Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10. Inger Gammelgaard Madsen

Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10 - Inger Gammelgaard Madsen


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sich mit Neu-Dänen mit dänischer Staatsbürgerschaft?“, fragte ein Teilnehmer, der am Tisch hinter Roland saß.

      Jørgen Lindt richtete den Blick auf den Fragenden und wurde für einen kurzen Moment von dem Licht des Beamers geblendet. Er trat zur Seite.

      „Neu-Dänen und Einwanderer der zweiten Generation, die im militant islamistischen Milieu verkehren und Propaganda ausgesetzt werden, stellen eine große Gefahr dar, da man davon ausgeht, dass sie gut in die dänische Gesellschaft integriert sind und sich überall aufhalten können. Wenn sie gleichzeitig Verbindungen zu kriminellen Milieus mit einer hohen Gewaltbereitschaft und Zugang zu Waffen haben, wird die Bedrohung natürlich verstärkt.“

      „Wie verbreitet ist dieser Umstand?“

      „Schwer zu sagen. Wir schätzen, dass die Propaganda besonders auf sozial ausgegrenzte Jugendliche, denen ein Platz in der Gesellschaft fehlt und die eine Identität suchen, einen radikalisierenden Effekt haben kann. Auch einige Gruppierungen können radikalisierend wirken, das kann ein Gefängnisaufenthalt sein oder Konfliktzonen und kriminelle Bandenmilieus. Radikalisierung findet nicht nur in den Moscheen statt. Sie geschieht überall. In Jugendclubs, Fitnessstudios, auf der Straße und in Cafés. Netzwerke wie die sozialen Medien sind das probateste Mittel, um Sympathisanten und Dschihadisten zu werben. Der IS benutzt das Internet in hohem Maße für seine Propaganda.“

      „Gibt es einen Überblick darüber, wie viele ausreisen, um für sie zu kämpfen?“, fragte die weinerliche Stimme einer Frau, die vor Roland saß. Ihre Haare waren rotblond und wuschelig geschnitten. Er hatte sie bei mehreren Gelegenheiten getroffen, als er noch bei der Ostjütländischen Polizei angestellt gewesen war, aber sie hatte ihn heute nicht gegrüßt, sondern ignoriert. Viele der Anwesenden wunderten sich sicher darüber, weshalb Angestellte der Unabhängigen Polizeibehörde überhaupt zu der PET-Besprechung wegen der akuten Terrordrohung gegen Aarhus eingeladen waren. Tatsächlich wunderte Roland sich selbst. Die meisten wussten natürlich, dass die DUP im Falle des Beamten ermittelte, der die tödlichen Schüsse auf den Busfahrer in Aarhus abgegeben hatte. Obwohl noch nicht klar war, was an der Sache dran war, wurde der Beamte nach dem, was in Kopenhagen passiert war, als Held und nicht als Krimineller, gegen den man ermitteln musste, betrachtet. Wieder fühlte Roland sich als Feind abgestempelt und nicht wie ein ehemaliger, gleichwertiger Kollege, der immer noch für die Gerechtigkeit arbeitete.

      „Wir schätzen, dass mindestens 115 Personen ausgereist sind, um zu kämpfen. Vielleicht mehr. Circa die Hälfte, meinen wir, schließt sich dem IS an. Meistens handelt es sich um junge, sunnitische Männer.“

      „Nur Männer?“

      Lindt schüttelte den Kopf und trank aus einem Glas Wasser, ehe er antwortete. „Eine geringere Anzahl Frauen ist ebenfalls aus Dänemark in das Krisengebiet gereist. Leider ist die Tendenz in den letzten paar Jahren gestiegen.“

      „Wie viele kommen aus der Umgebung von Aarhus?“

      „Wir nehmen an, dass es sich um knapp über dreißig Personen handelt, aber es kann auch jemand sein, den wir nicht kennen. Einige kehren nie zurück. Sie werden im Krieg getötet oder sie schließen sich wie gesagt dem IS an. Unseren Informationen zufolge wurden mindestens neunzehn dieser aus Dänemark Ausgereisten in Syrien oder dem Irak getötet. Die, die nach Hause kommen, behalten wir im Auge, da sie aufgrund des Kampftrainings, das sie möglicherweise absolviert haben, eine besonders große Terrorbedrohung für Dänemark ausmachen und äußerst radikalisierend sein können. Die Terrorgefahr steigt mutmaßlich mit der Anzahl von Personen, die mit Kampferfahrung aus dem Krisengebiet nach Dänemark zurückkehren.“

      „Gibt es eine Zahl, um wie viele es geht?“

      Jørgen Lindt wandte sich aufmerksam dem Fragenden zu.„Man geht davon aus, dass sich ungefähr die Hälfte der Personen, die ausgereist waren, jetzt gerade in Dänemark befindet.“

      „Und wo halten die sich dann auf?“

      Die Fragen kamen von verschiedenen Zuhörern. Roland schielte zu seinem Chef, Viktor Enevoldsen, der neben ihm saß, doch der war in das Gespräch vertieft und wartete, die Arme vor der Brust verschränkt, offensichtlich auf die Antwort. Er hatte seinen mittelgrauen, sportlich-eleganten Blazer mit Fischgrätmuster über die Stuhllehne gehängt. Roland hatte Lust, das Gleiche mit seinem nicht ganz so sportlichen zu tun. In dem Raum war es schwül. Er löste den Schlips.

