Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10. Inger Gammelgaard Madsen

Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10 - Inger Gammelgaard Madsen


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ein unzufriedenes Gesicht kurz vor dem Weinen, bis sie den Schnuller in der Tasche fand und ihm in den Mund steckte.

      „Sag Vater, ich musste gehen“, bat sie, ihren Sohn auf dem Arm.

      Rabir nickte.

      Kapitel 8

      Anne Larsen war verblüfft, wie viele unter der großen Blutbuche erschienen waren. Die mit gelben Westen bekleidete Gruppe füllte die komplette Rasenfläche.

      „Hey, haben Sie Ihren Kameramann nicht dabei?“, fragte Karen, die mit ausgestrecktem Arm eine Zigarette hielt, um den Rauch zu vermeiden, den sie wegen des Windes trotzdem ins Gesicht bekam.

      „Der kommt später. Er musste heute seine Kinder aus dem Kindergarten abholen.“

      Karen nickte und beobachtete ein paar Leute, die gerade an der Haltestelle direkt gegenüber aus dem Bus gestiegen waren. Sofort wurde ihnen in gelbe Warnwesten mit dem Missing Children-Logo auf dem Rücken geholfen.

      „Sie müssen auch so eine anziehen und sich dann registrieren lassen“, sagte Karen und deutete mit der Zigarette auf den, der die Westen austeilte.

      „Registrieren?“

      „Ja, das müssen alle Freiwilligen, die zu einer Suchaktion kommen, damit wir wissen, wer mit draußen ist, und uns so vergewissern können, dass alle wieder mit nach Hause kommen.“ Karen ließ die Zigarettenasche auf den Bürgersteig rieseln und nahm mit zusammengekniffenen Augen einen weiteren Zug.

      Anne bekam auch Lust auf eine Zigarette. Auf dem Weg zu dem Typen mit den Westen fand sie die Schachtel in der Hosentasche. Er war damit beschäftigt, auszuteilen und Leute aufzuschreiben.

      „Du bist über achtzehn“, stellte er mit einem kurzen Blick auf sie fest.

      „Ja, das kann ich sicher nicht leugnen. Muss man das sein?“

      Er schrieb ihren Namen, ihre Adresse und Telefonnummer unter die anderen auf den Block.

      „Ja, um an der Suche teilnehmen zu können schon.“

      Er reichte ihr eine Weste, ohne sie noch mal anzusehen.

      „Hast du keine kleinere?“, fragte sie und versuchte Blickkontakt herzustellen, aber er war bereits dabei, die Daten des nächsten Freiwilligen aufzunehmen.

      „Nee, die sind One Size“, antwortete er mit einem schnellen Seitenblick auf sie. Er konnte sicher auch sofort sehen, dass ihre kleine, dünne Gestalt vollständig in dieser großen Weste verschwinden würde, aber da er bedauernd die Schultern zuckte, schlüpfte sie in die Weste, klopfte eine Zigarette aus dem Päckchen und zündete sie an.

      „Was ist der Plan? Wo sollen wir suchen?“, fragte sie Karen.

      Ein korpulenter, glatzköpfiger Mann mittleren Alters mit Unterbiss, dessen Kopf an einen Seewolf erinnern ließ, faltete eine Karte der Umgebung auf; ein anderer half ihm dabei, sie auf der Bank im Buswartehäuschen ausgebreitet zu halten. Sie unterhielten sich gedämpft.

      „Die Polizei hat uns einen Sektor zugeteilt, in dem wir suchen sollen. Wir sollen den Riis Wald durchsuchen.“

      Anne sah sie skeptisch an. Machte die Polizei so etwas wirklich?

      „Den ganzen Wald? Aber können wir das schaffen, bevor es dunkel wird?“

      „Mit der Anzahl Freiwilliger, die erschienen ist, gehe ich fest davon aus“, sagte Karen und lächelte stolz.

      „Aber warum ausgerechnet dort?“

      Karen sah nach unten auf die Asche ihrer Zigarette und wieder zu Anne. „Zeugen haben gesehen, wie eine Frau mit einem Kinderwagen den Grenåvej überquerte, in den Wald und dann den Marienlundsvej entlangging.“

      Anne konnte nicht umhin, ein wenig zu lächeln, und verfolgte mit den Augen den aufsteigenden Zigarettenrauch. Ein Flugzeug zeichnete einen weißen Streifen an den blauen Himmel. „Aber das könnte ja auch einfach jemand gewesen sein, der einfach nur gerade mit einem Kinderwagen spazieren war, oder nicht?“

      „Doch, wenn die Beschreibung des Kinderwagens nicht so präzise gewesen wäre. An Emils hing ein total niedlicher Plüschelefant. Der vierjährige Sohn der Zeugin war davon ganz hingerissen und wollte ihn näher anschauen, als sie vorbeigingen, aber die Frau – die übrigens eine Burka trug – hatte sie wütend angesehen und war weggeeilt. Eine sehr unnatürliche Reaktion gegenüber einer anderen Mutter.“

