Rosa, die schöne Schutzmannsfrau. Salomo Friedländer

Rosa, die schöne Schutzmannsfrau - Salomo Friedländer


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spielte. Zu spuken, zu gespenstern ist für Tote freilich Kinderspiel, fällt aber auch so schwach aus, daß fast kein Lebender was davon merkt; und merkt einer was, zum Beispiel die Amme Lehmann oder das Pferd Sirius, so glauben es ihm wieder bloß Ammen und Pferde. Das ist ja die Tragödie des Wunderbaren, daß es vom Gewöhnlichen ersehnt, aber nie erlebt werden kann! Um von ihm erlebt zu werden, muß es ihm gleichen, aber dadurch wird es unauffällig.

      Das bißchen Stutzen der Ammen und Pferde kann Gespenster nicht über den Stumpfsinn der allermeisten trösten. Daher eben strengen moderne Gespenster sich viel mehr an – bis zur völligen Mimicry und Ununterscheidbarkeit vom Leben. Ja, es gibt einen äußerst merkwürdigen Ausspruch eines Gespenstes, das wegen dieser Indiskretion seine ganze Beliebtheit bei den Kommilitonen eingebüßt hat. Es ließ nämlich durchblicken, daß man unfreiwillig bis zur greifbaren Illusion spuken könne; und daß vielleicht – (man lächle ob dieses diplomatischen Vielleichts!) – also daß vielleicht alle tot wären, weil sie es würden!! Es ist nichts peinlicher, als wenn Tote aus der Schule plaudern. – Der allerböseste Streich von Terrs war, daß er ein argloses Mädchen in sich verliebt zu machen verstand, bis es ihm blindlings in seine bel étage folgte. Liebe ist bekanntlich für tote Leute der feinste Leckerbissen. Sie haben Kreuze gern, Kränze gern, Gebetlein gern; überhaupt alle Gräber- Annehmlichkeiten, welche die Lebendigen ihnen gönnen – aber von Terr gehörte zu den anspruchsvollen Toten, die ein echtes Furioso der Liebe verlangen, und so freute er sich, daß Fräulein Pietsch ihm bevorstand. Er nahm sie also mit sich, und wie verstellte Kadaver nun mal sind, überbot er sich dermaßen in Galanterien, daß er sich im Vorsaal bereits wieder Skelett werden fühlte: gibt es zur Liebe etwas Ungeeigneteres als ein Knochengerüst? Aber die Liebe tut ja Wunder, bis in das Rückgrat hinein – wie hätte sie nicht hier, wo sie es so leicht hatte, eins zeitigen sollen! Die Pietsch rühmte Herrn von Terrs feste Gebeine, ihr war aber nicht allzu wohl dabei. Endlich riet sie ihm, sich besser zu pflegen, sie empfahl ihm eine Mastkur; sie war der ahnungsloseste Engel, in Armen ruhend, die sich merklich verknöcherten. Da seufzte von Terr auf und lispelte ihr ins Ohr:

      «Ist nicht ein Skelett das wahre Filigran der Zärtlichkeit? Ist nicht die Plastik das hemmendste Hindernis der Vereinigung? Entzückend ist der Kuß zweier Schädel ohne diese garstige Einschaltung der widerlich fleischernen Lippen. Ach mein Kind, diese Maske aus rinnendem und geronnenem Blut von den Knochen werfen zu können – ist das nicht der Triumph der Liebe? Tod ist nackte Wollust!» Während er so dozierte, wo er entschieden der Pietsch anders hätte dienen sollen, tat er mehr und mehr, was er sagte: man stelle sich gefälligst die Gefühle der Pietsch vor, als sie sich die Braut eines Gerippes erkennen mußte –! Sie stieß... das heißt sie wollte einen jener entsetzlichen Schreie ausstoßen, wie er kunstgerecht von enttäuschten Jungfrauen fabriziert zu werden pflegt; aber erstlich erstickte ihr die Stimme in der Kehle, sodann gab ihr Entsetzen dem Heuchler neue Verstellungskräfte, und ihr ganz passabler schlanker Kavalier von vorhin fragte, was ihr sei, und verbat sich energisch alle Hysterie. Die Pietsch erholte sich mühsam, sie stöhnte und sprach etwas von Alpdruck und dergleichen. «Was reden Sie auch für törichtes Zeug», schalt sie mit schüchterner Schelmerei, «ich bin so wahnsinnig suggestibel, ich sah Sie wahrhaftig einen Augenblick lang als Schädel – puhhh!»

      «Na? Und das hätte Sie wohl gestört? Wie?» erkundigte sich von Terr malitiös genug, und mit dem Mut zur furchtbarsten Deutlichkeit vollzog er blitzschnell die praktische Osteologie, um sofort wieder der hagere Amoroso zu sein. Jetzt hatte die Pietsch gar keine Zeit gehabt, sich sonderlich zu entsetzen, sie war dermaßen – wie sagt man? – paff, daß sie regungslos erstarrte, und zwar in der komischsten Pose von der Welt, mit zum Kuß gespitzten Lippen, dabei lauter Grausen in den Mienen. Von Terr gab sich weiter keine Mühe mit ihr und sich, er lüftete permanent sein beinernes Inkognito, erfaßte ihre Hand und röchelte klappernd:

      «Schau ich nicht Aug in Auge dir?

      «Und drängt nicht alles nach Herz und Busen dir?

