Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10. Inger Gammelgaard Madsen

Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10 - Inger Gammelgaard Madsen


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      „Spuren, Gegenstände und ähnliches, die wir unterwegs finden, müssen an den Ermittlungsleiter der Polizei übergeben werden, der zur genaueren Untersuchung damit weiterarbeiten kann. Denkt daran, sie mit Absperrband abzusichern, falls ihr etwas findet.“

      Sie drückte die Zigarette auf dem Bürgersteig aus und warf den Stummel in den Mülleimer neben dem Bushäuschen. Anne tat es ihr gleich.

      „Sind alle bereit? In erster Linie konzentrieren wir uns auf den südlichsten Teil des Waldes. Beobachtet alles aufmerksam. Untersucht das Unterholz und schaut auch nach oben in die Bäume, auch wenn wir es nicht mit einer Selbstmorddrohung zu tun haben. Nach der Suche treffen wir uns vor dem Strandbad Den Permanente.“

      „Laufen wir einfach mit?“, flüsterte Flash hinter Anne. Er trug die Kamera auf der Schulter.

      „Wir laufen einfach mit, ja. Film alles, was du kannst, dann schneiden wir es hinterher zusammen“, meinte sie.

      Sie gingen los.

      „Warum sollen Tara und Peder ausgerechnet in der Mitte gehen?“, fragte sie hinter Karen.

      „Normalerweise empfehlen wir nicht, dass die Angehörigen bei der Suche dabei sind. Wir wissen ja nie, was wir finden. Typischerweise sind es die Leute ganz vorn oder hinten in der Kette, die etwas finden. Um zu vermeiden, dass die Angehörigen auf eigene Faust losziehen, nehmen wir sie in einem erfahrenen Suchtrupp mit, wo sie dann in der Mitte gehen dürfen. Einigen Angehörigen hilft es, etwas Aktives zu tun, statt nur zu Hause zu sitzen und auf Nachrichten zu warten.“

      „Was sagt die Polizei dazu, dass ihr euch in die Suche einmischt?“, wollte Anne wissen und sah sich nach Flash um, der anfing, die gelbe Gruppe zu filmen, die zwischen den Bäumen verschwand, während sie wie Spürhunde auf den Waldboden starrten. Das Logo auf ihren Rücken signalisierte klar, dass sie für Missing Children Denmark arbeiteten.

      „Wir haben eine sehr gute Kooperation mit der Ostjütländischen Polizei.“ Karen bog einen Zweig zur Seite und lächelte Anne zu. „Eigentlich dürfen wir es nicht Kooperation nennen. Öffentliche Instanzen dürfen nicht mit einer privaten Vereinigung oder Organisation zusammenarbeiten, daher haben die Juristen bei der Polizei dafür gesorgt, dass wir zusammenarbeiten können ohne zusammenzuarbeiten. Das machen wir auch in den Fällen, wenn uns die Angehörigen kontaktieren und es wünschen. Wir vergewissern uns immer, dass sie zuerst die Polizei kontaktiert haben.“

      Anne stolperte über etwas und stützte sich an einem Baumstamm ab, um nicht hinzufallen. Sie beeilte sich nachzusehen, ob es etwas Wichtiges war, das ihr ein Bein gestellt hatte, aber es war bloß eine Baumwurzel, die unter trockenen Blättern verborgen war.

      „Aber ihr dürft doch sicher nicht alle Fälle annehmen?“

      Karen schüttelte den Kopf. „Nein, auch da gibt es klare Regeln. Wir führen immer zuerst ein kleines Interview mit den Angehörigen für unsere Überprüfung des Falles, bevor wir ihn annehmen. Damit sind wir heute Nachmittag gerade fertig geworden, als ihr kamt. Während der Überprüfung kontaktieren wir die Polizei, um zu hören, ob es irgendwelche Gründe gibt, warum wir uns nicht einmischen sollten. Das kann zum Beispiel bei offensichtlichen Mordfällen sein, oder falls der Vermisste in einem Prozess ausgesagt hat und seitdem im Zeugenschutzprogramm ist, oder falls die Polizei in anderen Zusammenhängen eine Ermittlung gegen den Vermissten anstellt, die sie nicht dadurch gefährden will, dass freiwillige Amateure Spuren und Beweise zerstören. Aber das gilt ja in der Regel nicht für Kinder“, lächelte sie, bückte sich und bürstete einige Blätter von einer zerdrückten Coladose, die sie aufhob und in eine Tüte steckte.

      „Glaubst du, die hat eine Verbindung zu Emil?“, fragte Anne zweifelnd.

      „Nee, aber wo wir schon mal hier sind, können wir ja auch genauso gut aufräumen. Wir finden viele Dinge: im Wald verstecktes Diebesgut, Drogen und Haschpflanzen, Unmengen von benutzten Kondomen, aufblasbare Gummipuppen, Fahrräder und Mofas, Unterwäsche, Hosen, Jacken, Mützen und Handschuhe.“ Karen wischte sich irritiert Spinnweben aus dem Gesicht. „An einem Tag haben wir 24 verschiedene Schuhe gefunden. Die Leute sind solche Schweine, wenn sie in der Natur unterwegs sind.

