Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10. Inger Gammelgaard Madsen

Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10 - Inger Gammelgaard Madsen


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die ganze Zeit geweint und wollte nicht mit uns sprechen, aus ihr haben wir also nichts herausbekommen. Aber zwei Töchter, die hier in Dänemark geboren sind, erzählten, dass ihr Vater so etwas niemals tun würde. Er war voll in die dänische Gesellschaft integriert und hatte seit vielen Jahren als Busfahrer gearbeitet. Sie berichteten, die Mutter meine, es sei Mord. Polizeigewalt. Dass ihr Mann aus Hass getötet wurde“, fuhr Niels fort und zuckte die Schultern, als ob das eine Möglichkeit sein könnte.

      „Siljas hat mit seiner Meinung über Flüchtlinge und Migranten ja auch nicht hinterm Berg gehalten. Sein Facebook-Profil ist voll davon. Er ist gerade der DFD beigetreten, habe ich gesehen“, sagte Yazmin zornig.

      „Das macht ihn ja nicht zum Täter!“, protestierte Isabella.

      Sie hatte recht, doch die Presse schwelgte im Facebook-Profil des Beamten. Er hoffte, dass die DUP während ihrer Ermittlung nicht die gleiche Brille aufhatte. Mehrfach hatte er seinen Mitarbeitern gegenüber unterstrichen, dass sie darüber nachdenken sollten, was sie in den sozialen Medien einstellten. Er selbst benutzte sie nie.

      „Wieso haben wir diesen Bus eigentlich überhaupt gestoppt?“, fragte Niels.

      „Es gab einen anonymen Tipp. Der Fahrer sollte gestoppt werden, bevor er das Zentrum erreichte, wo er angeblich eine Bombe zünden wollte.“

      „Anonymer Tipp?“, wiederholte Hafid verständnislos.

      „Ja. Zu dem Zeitpunkt war gerade der Anschlag in Kopenhagen passiert und man ist kein Risiko eingegangen.“

      „Aber warum den Fahrer erschießen? Er saß doch nicht mit nem Sprengstoffgürtel da?“, meinte Hafid sarkastisch.

      „Es ist unklar, warum Siljas Byskov den Schuss abgefeuert hat. Der Fall liegt bei der DUP. Wir sollen nur prüfen, ob die Rede von Terror ist. Der PET ist auch an der Sache dran. Falls es Terror ist, meinen sie, könnte es zu dem in Verbindung stehen, was in Kopenhagen passiert ist. Aber wir dürfen nur beobachten und Informationen weitergeben und alles muss über mich laufen. Es ist ungeheuer wichtig, dass das alle verstehen.“

      Er sah schnell nach unten und bürstete einen imaginären Fussel von seiner Hose. Niemand wusste, dass er seit bald einem Jahr in aller Heimlichkeit nach einem mutmaßlichen Terroristen und Schleuser fahndete, der sich immer noch in Aarhus aufhalten sollte. Der Mann mit dem weißen Glasauge, der im vergangenen Sommer in einem Kaffeehaus in Ägypten fotografiert worden war. Er musste die Reportagefotografin wieder kontaktieren. Kamilla Holm hieß sie. Die Fotoreportage, die sie von Flüchtlingslagern in Nordafrika und auf Lampedusa gemacht hatte, hatte ihr einen ehrenvollen Preis eingebracht. Er wusste, dass sie selbst nach dem Mann suchte. Sie hatten eine Weile Kontakt gehalten, nachdem eine Zeitungsredaktion in Kairo bei einem Bombenanschlag in die Luft geflogen war und einige Journalisten dabei ums Leben kamen. Sie hatte Stiffeye im Verdacht, wie der Mann wegen seines Auges genannt wurde. Er hatte Verbindungen zu mehreren Terrororganisationen gehabt, unter anderem Al-Qaida und Boko Haram. Es waren ihre Freunde in Kairo – die, die getötet worden waren –, die entdeckt hatten, dass eine neue Terrorzelle, die Stiffeye gebildet haben sollte, einen Anschlag irgendwo in Europa plante. Kamilla vermutete, dass das der Grund für den Anschlag auf die Redaktion gewesen war. Stiffeye hatte herausgefunden, was sie wussten. Als Kamilla Holm Anker Dahl zum ersten Mal kontaktierte, fürchtete sie, selbst in Gefahr zu sein, falls Stiffeye auch wusste, dass sie im Café Bilder von ihm gemacht hatte. Nach wie vor behauptete sie, ihn bei ihrer Rückkehr am Aarhuser Flughafen gesehen zu haben. Vielleicht war der missglückte Terroranschlag im Stadtbus sein Werk. Falls es überhaupt ein Anschlag war. Aber warum hatte er in diesem Fall so lange gewartet? Es war Monate her, seit Anker Dahl zuletzt von der Fotografin gehört hatte. Er wusste nicht, ob sie ihre Suche aufgegeben hatte oder ihn einfach nicht mehr brauchte. Damals hatte er den PET kontaktiert, um zu hören, ob sie etwas über den Mann wussten. Er hatte ihnen das Bild des leicht wiederzuerkennenden Gesichts geschickt, das die Fotografin gemacht hatte. Das Glasauge steckte verkehrt in der Augenhöhle, sodass es steif, weiß und starrend aussah. Doch der PET behauptete, ihn nicht zu kennen.