      Vor Viktor saßen der Chef für organisierte Kriminalität, Thor Dam, und Vizepolizeidirektor Anker Dahl vom Polizeipräsidium in Aarhus, dessen Gesicht im Licht des Beamers düster aussah. Die kalten, blauen Augen leuchteten. Er zeigte die gleiche reservierte Haltung wie Viktor Enevoldsen mit verschränkten Armen und heruntergezogenen Mundwinkeln. Roland hatte das Gefühl, dass er der Anlass für die Einladung der DUP war. Der Hintergrund könnte sein, dass sie nach den Informationen durch den PET, der vor der erhöhten Terrorgefahr warnte, von gewissen Details bei der Schießerei im Stadtbus absehen und zu dem Schluss kommen sollten, dass es keinen Grund gab, gegen ihren Beamten zu ermitteln. Zum Beispiel das Detail, dass der Busfahrer weder bedrohlich aussah noch bewaffnet gewesen war und Zeugen im Bus berichteten, der Beamte habe ohne Grund geschossen, sobald er eingestiegen war. Sein Kollege, der sich außerhalb des Busses befunden hatte, behauptete, nicht gesehen zu haben, was sich drinnen abspielte. Vielleicht stimmte es. Es half dem Beamten auch nicht gerade, dass er sich auf Facebook hasserfüllt gegen Einwanderer geäußert hatte und kundtat, die neue nationalistische Partei DFD zu unterstützen.

      Vielleicht war es angesichts der Umstände nur natürlich, dass sie an der Besprechung teilnahmen. Roland dachte, dass es Anker Dahl dennoch irritiert haben musste, dass Viktor Enevoldsen entschieden hatte, ausgerechnet ihn mitzunehmen, da er sich aufgrund seiner früheren Verbindung zum Polizeipräsidium in Aarhus nicht an der Ermittlung gegen den Beamten beteiligen durfte. Ob es eine bewusste Provokation von Viktors Seite war oder die Tatsache, dass Roland der Einzige war, der im Augenblick keine anderen wichtigen Aufgaben hatte, war schwer zu sagen.

      Jørgen Lindt schaltete den Projektor aus, und jemand zog die Vorhänge zurück, sodass das Tageslicht hineinströmte und die, die am nächsten an den Fenstern saßen, blendete. Lindt sah auf den Fragenden herab, der immer noch auf eine Antwort wartete.

      „Sie fragen, wo sich die aufhalten, die mit Kampferfahrung zurück nach Hause gekommen sind? Leider geht man davon aus, dass mindestens die Hälfte in militant islamistische Milieus gehen, was eine größere Bedrohung ausmacht, da sie dort einen Sonderstatus erreichen können, der ausgenutzt werden kann, um Radikalisierung und Rekrutierung voranzutreiben. Aber wie gesagt behalten wir sie im Auge.“

      „Aber war das dann nicht in Kopenhagen der Fall? Den Gerüchten in der Presse zufolge waren es ja zurückgekehrte Krieger, die die Bomben in den Bussen platziert haben.“

      Jørgen Lindt räusperte sich und zog die Blicke auf sich.

      „Die Ermittlungen des Vorfalls in Kopenhagen sind noch nicht abgeschlossen. Wir sind uns noch nicht vollständig darüber im Klaren, wer die Bomben gelegt hat und um welche Sprengstoffe es sich überhaupt handelt. Vielleicht war es ein Sprengstoffgürtel, aber wir haben noch nicht alle identifiziert und bisher keinen Täter gefunden. Aber ja, es handelte sich um professionell hergestellte Bomben, meinen unsere Experten.“

      „Wie wurden sie in den Bussen platziert, die ja gerade Leute in Sicherheit bringen sollten?“, fragte eine andere barsche Stimme.

      „Ich kann mich zu dem konkreten Fall nicht äußern. Wie gesagt sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.“

      „Hat die erhöhte Terrorgefahr konkret in Aarhus etwas mit heimgekehrten Kriegern zu tun?“, fragte Anker Dahl. Die blonden Augenbrauen waren zusammengezogen, sodass sie ihm in Kombination mit dem harten, eisblauen Blick einen bestimmten, beinahe grimmigen Ausdruck verliehen.

      Ein Stück vor ihm saß der Bürgermeister. Roland konnte sein Gesicht nicht sehen, aber er vermutete, es war mindestens genauso verkniffen wie das des Vizepolizeidirektors. Sie überlegten sicher beide, wie sie das hier der Bevölkerung erklären sollten. Da hatten sie jede Gelegenheit in den Medien genutzt, hervorzuheben und zu betonen, dass die Situation vollständig unter Kontrolle war, dass es einen guten Dialog


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