      „Ja, das kann ich mir vorstellen.“ Anne grinste. „Ihr benutzt also Absperrband wie das der Polizei, wenn ihr Spuren findet?“

      Anne war an ein schnelleres Tempo gewöhnt, aber wenn man es schaffen sollte, jedes einzelne Detail um sich herum zu untersuchen, ohne draufzutreten oder es zu übersehen, konnte es nicht schneller gehen. Außerdem war der Wald an manchen Stellen schwer zu durchdringen aufgrund von Büschen und Gestrüpp. Flash war nicht zu sehen und ging sicher bei denen mit, die weiter vorne in der Kette liefen.

      „Ja, aber nicht ganz wie das der Polizei. Wir haben unser eigenes. Es ist rot-gelb-gestreift, nicht rot-weiß wie das der Polizei. Es ist selbstauflösend und natürlich biologisch abbaubar, sollten wir also mal vergessen, es wieder zu entfernen, verschwindet es nach circa einer Woche von allein.“

      „Clever“, nickte Anne. Eine Weile gingen sie schweigend. Die Vögel zwitscherten und wäre da nicht die Befürchtung, eine Babyleiche im Unterholz zu finden, hätte es ein ganz normaler gemütlicher Abendspaziergang sein können.

      „Wenn Emil nun nach einer Weile immer noch nicht gefunden wird, wenn er nun tot ist, was passiert dann?“

      Sie zuckten beide vor Schreck zusammen, als eine Waldtaube plötzlich abhob und sie bei ihrer Flucht beinahe traf.

      „Wenn die Sache jetzt von einem Hot Case, das heißt, dass wir vermuten, dass Emil am Leben ist, zu einem Cold Case wird, was bedeutet, dass man glaubt, er sei tot – jetzt im Sommer typischerweise nach vier bis fünf Tagen – dann drosselt die Polizei stark. Sie suchen nicht länger aktiv draußen im Terrain, aber die Ermittlungsabteilung bei der Polizei führt den Fall fort und dann stimmen wir uns mit dem Ermittlungsleiter ab.“

      „Dann müsst ihr euch wohl zurückziehen?“

      „Nein, tatsächlich übernimmt Missing Children dann auch die anderen Sektoren, da wir weitersuchen, bis Emil gefunden wird. Tot oder lebendig.“

      „Aber was ist, falls es sich wirklich als ein Mordfall entpuppt?“

      „Wenn wir die Sache untersucht haben und die Polizei grünes Licht gegeben hat, dann hat unsere Einsatzgruppe täglich Kontakt mit dem Ermittlungsleiter bei der Polizei. Die meisten Fälle sind Gott sei Dank verhältnismäßig unschuldig, aber wir haben immer vor Augen, dass ein Verbrechen passiert sein kann und wir deswegen innerhalb weniger Sekunden eine Suche abbrechen können müssen, wenn wir bemerken, dass sich der Charakter der Sache ändert. Darin sind wir gut. Nachdem die Polizei erlebt hat, wie wir kommunizieren und mehrere Hundert freiwillige Sucher koordinieren, vielleicht sogar ein paar Tausend – bezeichnen sie uns nicht mehr als Amateure.“

      „Dann hat das also jemand gemacht?“

      „Natürlich. Einige Beamte sehen uns als Bedrohung für ihren Job. Jedenfalls, bis sie herausfinden, wie wir arbeiten. Unser Einsatztrupp beziehungsweise Team besteht aus mindestens drei Personen, die jeweils verschiedene besondere Fähigkeiten haben. Wir haben einen Leiter, der den Überblick über die ganze Sache und sein Team hat.“ Karen deutete auf sich selbst. „Ich bin auch diejenige, die mit der Presse und der Polizei kommuniziert. Dann gibt es einen Assistenten, der alles über Karten und das Terrain, Erkundung, Wasserabfluss, Drän, Salzgehalt im Hafenbecken, Verwesungszeit des Körpers, Blutgerinnung und all das Technische weiß. Das ist Valde Storm, den du vorhin begrüßt hast, als er mit der Karte kam. Auf diesem Gebiet ist er Experte. Dann gibt es einen weiteren Assistenten, der der Angehörigenkontakt ist und die Verantwortung dafür trägt, aus den Informationen, die wir bekommen, ein Phantombild des Vermissten zu zeichnen. Das ist Sidse, die du auch getroffen hast. Es wird ein Zeitstrahl erstellt, der von dem Zeitpunkt, an dem der Verschwundene zuletzt gesehen wurde, zwanzig Tage zurückgeht. Auf diese Weise können wir das Verhaltensmuster der Person sehen. Bei Emil mit erst drei Monaten bringt das natürlich nichts, aber bei einem größeren Kind wäre es sehr nützlich gewesen. Der Betreffende ist auch dafür verantwortlich, die Angehörigen in jeder Hinsicht zu unterstützen. Sidse ist


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