      „Dürfen wir denn in der Sache überhaupt etwas unternehmen, wenn sie dem PET gehört?“, fragte Isabella verwundert.

      Er war froh, sie zurückzuhaben. Sie war aufgrund ihrer Stresssymptome eine Weile krankgemeldet gewesen. Ihr Mann und früherer Kollege war verhaftet worden, saß nun versehrt im Rollstuhl im Staatsgefängnis Ostjütland und wollte weder sie noch andere seiner Kollegen von der Ostjütländischen Polizei sehen – nicht einmal Anker Dahl. Danach hatte sie versucht, ihren teuren Bauernhof in Skåde zu verkaufen, den sie sich allein mit nur einem Beamtengehalt nicht leisten konnte. Es war ihr nicht gelungen; darüber hinaus hatte sie andere, ihm unbekannte Probleme gehabt und war schließlich unter dem Druck zusammengebrochen. Vor ein paar Wochen war sie zurückgekommen und hatte anscheinend ihr Gleichgewicht wiedergefunden. Der psychologische Dienst der Polizei hatte ihr geholfen, obwohl sie sich zuerst geweigert hatte, diese Hilfe anzunehmen.

      „Ja, wir sind bei der Ermittlung dabei, aber wie gesagt: kein Eingreifen. Wir verhören Zeugen wie bei einer normalen Ermittlung und, wenn es etwas gibt, das für den PET relevant ist, erstatten wir Bericht.“

      Anker Dahl kniff irritiert die Augenbrauen zusammen und stierte wütend auf das Telefon, als es zu läuten begann. Er ließ es klingeln und hoffte, die Rezeptionistin verstünde, dass er in einer Besprechung saß.

      „Dann waren also keine Zeugen mit etwas Brauchbaren dabei?“

      „Doch. Mehrere erwähnten eine Frau in einer Burka, die den Bus an der Haltestelle verließ, kurz bevor der Streifenwagen sie einholte. Es sah aus, als flüchtete sie, und einer meinte, sie kannte den Fahrer. Sie haben Blicke gewechselt.“

      „Burka?“, wiederholte Hafid. „Die muss doch leicht zu finden sein, in Aarhus gibt es nicht viele Frauen mit Burka.“

      „Nein, die Regierung hat doch vor ein paar Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, die die Anzahl von Burka-Trägerinnen in Dänemark feststellen sollte und fast nur Frauen fand, die Kopftuch und Niqab trugen, die die Augen freilassen. Wie sich herausstellte, ließen sich die mit Burka bekleideten Frauen an einer Hand abzählen“, wandte Isabella ein.

      Yazmin nickte. „Viele Dänen verwechseln Niqab und Tschador mit einer Burka. Ich kenne auch niemanden, der mit einer Burka herumläuft, da sind ja die Augen durch ein Netz verschleiert.“

      Sie sah Hafid fragend an, der den Kopf schüttelte.

      „Ich auch nicht.“

      „Dann können wir die Personenbeschreibung also zu nichts gebrauchen“, seufzte Anker Dahl. „Andere Kennzeichen außer schwarzer Kleidung?“

      Das Telefon klingelte erneut und dieses Mal gab es nicht auf. Anker Dahl drückte mit dem kleinen Finger auf den Gesprächsknopf und nahm mit verkniffener Miene den Hörer. Er wollte der Rezeptionistin die Leviten lesen, doch sie kam ihm zuvor.

      „Entschuldigung, aber Jørgen Lindt möchte Sie sprechen. Er sagt, es sei sehr wichtig“, beeilte sie sich hinzuzufügen. Ihre Stimme zitterte leicht. Sie wusste nur zu gut, dass sie dabei war, Anker Dahls Geduldsgrenze zu überschreiten.

      „Okay, dann stellen Sie ihn halt durch.“

      Er erhob sich vom Tisch und kehrte seinen Mitarbeitern, die ihn verwundert ansahen, den Rücken. Sie waren es nicht gewohnt, dass er während einer Besprechung Anrufe entgegennahm. Er schaute aus dem Fenster und sah vor dem Gebäude einen Streifenwagen in die Garage fahren. Gleichzeitig hob ein Vogel vom Dach ab. Er kam so nah ans Fenster, dass er die Schwungfedern sehen konnte. Er hörte, dass Jørgen Lindt Auto fuhr. Anker Dahl sah rasch auf seine Armbanduhr. Lindt war sicher noch nicht wieder zurück in Søborg.

      „Die Analyse der Bombe ist gekommen. Ich habe sie gerade per Telefon erhalten. Es war die Mutter des Satans“, sagte Jørgen Lindt ohne Umschweife.

      „TATP?“

      „Ja, Triacetontriperoxid. Das ist einfach herzustellen und wird von Terroristen oft benutzt. Die Zutaten sind leicht zu beschaffen und das Rezept steht im Internet, wenn es nicht sogar im Chemieunterricht gelehrt wird. Das Schlimmste ist die Methode, die sie verwendet


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