen Rest. Sondern sieghaft wurde alles bald vertrieben und überduftet von der jungen Reinheit, welche jetzt förmlich eklatierte! Und merkwürdig, während die sog. Normalen, der «gesunde Durchschnitt» aller Orten rasch krepierte, korrigierten sich die Extreme, die Überstumpfen, die Überzarten, die Blöden und die Hypersensiblen zu einem ganz anderen Durchschnitt von ungemeiner Strenge und Präzision, wie wenn in ihre Leiber Mathematik und Musik gefahren wäre: sie paßten und stimmten plötzlich zur Natur; wogegen die Früheren sich wie zufällig in ihr ausgenommen hatten. Die allerersten, die buchstäblich aufatmeten, waren Frauen und Kinder, die Jugend überhaupt. Ferner trat bereits am Sonnabend eine sichtliche Verjüngung aller Greise ein. Was in der Vollkraft der mittleren Jahre gewesen war, ging aber dahin. Und es formte sich aus Kindheit und Greisentum eine ganz neue wie überirdische Jugend. Von Krendelens Familie florierte nur noch seine Schwester Margrith; Eltern und Amme waren unter den ersten Toten – juhu! Beim besten Willen, die Toten zu beklagen, mußte man doch lachen und frohlocken, weil die ganze Natur ein Feiergewand anzuziehen begonnen hatte; und weil die Menschen das feierlichste und festlichste geworden waren: weil sie viel festlicher und lieblicher wirkten als früher die Blüten. Und sonderbar, durch die strahlende Reinheit der Luft sah auch alles ätherischer aus: irdischer! Das Licht schien lichter. Man sah wohl, wie sehr die Erde an ihrer schlechten Luft gelitten hatte. Alles tat seine tieferen Atemzüge, und das Antlitz der Natur geriet in ein immer innigeres Lächeln – bis daß es am 27. März 1932 lachte: da nämlich tat die Natur ihren Freudensprung! Und Krendelens Operation war gelungen. Als das letzte peinliche Erdenrestchen aus der Atmosphäre getilgt war – dank Krendelens Kathartikon –, geschah es, daß die ganze Erde einen goldenen Klang tat wie ein gedrückter Ball, der sich, frei gegeben, rundet: jetzt erst schien alles zu stehen und zu dauern. Krendelen wußte in diesem Augenblick, der auch sein eigenes Herz richtig einstellte, daß das ganze vormalige Erdbebengeknurr und -gebrumm nur den schwer ächzenden Willen ausgedrückt hatte, richtig zu werden.
Am 28. cr. blieb die Sonne stehen – und alle Leute spürten das Erdgewicht als etwas frei Beherrschbares in den eigenen Gliedern, so daß sie mit der Erde um die Sonne spielten wie sie wollten; und in ihrem Willen war von selbst ein Unisono. So setzten sich, als der Frühling sich vom Winter getrennt hatte, und die Jahreszeit ebenfalls selbständig geworden war, auch Sterben und Werden wie Schlafen und Wachen sauber auseinander und verunreinigten nicht mehr ihren Mittelstand, so daß in jeder Beziehung das Aus und Ein exakt funktionierte, und alles und alle jetzt wußten, wo aus und wo ein.
Aber das allerbeste: an Stelle des Todes war das aus- und einatmende, zusammenhängende, nicht mehr unterbrochene Leben getreten; das Sterben hatte sich mit dem Werden jetzt lebendig und leibhaftig verständigt. Und nun vergaß alle Welt das vorige – und Krendelen vergaß es auch, so daß er nicht einmal berühmt wurde! In dieser einen Hinsicht war es vormals herrlicher.
Von der Wolke, welche so gern geregnet hätte
Ach! Wie zufrieden war die Welt. Gelber Sonnenschein lag wie Eiersauce überall ausgegossen. Die Kühe grasten, der Himmel war ein einziges breites Lachen. Eine Menge Rosenlauben plauderten mit der leichten Luft ins Gelage hinein. Greise wandelten mit sanften grauen Köpfen. Alte Frauen falteten die Hände überm Schoß und saßen da, wie aus Lebkuchenteig gebacken. Und ein ganz kleines, unschuldiges Kind nieste in einer so allerliebsten Weise, daß ein Huhn in die Höhe flog und nervös zu gackern begann, alles war im Einklang, selbst ein Trunkener, der hin und her torkelte, wirkte so verzeihlich, so glücklich, so idyllisch, daß ohne ihn an allem noch das Beste gefehlt hätte.
