Frauenrechte sind Menschenrechte - weltweit. Christa Randzio-Plath
Die Konferenz stellt fest, dass menschliche Sexualität und Geschlechterverhältnisse eng miteinander verbunden sind und sich zusammen auf die Fähigkeit von Männern und Frauen, sexuelle Gesundheit zu erreichen, aufrecht zu halten und ihr reproduktives Leben zu verwalten auswirken. Gleiche Beziehungen erfordern gegenseitigen Respekt und die Bereitschaft, Folgen der sexuellen Freiheit zu übernehmen. In vielen Ländern haben schädliche Praktiken zur Kontrolle der Sexualität von Frauen, zu großem Leid und Menschenrechtsverletzungen geführt, wie zum Beispiel die weibliche Genitalverstümmelung.
Reproduktive Gesundheit, so die Erklärung von Kairo, verbürgt das Recht von Männern und Frauen zum Zugang zu sicheren, wirksamen, erschwinglichen und akzeptablen Methoden der Familienplanung ihrer Wahl. Reproduktive Rechte umfassen Menschenrechte, die in internationalen Menschenrechtsdokumenten der Vereinten Nationen anerkannt sind. Es gibt daher das Recht Entscheidungen für Reproduktion frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt zu treffen. Alle Staaten werden aufgefordert die reproduktive Gesundheit über das primäre Gesundheitssystem zugänglich zu machen. Auch der Schwangerschaftsabbruch wird aus Gründen der Gesundheitsfürsorge genannt, weil er professionell dort durchgeführt werden soll, wo er nicht verboten ist. Information, Beratung und Dienstleistungen sollen auch jugendlichen und erwachsenen Männern zugänglich gemacht werden. Familienplanungsprogramme sind von wesentlicher Bedeutung.
■ Peking 1995 nicht zum Mahnmal verkommen lassen
Peking 1995 ist kein Vermächtnis. Die Aktionsplattform ist der Dorn in der Rose, der Stachel in jeder nationalen Gleichstellungspolitik, die so unbefriedigend läuft, dass weltweit die Frauen nach Untersuchungen vom Weltwirtschaftsforum 2020 noch weitere 100 Jahre auf Gleichstellung warten müssen. Das kann die Frauenbewegung nicht zulassen. Schließlich hindern weiterhin weltweit existierende Geschlechterstereotype und diskriminierende Normen sowie Verhaltensmuster Geschlechtergerechtigkeit. Der Mangel an Teilhabe der Frauen an politischer und wirtschaftlicher Macht verhindert den Respekt vor und den Schutz von FrauenMenschenrechten. Geschlechtergerechtigkeit ist weltweit durch den zunehmenden Autoritarismus, den Mangel an Demokratie, den Rechtsextremismus, die Diskriminierung der Frau und den Widerstand gegen die Rechte der Frau, vor allem in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, bedroht. Es fehlt zunehmend mehr an gleichstellungspolitischen Institutionen und an der Finanzierung von Geschlechtergerechtigkeit institutionell und personell. In keinem gesellschaftlichen Bereich reicht die Sensibilität für Diskriminierung als Menschenrechtsverletzung aus.
Die Aktionsplattform von Peking 1995 kennt zwölf kritische Problembereiche, in denen nach Auffassung der Weltfrauenkonferenz vorrangiger Handlungsbedarf besteht. Vorrangige Handlungsfelder sind: Frauen und Armut, Bildung und Ausbildung von Frauen, Frauen und Gesundheit, Gewalt gegen Frauen, Frauen und bewaffnete Konflikte, Frauen und Wirtschaft, Frauen in Macht- und Entscheidungspositionen, Institutionelle Mechanismen zur Förderung der Frau, Menschenrechte der Frauen, Frauen und die Medien, Frauen und Umwelt und Mädchen.
Die Aktionsplattform von Peking hat einfache und visionäre Vorstellungen, wie eine Welt der geteilten Verantwortung für beide Geschlechter aussehen soll. Im Rückblick begeistern sich Frauenaktivistinnen immer noch. Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu erinnert: «Das aufregendste in Peking war die enorme Vorbereitung der Frauen. Vor der Konferenz haben wir an einer starken, inhaltlich sehr unterschiedlichen Agenda gearbeitet, in der die Forderung nach der Gleichstellung der Geschlechter, nicht nur eine Forderung und Erklärung war, sondern eine Maßnahme zum Nutzen der Frauen, um sie in die nachhaltige Entwicklung einzubeziehen, zur Lösung aller Konflikte, mit denen Frauen konfrontiert sind, und zur Beendigung der Gewalt. Es war eine beispiellose Versammlung von Frauen, die ihre Stimme erhoben.» Die liberianische Jugendaktivistin June Wutoh stellt fest: «Die Konferenz in Peking hat uns das Gefühl gegeben, das wir mehr tun, die Dinge relativieren und mehr Maßnahmen fordern müssen. Die Atmosphäre auf der Konferenz war aufregend … Nach der Konferenz habe ich beschlossen, mich auf Aktivismus und Anwaltschaft für die Rechte von Kindern und Frauen zu spezialisieren.» Die bolivianische Frauenaktivistin Diana Urioste hat die Eröffnung der Weltfrauenkonferenz von 1995 auch 2020 noch eindrücklich vor Augen: «Dank der Pekingkonferenz wurde Gewalt gegen Frauen sichtbar. Heute ist es nötig die Selbstbestimmung über den weiblichen Körper weltweit durchzusetzen und für sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen zu kämpfen.» Allerdings sind die weltweiten Fortschritte langsam und uneinheitlich Die Ziele sind bis heute nur teilweise erfüllt. Wenige Regierungen wie die nordischen Staaten investieren kontinuierlich in die Gleichstellung der Geschlechter. Auch Frauenorganisationen werden unzureichend unterstützt. Befremdend sind die geringen Fortschritte zu Gleichstellungsstrategien wie Gender Mainstreaming, Gender Budgeting, Quoten und paritätischen Teilhabeforderungen.
