Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10. Inger Gammelgaard Madsen

Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10 - Inger Gammelgaard Madsen


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      Roland wurde an den Albtraum Norwegens im Sommer auf Utøya erinnert, wo der Täter eine Polizeiuniform getragen hatte, um Zugang zu der Insel zu erhalten, dicht an seine Opfer heranzukommen und es geschafft hatte, 69 unschuldige junge Menschen zu töten. Wenn es gang und gäbe wurde, Polizeiuniformen für Terror zu benutzen, würde das sowohl die Polizei als auch die Bevölkerung in ein fürchterliches Dilemma bringen.

      „Aber wieso einige verhältnismäßig wenige Menschen in Busse führen und sie in die Luft jagen statt direkt in den Bahnhof zu gehen?“, fragte Anker Dahl.

      „Gute Frage. Es ist ja jetzt nicht zur Stoßzeit am Hauptbahnhof passiert, aber mein Tipp ist, dass uns die Terroristen zeigen wollen, welche Macht sie haben. Sie haben es nicht eilig. Nächstes Mal wird es vielleicht direkt der Bahnhof oder der Flughafen sein. In Kopenhagen gibt es viele Ziele. Die Bombenexplosionen haben Schäden in Millionenhöhe verursacht. In den umliegenden Gebäuden auf der Kalvebod Brücke wurden mehrere Scheiben eingedrückt und es gab – außer den Verletzten und Toten in den Bussen – auch mehrere Verletzte in den Autos in der Nähe und unter den Passanten.“

      John Stadil nickte zu jedem von Jørgen Lindts Worten.

      „Diese Bedrohung zu bekämpfen, erfordert eine enge Zusammenarbeit“, fügte er hinzu.

      Kapitel 4

      „Ich habe Jørgen Lindt aus dem Polizeipräsidium kommen sehen“, informierte Flash und setzte sich neben Anne mit einer Zwei-Liter-Flasche Coca-Cola Zero, die ihn laut anzischte, als er den Deckel abschraubte.

      „Den vom PET?“, nuschelte Ninna. Sie kaute auf einem Stück Orange, die die ganze Redaktion mehr nach Weihnachten als nach Juli duften ließ. „Was macht der denn in Aarhus?“

      „Das ist wohl nicht so verwunderlich, dass er hier ist, genau nachdem das im Stadtbus passiert ist.“ Anne schaute von ihrem Computerbildschirm auf.

      Das Erlebnis, so dicht an den gesprengten Bussen in Kopenhagen gewesen zu sein und nicht zuletzt der Gedanke, dass sie selbst in einem davon hätte sitzen können, hatte sie längst noch nicht abgeschüttelt. Selbst am helllichten Tag verursachte es ihr Albträume.

      „Es ist ja nicht mal sicher, dass das etwas war“, meinte Flash mit einem schiefen Grinsen.

      „Aber jetzt haben sie Kopenhagen zweimal angegriffen, daher ist es wohl nicht ganz abwegig zu glauben, dass es Terror sein könnte“, nuschelte Ninna weiter mit einem herausfordernden Blick zu Flash und einem besorgten zu Anne, während sie mit dem Kugelschreiber auf den Block tippte, auf dem sie gerade mögliche Locations für die Aufnahmen des nächsten Programms Samstagsthemen aus Ostjütland notierte, das den Bürgermeister im Fokus hatte.

      „Sie haben Kopenhagen einmal angegriffen, Ninna. Ein einziges Mal. Ansonsten hat Dänemark bisher noch keinen richtigen, koordinierten Terroranschlag erlebt. Das beim Kulturcafé Krudttønden und bei der Synagoge war vielleicht nur das Werk eines Verrückten.“ Flash trank direkt aus der Colaflasche. „Wir wissen es ja nicht, da der mutmaßliche Täter von der Polizei erschossen wurde – genau wie unser Busfahrer. Keine Terrororganisation hat die Verantwortung übernommen, normalerweise sind die ja sehr schnell damit, ihre schwarze Flagge zu zeigen.“

      „Ja, auch wenn sie es überhaupt nicht waren, sondern nur einer ihrer sogenannten Soldaten und die Organisation vielleicht nichts damit zu tun hat. Furcht schafft Macht! Hast du herausgefunden, wer dich kontaktiert hat?“, fragte Ninna und schaute Anne neugierig an.

      Ninna war an dem Tag, als sie nach Kopenhagen mussten, mit im Auto, als Anne angerufen wurde. Die Stimme war verzerrt gewesen, sie hatte nicht einmal hören können, ob es ein Mann oder eine Frau war.