Da zog hinterm Berge leise und langsam, wie sich selber besinnend und halb zögernd, von einem zahmen Winde getrieben, eine lose hellgraue Wolke auf. Sie warf ihren matten Schatten über alle die fröhlichen Dinge unmerklich mißmutig hin, und mit diesem Schatten dachte sie selbst über das ganze Glück dieser schönen Gegend nach. Ihre Gedanken liefen aber alle darauf hinaus: Wo könnte ich am passendsten niedergehen? Mit gleichgültiger Trauer in ihrem suchenden Blick streifte sie über alles weg; der Wind stieß sie aufreizend an und blies in ihre hohlen Ohren: hier, hier, hier! Aber sie ließ sich nicht beirren, sondern suchte, suchte. Selten gab es eine so zweifelnde, so überaus gewissenhaft abwägende Wolke. Soll ich oder soll ich nicht, schwankte sie fortwährend und wurde bald dünner, bald dichter. Unten streckte Rentner Lebehoch seine kluge Hand aus und rief dem Bäcker Dudelsack mit wohlsituierter Stimme zu: Herr Nachbar, das gibt keinen Zuckerguß. Die Wolke versuchte, wie man an ihrem Schatten merkte, flüchtig zu lächeln; sie putzte gerade der Sonne die herrliche Nase; wobei die Sonne mit den Augen blinzte, so daß die ganze Gegend mit einem Male aussah, wie wenn sie einen geistreichen Einfall hätte; bald darauf war sie wieder glücklich wie das Schlaraffenland. Nur unglücklich fühlte sich die Wolke mit ihrem zaudernden Willen, niederzuregnen. Eine nachdenkliche Wolke ist sehr selten. Das ganze Geheimnis, zu regnen, besteht ja eben bloß darin, daß man resolut, so stark man gerade kann, niederregnet, ohne sich – das ist die Hauptsache! – aus der Wirkung auf das zu Beregnende etwas anderes zu machen als eine lustige Kurzweil oder einen lustigen Zorn. Gekitzelt wurde wohl die Wolke zu jenem, gestachelt zu diesem; aber mit ihrem Schatten alles Untere zart berührend und prüfend, erhielt sie sich in ihrem grämlichen Gleichgewicht. Weder die glatten, schimmernden Rücken der Kühe, die sie sanft mit ihrem Dämmer streichelte, noch das kleine Kindchen im Wagen, dem sie die helle Stirn ein wenig trübte, noch Pastor Blotegel, der stets ein wahrer Festschmaus für hungrige Wolken war, lockten sie zur Auflösung. Sondern, angesteckt vom allgemeinen Frieden, begann die Wolke sentimental zu werden: sie genoß und sog in sich ein dieses ganze Idyllische allenthalben und empfand als den einzigen Störenfried allein nur sich. Sie sah die Kuh Klaudine und erschrak bei dem bloßen Gedanken, diesem ehrwürdigen Tier die Douche geben zu sollen. Der Wind, der Mephistopheles der Wolken, war außer sich: Gemüt bei einer Wolke, zischelte er, ist wie Käse in Form eines Maiglöckchens. Die arme Wolke wurde düster und ließ aus Zerstreutheit dem Blotegel einen Tropfen auf die Nase fallen, so daß dieser aufsah und salbungsvoll sprach:
«Oh himmlisches Naß, verschone noch deinen Diener, bis daß er den Fußsteig über den Bach zu seinem Hause zurückgelegt!»
Sie ließ ihn hinübergehen und stand eine Weile still, ein kleiner Blitz fuhr in ihr Auge und verschwand, sanftmütig setzte sie ihren trostlosen Weg fort. Man glaubt ja immer, die Sonne kümmere sich um nichts und lasse ihr Licht leuchten, ohne sich viel Gedanken darüber zu machen, wohin es falle. Das ist Aberglaube. Zum Beispiel die Wolken kennt die Sonne alle beim Namen. Wie oft macht sie sich ein Vergnügen daraus, sie an den Haaren zu sich emporzuheben, sie zu küssen, um sich an ihrem Naß den Durst zu löschen und sie dann wieder loszulassen. Die Sonne, die sich heute besonders wohl fühlte, faßte die Wolke zart an, aber durch diese ging ein Schauern, sie schmiegte sich dicht an sie an und bat: