Rosa, die schöne Schutzmannsfrau. Salomo Friedländer

Rosa, die schöne Schutzmannsfrau - Salomo Friedländer


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      Wigwamglanz, der stolze Indianer

      Die Berge drohten am dunklen Horizont, wie wenn eine Urweltartillerie aufgefahren wäre. Der Fluß rauschte breit und dämmerig, an seinen Ufern starrten die Gebüsche wie finstre Geister; ein Plätschern ward hörbar, ein Bleiches erschien im Wasser – das war die weiße Squaw.

      Wigwamglanz, der stolze Indianer, bestieg weit hinten in der Ferne sein schmales Kanoe und trieb nun dahin, gerade auf die Stelle zu, wo die weiße Squaw badete; sein feines nervöses Lächeln war keinem Auge sichtbar; der Tag erst plaudert die Geheimnisse der Nacht aus. Aber beide, das junge bleiche Weib und der stolze kerngesunde Indianer witterten die gegenseitige Nähe. Dem Weibe war es, als ob das Wasser seine Haut mehr erwärmte, und der Indianer dachte urplötzlich an den Großen Geist seiner Urwälder. Das Weib schwamm lautlos auf dem Rücken: Wigwamglanz und sein Kanoe waren wie Schatten; keines verriet sich dem anderen, doch spürte jedes eine süße Gefahr. Da war es dem Indianer, wie wenn das Wasser ihn lockte, zu sich rief: er entledigte sich seines Federschmucks und seiner Mokassins und glitt ohne Ton in die nächtige Flut. Jetzt schwammen die beiden Leiber dicht im selben Element, ohne sich zu hören, zu berühren, aber mit einer Empfindung und Ahnung ihres Zusammenhangs und zugleich mit der rätselhaften Absicht, ihn zu vergessen, zu vermeiden. Es liegt im Wesen der Natur, die Katastrophe stets in Bereitschaft zu haben, selten zu betätigen. So nun waren auch hier von der Katastrophe des Geschlechts alle Dinge durchtränkt. Wie drohte das Gebirg! Wie schwer und liebend atmete die sehnsüchtige Luft! Wie geisterhaft verlangend standen die Gebüsche; das Wasser aber sang unhörbar ein wahnsinniges Lied, aus dem der Indianer den Reim von Skalp auf Leidenschaft heraushörte, sein Lächeln ward noch feiner, noch nervöser, er reckte seinen Hals, seine ganze Gestalt in einem irren Wunsch nach Blut und Zärtlichkeit. Über allem verschwieg der Nachthimmel ein lächerlich leicht lösbares Geheimnis.

      Wigwamglanz der Stolze beherrschte spöttisch seine eigne Aufregung, er sah ihr zu, gleich wie er, gemartert, den Regen der Pfeile und Schmerzen höhnisch erlitten hätte! Dieser Stolz verhinderte ihn, die weiße Squaw anders als bloß mit den schwachen und heißen Fingern der gewissesten Ahnung zu betasten. Denn jetzt hatte die weiße Squaw ihn entdeckt: «es ist Wigwamglanz», murmelte das Weib in sich hinein, die süßeste Angstpein durchdrang sie, sie kannte ihn und seinen Stolz. Ihr Wunsch kämpfte mit ihrer Furcht; aber sie beschloß, den Stolzen zu demütigen. Lautlos schwamm sie zum Ufer, ergriff mit der einen Hand ihren geladenen Revolver, nahm ihre Kleider unter den Arm und trieb still wie ein gelähmter Schwan nach dem Kanoe; in dieses legte sie ihr Kleiderbündel nieder und erreichte wieder das Ufer. Dort schoß sie den Revolver ab und verschwand.

      Wigwamglanz sprang wie ein geflügelter Fisch in sein Kanoe und schoß stromabwärts dahin. Er lächelte nicht mehr, der Stolz überzog sein Antlitz mit einer ehernen Maske, sein Herz arbeitete gegen den Aufruhr seiner Gefühle, aber ein wütender Kriegsschrei drang dennoch aus seiner Kehle, seinem Willen zum Trotz; ein silbernes Echo lachte aus der Ferne, und dieser kaum wahrnehmbare Hall stürzte seinen Stolz in eine unbegreifliche tiefe Scham; sein Stolz wurde so fraglich, seine ganze Haltung erschüttert. «Weiße Squaw?» murmelte er sanft und zürnend.

      Aber herrlich und herrlicher rollte der Morgen herauf, und beim ersten zagen Strahle hielt Wigwamglanz ein weiches Bündel in der Hand, aus dem ein rosa Strumpfband ins Wasser fiel – wie reizend ward es geschaukelt. Wigwamglanz warf ihm das ganze Bündel nach; der Stolze hob sein Haupt zur Sonne, und in seine Augen kamen Tränen...