      „Ich habe nicht mehr erfahren, seit ich darüber informiert wurde, dass es gefährlich sei, in Aarhus Bus zu fahren und dass sich derjenige noch mal melden wollte.“

      Annes Stimme und Unterlippe zitterten. Wenn sie an die jungen Menschen dachte, die in der Bahn am Klapptisch gesessen und einen Schlachtplan für die Demonstration – und die Zukunft – geschmiedet hatten, bekam sie solche Bauchschmerzen, dass sie es nicht aushalten konnte. Vier von ihnen waren unter den Toten.

      „Das war doch bloß ein Freak, der sich interessant machen wollte!“ Ninna schüttelte verärgert den Kopf. „Das ist echt ein übler Scherz! Stell dir mal vor, wie viele Einheiten unnötig ausrücken, wenn jemand mit einer falschen Bombendrohung kommt. Solche Menschen sind komplett krank im Kopf.“

      „Aber was, wenn es kein Scherz war? Die Verzerrung klang ziemlich professionell, da hat sich einer nicht nur die Nase zugehalten.“

      „Was hat die Polizei zu der Warnung gesagt?“, fragte Flash, der sich bequem auf dem Stuhl zurücklehnte, die Hände im Nacken verschränkt und die Füße auf der Tischkante. „Denn du hast ihnen ja sicher Bescheid gegeben?“

      Anne schubste unsanft seine Füße vom Tisch und nickte.

      „Selbstverständlich. Der Diensthabende hat es aufgenommen und sagte, er würde es weiterleiten, aber was können die tun? Alle Busse überwachen? Die Polizei ist so unterbesetzt, dass sie nicht mal Zeit hat, sich um Routineaufgaben zu kümmern.“

      „Ja, wegen der Terrorgefahr wurden wohl alle Beamten nach Kopenhagen beordert“, nuschelte Ninna, die sich wieder ein Stück Orange in den Mund gesteckt hatte.

      „Ja, oder an die Grenze“, meinte Flash. „Aber Aarhus ist doch genauso wichtig wie Kopenhagen, daher …“

      „Ja, sind wir das wirklich? Wir haben ja nicht die Regierung und all die ‚wichtigen‘ Minister in der Stadt.“

      „Wer hat eigentlich der Polizei den Tipp mit dem Bus gegeben, sodass er angehalten wurde?“, fragte Ninna.

      „Soviel ich weiß, war es anonym.“

      „Aber vielleicht war es doch deine Warnung, die die Polizei hat ausrücken lassen“, sagte Ninna eifrig.

      „Habt ihr gehört, dass der PET im Polizeipräsidium war? Wisst ihr, worum es ging?“, unterbrach die Moderatorin Jytte Thomsen, die gerade von einer Besprechung im Büro des Nachrichtenchefs zurückgehuscht kam.

      „Ja, Flash hat Jørgen Lindt von dort weggehen sehen. Aber nein, wir haben nichts darüber erfahren.“

      „Ein geheimes Treffen, von dem nicht mal die Presse wissen soll, das klingt ernst.“

      „Es geht natürlich um die Terrorgefahr. Und außerdem ist doch alles, was der PET macht, geheim“, schlussfolgerte Flash.

      „Trotzdem.“ Jytte legte die Mappe, die sie unter dem Arm hatte, auf den Tisch und massierte ihre Schläfen. „Oh, zu viel Rotwein gestern Abend“, seufzte sie, als sie bemerkte, wie sie angeschaut wurde. „Ich rede mal mit Anker Dahl, der kann uns sicher irgendetwas sagen.“

      Anne grinste hinter Jyttes Rücken besserwisserisch. Vizepolizeidirektor Anker Dahl sagte nichts, davon war sie überzeugt. Aber vielleicht konnte sie mit Roland Benito sprechen, der musste auf jeden Fall wenigstens etwas darüber wissen, was sich im Fall des Beamten tat, der den Busfahrer erschossen hatte, auch wenn er selbst nicht an den Ermittlungen bei der DUP teilnehmen durfte.

      Nach ihrem gemeinsamen einschneidenden Erlebnis letzten Sommer, wo er sie ein weiteres Mal gerettet hatte, war er sehr umgänglich gewesen. Hatte sogar angerufen, als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, um zu hören, ob es ihr gut ging. Er hatte fürsorglich gewirkt. Ohne darüber nachzudenken, führte sie diskret den Handrücken unter die Nasenlöcher und starrte anschließend darauf. Eine Zwangshandlung, die sie nicht ablegen konnte. Die Ärzte wussten nicht, wie lange sie noch spontanes Nasenbluten bekommen würde, aber das sei völlig ungefährlich, versicherten sie. Trotzdem war sie erleichtert, dass kein Blut zu sehen war, und machte mit ihrem Nachrichtenbeitrag über den Terroranschlag weiter.

      Sie schaute auf, als der Nachrichtenchef an ihren Tisch geeilt kam. Er bremste und kratzte sich am Nacken.

      „Bist du gerade sehr beschäftigt, Anne?“

      „Ich


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