Schwächen in der Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform zeigen sich nach wie vor. Die Gründe liegen nicht in der fehlenden Zustimmung zu den Gleichstellungsnormen, sondern in unzureichender Umsetzung und Finanzierung. Die Gleichheit vor dem Gesetz wird in der Praxis häufig durch eine mangelnde Unterstützung durch den Staat, institutionelle Hindernisse und Zugang zu materiellen Ressourcen untergraben. So kommt es weiterhin zur Feminisierung von Gewalt, Armut und prekärer Beschäftigung sowie Sorgearbeit. Von Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung sind dabei vorwiegend Frauen aus Armutsgebieten betroffen.
Die jährlichen Bilanzen der Frauenrechtskommission (CSW) zeigen immer wieder: Es gibt weltweit Fortschritte in der Umsetzung der Aktionsplattform von Peking. Sie sind aber uneinheitlich und langsam, gar zögerlich. Dramatisch sind die weiterhin bestehenden diskriminierenden Geschlechternormen und die vorherrschenden Geschlechterstereotype. Gewalt gegen Frauen bleibt weltweit auch deswegen eine Herausforderung für Regierungen und Institutionen. Sowohl Sanktionen wie Prävention und Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen haben an dem traurigen Zustand nichts geändert, dass jede vierte Frau weltweit bereits einmal Gewalt ausgesetzt war. Alle UN-Staaten werden zu Maßnahmen aufgefordert, Gewalt gegen Frauen zu verhindern, Gewalt zu beseitigen, präventiv tätig zu werden und Frauenhandel abzuschaffen. Es gibt inzwischen viele Strafgesetze, nationale Aktionspläne und die Europaratskonvention gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Die Istanbul-Konvention ist ein wichtiges Beispiel für die Durchsetzungskraft der Zivilgesellschaft: Nein heißt Nein!
Die damalige UN-Generalsekretärin für die Weltfrauenkonferenz 1995, Gertrude Mongella aus Tansania, schlug besondere Maßnahmen vor, um gleichstellungspolitische Fortschritte zu erzielen. Gebraucht werden der Wandel von diskriminierenden gesellschaftlichen Normen und Geschlechterstereotypen, der Wandel der Wirtschaft zugunsten der Gleichstellung der Geschlechter und der nachhaltigen Entwicklung, die gleichberechtigte Partizipation der Frauen an allen Entscheidungsprozessen, die Verwirklichung der Menschenrechte von Frauen und deutlich gesteigerte kontrollierbare Investitionen in die Geschlechtergleichstellung. In Addis Abeba auf dem Peking+25-Gipfel der afrikanischen Staaten 2020 forderte sie erneut die Einlösung ein.
■ Peking +25 Jahre: Weiterkommen wäre möglich gewesen
Eine Bewertung der Umsetzung von der Aktionsplattform von Peking durch den UN-Generalsekretär 2019 lohnt und kann ein Blick in die Zukunft werden, wenn die konkreten Umsetzungsfortschritte endlich erfolgen, zu denen Regierungen verpflichtet sind. 2015 übernahm die UN-Agenda 2030 zu nachhaltiger Entwicklung die wichtigen Forderungen der Aktionsplattform von Peking und muss sie bis 2030 einlösen. 2020 verpflichten sich die UN-Staats- und Regierungschefs erneut zur beschleunigten umfassenden Umsetzung in ihren Staaten.
Die Bilanz von 25 Jahre Peking 1995 ist gemischt. In den unterschiedlichen Handlungsfeldern sind Frauen Gewinnerinnen oder Verliererinnen. Es geht um keinen Wettbewerb. Schließlich sollen alle Frauen gleichgestellt werden. So setzen Weltregionen wie die Europäische Union zu Recht auf die Bekämpfung von Frauenarmut, weil mehr Frauen als Männer von Armut bedroht sind oder in Armut leben. Die meisten armen Frauen leben in ländlichen Gebieten. Armut wird als mehrdimensionales Problem begriffen. Armut wird nicht allein als Einkommensarmut verstanden, sondern auch als Ressourcenarmut. Es geht um den gleichen Zugang zu Ressourcen aller Art wie Kredite, Eigentum, Wasser, Wissen und die Berücksichtigung der Frauenfrage bei allen makroökonomischen Strategien. Diese Forderung übernimmt Ziel 5 der UN-Agenda 2030, auch in den Unterzielen.
Nicht-diskriminierende Bildung auf allen