      Das Weihnachtsfest des alten Schauspielers Nesselgrün

      Am 21. August 1910 wurde der bejahrte Schauspieler Giselher Nesselgrün so sentimental, wie er es sonst nur Weihnachten war, und mit einer von der Theatromanie begünstigten Einbildungskraft versetzte er sich in eine so festliche Stimmung, daß er beim Gärtner ein Tannenbäumchen erstand und alles irgend Nötige zur Ausschmückung und gehörigen Bescherung einkaufte. «Das ist doch geradezu lächerlich», knurrte er, «die Feste zu feiern wie sie fallen! Die Natur ist nur eine Art unbequemes Theater mit unübersehbarer Regie – ach! und mit lumpiger Gage. Corrigeons la nature!» Gegen Abend entzündete Nesselgrün die ganze Pracht, sein Phonograph ließ einen herrlichen Choral ertönen. Der alte Herr schellte, seine Wirtin kam und geriet über das Ungewöhnliche in einige Besorgnis. «Ihre Kinderchen, bitte!» rief der alte Herr. «Ja, aber Herr Nesselgrün, mit Weihnachten hat es doch noch Zeit – fühlen Sie sich wohl?» – «Ich danke, Frau Julke; also bitte, die Kinder!» Die Kinder erschienen, von Frau Julke ängstlich behütet, zwei Buben, ein noch ganz kleines Mädchen. Sie brachen in ein gräßliches Halloh aus, als im Moment ein kleines Tischfeuerwerk losprasselte und abbrannte. Frau Julke seufzte und fuhr mit der Hand nach dem Herzen. Dann sagte sie: «Mir freut es gewiß, Herr Nesselgrün, wenn Sie meine Kinders so’ne Überraschung machen – das muß ich Sie aber doch sagen: so alt als wie ich geworden bin» –

      «Julke!» unterbrach sie der alte Herr streng, «Sie verstehen nichts von Regie, und Ihr Kaffee schmeckt wie Langeweile mit Ekel drin – jehn Sie hinter die Kulisse, das rate ich Ihnen!» Die Kinder weinten, Frau Julke riß sie aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. «Eine schlimme Weihnacht», brummte Giselher. Er sah aus dem Fenster, weil es ihm unten nicht geheuer schien. Eine Menge Menschen starrten zu ihm hinauf, unter ihnen stand Frau Julke, gestikulierte stark und hielt eine Rede. Die Leute lachten und johlten. Giselher stellte den Phonographen ins Fenster. «Stille Nacht, heilige Nacht» ertönte es in den Lärm hinein. Die Leute führten jetzt vor Vergnügen wahre Veitstänze auf. Nesselgrün wurde wütend: «Das Spiel ist vortrefflich», schrie er hinunter, «die Regie bewährt sich vollkommen. Daß das Publikum aus der Rolle fällt und den dürftigen prosaischen Umstand, daß heute außerhalb unseres Spiels Ende August ist, nicht vergißt» – mit eins entstand unten tiefe Stille, alles hielt den Atem an, unwillkürlich gefesselt – «daß das Publikum», fuhr Nesselgrün ingrimmig fort, «nicht so viel Illusionskraft hat, sich im Sommer den Winter vorzustellen, kommt mir bedenklich vor. Es ist ein Mangel an künstlerischer Kraft. Müßt ihr immer erst ins Theater gehen, Leute, oder auf Traum und Fastnacht, auf Rausch und Irrsinn warten, ehe ihr so kühn werdet, die Natur zu dirigieren? Ist nicht Weihnachten ein so schönes, erquickliches Fest, daß man es mindestens einmal in jedem Monat feiern sollte? Glaubt mir altem, ausgedienten Manne!» Damit schleuderte er Konfetti und künstlichen Schnee auf die Straße, und in einem Nu steckte er das kindliche Volk mit seiner Begeisterung an. Die allezeit zu Scherz, Fest und Freude aufgelegte Jugend riß die Eltern mit sich fort. Alle Gärtnerläden wurden geplündert. Bald flammten Lichtbäume an allen Fenstern; man sang heilige Lieder. Der kleine Ort war die ganze Nacht hindurch voller Fröhlichkeit. «Es ist der schönste Erfolg, den jemals ein Schauspieler errungen hat!» seufzte Nesselgrün. «Da leben sie nun, ganz in meine Illusion gehüllt. Ach! aber wer andere hineinversetzen will, darf selber nicht darin sein.» Er zog seinen Schlafrock eng um seine alten Glieder. «Frau Julke!» brüllte er. Die Frau steckte ihre Nase durch die Tür. «Welches Datum haben wir heute?» – «Außerhalb oder sonstwo?» replizierte die Julke. Nesselgrün lachte: «Sehen Sie, Frau Julke», belehrte er sie, «dem Theater gegenüber muß man vorsichtig sein. Wäre die Regie noch besser gewesen, dann hätte es heute auch außerhalb geschneit.» «Oh, du mein Gott», jammerte die Julke, «Sie machen alle Welt verrückt. Einen vons Theater nehme ich nie wieder!»

      Der Schutzmannshelm als Mausefalle

      Was ein Kolibri ist, werden so ziemlich alle gebildeten, ungebildeten und halbgebildeten Vernunftbesitzer wissen: ein schönes Vögelchen mit einem sehr langen graziösen Schwanz, der beim Fluge wie ein gefiederter bunter Blitz durch die Luft sirrt. (Hä, wie gemein ist diese gezierte Ausdrucksweise!) Aber wirklich, der Kolibri ist ein so allerliebst niedliches Tierchen, von der Natur so konfitürenmäßig entzückend ausersonnen, daß alle Literatur ihm einfach übel nachhinkt – nein, die Literatur ist kein Kolibri; sie ist weit, weit eher eine Verbalinjurie, an der ganzen lieben Welt begangen. Unser Kolibri schillerte magisch in Grün, Blau und Purpur, war klein wie das Auge eines Wasserköpfchens, hieß Pilili, gehörte Herrn Heinrich Bröhle (vorm. Zweischurz & Schwabbe), war der Liebling von jung und alt. Ja, das war einmal eine reiche Familie! Können Sie sich vielleicht einen Kolibri halten, teure Mynona? Können Sie sich überhaupt etwas halten?– nicht einmal eine Zeitung. Bröhles hielten alles


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