      «Und webt, in ewigem Geheimnis, unsichtbar, sichtbar neben dir?»

      Da gab das Herz der Pietsch die zurückgetretenen Blutwellen langsam zurück, das brennende Rot weiblicher Empörung drang in ihre Kreidewangen:

      «Ich bin das Opfer eines Elenden geworden», zeterte sie halbohnmächtig. In leichtestem Kostüm begab sie sich zu ihrer Mama. Schweigsam ging sie ihren Pflichten nach. Selbst Mama erhielt auf tausend leicht begreifliche Fragen keine Antwort, und von Terr wären alle Unannehmlichkeiten erspart geblieben – wenn nicht... wenn die Pietsch nicht nach knapp dreiviertel Jahren einem kleinen Tode das Leben gegeben hätte, der vom Vater ganz gewiß mindestens die Statur hatte! Ja, da brach sie ihr rätselhaftes Schweigen, und von Terr, auf Alimentierung verklagt, zuckte reuig seine anspruchslosen Achseln; es floß auch ein bißchen Rhetorik über seine dürren Kiefern.

      «So rächt sich jede Ehrlichkeit in der Liebe und im Leben; jede Minute, wo man sich kein Fleisch auf die Knochen lügt, jede Nacktheit wird sofort mit dem Tode gebüßt, und gerade das unverstellteste Leben ist ein totgeborenes Kind.»

      Die alte Witwe

      Der Spaß bestand in nichts Geringerem, als daß endlich eine freundliche alte Witwe auf den Einfall gekommen war, sich wieder zu verheiraten. Wie es die Art alter Frauen nun einmal ist, so griff sie nachdenklich in die Dose und begann zu schnupfen. Da sie nachgerade ins Niesen geriet, wurde ihr der Kopf hell und sie sprach zu sich selber: «Anna!» und als wenn sie nicht zugehört hätte, betonte sie lauter: «Anna, Anna!» Jeder wird ihr gewiß recht geben. Sich selber laut beim Namen zu nennen, wenn man einen Gedanken hat, der unser Leben höllisch revolutioniert, ist gar ein deutliches Zeichen von Tiefsinn.

      Die Witwe – Handschuhnummer 8!! – zog ihr Taschentuch, schneuzte sich, daß es klang wie eine morsche Turmglocke, schluchzte auf und weinte sich wieder jung. In diesem zivilisierten Zustande holperte sie auf die Straße und ging zu einem mäßigen Junggesellen, der ihr Nachbar war und dem sie gern zu verstehen geben wollte, was eine Harke ist. Es war nicht allzu leicht, indem dieser Nachbar besonders prophylaktisch veranlagt war. Aber wenn erst ’ne olle Wittib –

      «Guten Abend!»

      «Guten Abend!»

      Hierauf verfuhr die infame Witwe resolut. Sie setzte sich hageldicht an den Nachbarn heran und begann einen Plausch, daß diesem die Weste zu eng wurde. Sie sprach von Theater, Gurkensalat, Maßliebchen, Schnürleibchen, Moses, Spitzhunden, Bettlaken, Ölsardinen, Kanonen und Flöhen. Als sie sah, daß der Augenblick gekommen war – nämlich der Nachbar, ein Herr in mittleren Jahren mit ungeheurer Vorliebe für Filzschuhe und Einsamkeit – war fast unter den Tisch geredet, alsdann heulte und jammerte sie unter Tränengüssen, rang die Hände, warf sich plötzlich über ihn, verbarg ihre Flügelhaube an seiner Hemdbrust und stöhnte:

      «Wir tun uns eben zusammen!»

      Selbst ein sehr strenger Logiker hätte über diese Manier, zu schlußfolgern, keineswegs überraschter sein können als Herr Wenndudoch (so hieß er leider). Wenndudoch besann sich etwa so lange wie ein Hahn braucht, um energisch zu krähen – dann aber krähte er mit einer förmlich unirdischen Stimme in die obige Witwe hinein: «Frau Trockendock (so hieß sie glücklicherweise), ich bedaure mit geneigter Miene, daß ich auf Ihre jeden von uns so sehr ehrende wie auch beglückende Offerte nicht eingehen kann.» Darauf tuschelte er ihr etwas ins Ohr, worauf sie ihm aber laut antwortete: «So? Na das macht doch nichts!» In diesem Augenblicke beschloß Wenndudoch, da eben nichts weiter half, irrsinnig zu werden. Siehe da, die Trockendock fand ihn jetzt erst interessant. «Wissen Sie», sagte sie zärtlich, «Sie glauben gar nicht, wie langweilig der normale Mann ist. Bleiben Sie man so!» Wenndudoch wurde blaß wie weiße Stubendekkentünche. Fünf Minuten später war er ††† Leiche. Dieser Mann war den Stürmen der Leidenschaft nicht gewachsen.

      Es ist verzeihlich, daß er starb. Nur half es ihm nichts. Die Witwe radelte mit der Leiche zum Standesbeamten. Der blickte sie lange verwundert an. Er begab sich nach vollbrachter Amtshandlung sofort in ein Sanatorium. Das Ungewohnte ist so anstrengend!

      Witwe Trockendock fand in ihrer neuen Ehe keine Befriedigung. Leichen sind stets schlechte Ehemänner gewesen – und gar wenn sie, wie in diesem Falle, schließlich gegen ihren


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