      „Wie konnte die Zeugin erkennen, dass die Frau sie wütend angeschaut hat, wenn sie eine Burka trug? Die Augen sind da doch verborgen.“

      „Tja, dann war es wohl doch keine Burka.“

      „Aber wir suchen also nach einer Frau mit muslimischer Kleidung und einem Kinderwagen mit einem blauen Elefanten?“

      Karen schüttelte den Kopf. „Wir suchen in erster Linie nach dem Kinderwagen und Emil. Die Polizei sucht nach dieser muslimischen Frau. Eine weitere Zeugin hat sie nämlich auf dem Parkplatz beim Restaurant Sjette Frederiks Kro gesehen. Ohne Kinderwagen. Sie ist die Treppe zum Tunnel in Richtung Strandbad Den Permanente hinuntergehastet. Ab da wissen wir nicht, wo sie abgeblieben ist.“

      „Dann hat die Frau möglicherweise Emil in seinem Kinderwagen im Wald stehen lassen?“

      „Vielleicht nur den Kinderwagen.“

      „Hatte sie Emil denn dabei?“

      Anne bekam keine Antwort, weil der Seewolf unterbrach, als er mit der Karte zu ihnen kam. Er grüßte Anne mit einem freundlichen Nicken. Karen bekam ein schnelles Briefing, während der Mann mit seinem Zeigefinger auf der Karte herumdeutete. Das Summen von Stimmen stoppte schlagartig, als Karen das Wort ergriff und mit lauter Stimme den Verkehrslärm vom Grenåvej, der Nördlichen Ringstraße, dem Skovfaldet und der Marienlunds Allé zu übertönen versuchte. Der Treffpunkt lag wie eine kleine Oase inmitten der vier vielbefahrenen Straßen. Anne entdeckte Flash und winkte ihn zu sich heran. Er unterhielt sich mit Emils Eltern, die auch gekommen waren. Peder starrte beinahe manisch vor sich hin, während Tara sich gefasst zu haben schien und kerzengrade stand.

      Karen begann damit, von Emils Entführung zu berichten und was das Ziel der Suche war. Sie sollten den Kinderwagen mit dem blauen Elefanten und dem drei Monate alten Emil finden. Anschließend berichtete sie von dem Terrain, in dem sie suchen sollten und von der Rechtslage, die ihnen in Ausnahmefällen erlaubte, private Grundstücke und Gebäude zu betreten, wenn ein hinreichender Verdacht bestand, dass der Vermisste in Lebensgefahr war, wenn sie nicht hineingingen.

      Anne begegnete Flashs Blick. Er runzelte die Stirn und schien sich zu wundern. Obwohl sie als Journalistin ab und zu selbst mal das Gesetz übertrat, war ihr eine solche Ausnahmeregel nicht bekannt. Sie musterte die Freiwilligen, die alle aufmerksam zuhörten, und überlegte, was ihre jeweiligen Beweggründe für die Teilnahme sein mochten. War es aus dem gleichen Antrieb wie dem ihren? Neugier? Der Drang, Verbrechen aufzuklären? Oder war es die bloße Spannung und Lust, die eigenen Grenzen zu überschreiten oder sah mancher es als ein Spiel, Räuber und Gendarm, wie damals als Kinder? War der Entführer vielleicht unter ihnen, nur, um Spuren zu verwischen, falls sie welche fanden? Es war nur ein Einziger mit dunkler Hautfarbe dabei, aber das war ein junger Mann. Vielleicht hatte er einen Niqab und ein schwarzes Kleid getragen, als er Emil entführte. Wer wusste, was sich unter der Kleidung verbarg? Sie bremste ihre überschäumende Fantasie. Was war überhaupt das Motiv, ein drei Monate altes Baby zu entführen?

      Zum Schluss erklärte Karen, wie sie sich in Formation durch den Wald bewegen sollten.

      „Wir fangen damit an, hier auf dem Bürgersteig entlang des Dronning Margrethes Vej eine Kette zu bilden. Tara und Peder gehen in die Mitte. Danach bewegen wir uns langsam nach vorn zwischen die Bäume und durchsuchen den Wald mit einem passenden Abstand zwischen uns, damit wir möglichst nichts übersehen. Ich bin die Leiterin dieser Gruppe und meine Aufgabe ist es, den Suchtrupp zu führen und sicherzustellen, dass alle Verhaltensregeln eingehalten werden. Ich laufe ganz hinten. Diejenigen, die am weitesten in den Wald hineingehen, binden ungefähr alle zehn Meter rot-gelbes Markierungsband


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