Der Liebe Zaubermacht. Anny von Panhuys
„Herr Doktor, beabsichtigen Sie mich zu uzen?“ schrie er mit Donnerstimme. „Möchten Sie mir mit ollen Märchen und Sagen den Kopf dumm machen? Daß Sie kein reicher Mann sind, ist mir vollständig gleichgültig, Sie sind ein ungewöhnlich tüchtiger Ingenieur, darauf kommt es mir an, und daß einer von altem Adel sich so einen ordentlichen, gediegenen Beruf wie Sie erwählten, gefällt mir erst recht.“ Er überhastete sich förmlich. „Daß Sie mir aber faulen Zauber vormachen wollen, ärgert mich. Wenn Sie sich übereilt haben mit Ihrer Küsserei, wenn Sie sich, der Lockung einer schönen Stunde folgend, zu etwas haben hinreißen lassen, was Sie heute reut, dann bringen Sie als Mann aber wenigstens so viel Mut auf, ehrlich zu sein. Man spielt nicht mit Amadora und ihrem Vater Versteck, Herr von Rauberg.“
Zornig blitzten Leonhard Werkentins Augen den Jüngeren an. Konrad von Raubergs Brust hob sich schwer atmend.
Er hatte es ja gewußt, der einfach denkende Vater der Geliebten würde ihm nicht glauben.
„Wie können Sie mich nur mit solchen Albernheiten ins Bockshorn jagen wollen?“ sagte der Ältere kopfschüttelnd.
Konrad von Rauberg erwiderte sehr ernst:
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, alles, was ich Ihnen erzählte, entspricht der Wahrheit. Ich fürchte lediglich den alten Fluch, nur er ist es, der zwischen Amadora und mir steht, er schreckt mich wie ein böses, hartes Urteil!“
Da schüttelte der Ältere abermals den Kopf.
„Der Himmel soll mich bewahren, diesen Unsinn ernst zu nehmen! Das ist Spinnstubenklatsch und Waschweibertratsch. Paßt zu Wahrsagerinnen, die einen schwarzen Raben auf der Schulter hocken haben und Dumme belügen. Paßt aber doch nicht zu Ihnen und Ihren Geschwistern.“ Er lachte. „Sie haben ein Paar durchaus normale Hände, und das genügt mir. Wenn Sie verwachsen wären, würde ich Sie ja auch nicht gern an Amadoras Seite sehen, aber solch Mumpitz schreckt mich nicht.“
Er begann lauter und herzhafter zu lachen.
„Wenn das wirklich alles ist, was Sie hindert, meinem Kinde die Ruhe wiederzugeben, dann zögern Sie keine Minute mehr, dann nehmen Sie Ihren Hut und Überzieher und kommen Sie mit mir zu Tisch. Wir können daheim gleich so eine kleine intime Vorverlobung feiern.“ Konrad von Rauberg wollte aufstehen; doch im selben Augenblick klopfte es schüchtern an, und dann stand ein feines, kleines Wesen auf der Schwelle mit großen Mandelaugen von tiefblauer Farbe und lichtblondem, wirrem Haargelock.
Ein leichtes weißes Kostüm, ein winziges weißes Seidenbarett kleideten das zierliche, anmutige Mädchen entzückend.
Jetzt sprang Konrad von Rauberg auf, polternd fiel sein Stuhl zu Boden.
Daraufhin drehte sich Leonhard Werkentin um, starrte auf die holte, achtzehnjährige Blondheit.
„Amadora, was willst du hier?“
Amadora Werkentin sah von einem zum anderen.
„Ich wollte dich abholen, Vater, und nachdem ich lange in deinem Kontor gewartet und dann im Vorbeigehen hier laut sprechen hörte, deine Stimme hörte, Vater, fürchtete ich . . .“
Jetzt zog Leonhard Werkentin mit unendlich zärtlicher Bewegung seine prinzessinfeine Tochter vollends ins Zimmer.
„Was fürchtetest du denn, Amadora?“ fragte er, und ein leichtes, schalkhaftes Lächeln lag um seinen breitlippigen Mund.
Sie errötete. „Mutter hat mir vorhin gesagt, sie hätte dir alles verraten, und da fürchtete ich . . .“ ihr Blick flog zu Konrad von Rauberg, da fürchtete ich, du würdest ihn schelten“, stotterte sie.
Leonhard Werkentin schaute seinen Oberingenieur mit ernst forschenden Augen an, sprach leise:
„Ich verlache Ihre Bedenken, wollen Sie feiger sein als ein Vater?“
Amadora zog die schmalen, dunklen Brauen hoch.
„Was sagtest du da eben, Vater?“
Konrad von Rauberg warf im Moment jedes weitere Bedenken über Bord als überflüssigen, beschwerenden Fahrballast. Er nahm Amadoras beide Händchen in seine Hände, küßte sie eine nach der anderen wie zerbrechliche Kostbarkeiten aus einem Altarschrein.
„Amadora, ich wagte nicht recht, um dich zu werben, trotz unserer Küsse, du schienest mir zu schade, zu gut für einen, der den herben Namen Rauberg trägt. Doch nun ich mich mit deinem Vater ausgesprochen, ist es mir, als dürfte ich es wagen, und deshalb, hier vor deinem Vater, nimm mein Versprechen, daß ich dich achten und ehren werde als mein köstlichstes Gut, wenn du mein Weib werden willst.“
Da entzog ihm Amadora die feinen Fingerchen und mit strahlendem Glücksleuchten in den wundervollen tiefblauen Augen jubelte sie, während sie ihre Arme um seinen Hals schlang:
„Ob ich will, ob ich will? Tausendmal ja! ich will, weil ich dich liebhabe, Konrad.“
Leonhard Werkentin fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Komisch, es war ihm fast, als kitzele ihn ein Tränlein der Rührung.
Dummes Zeug, ein Leonhard Werkentin ist nicht gerührt, der freut sich laut und lacht ein paarmal derb auf, jagt damit alle Rührung zum Teufel. Und nun lachte der breitschulterige, grobknochige Mann wirklich und konnte doch nicht verhindern, daß ein paar vorwitzige Tränenperlchen über seine Wangen kollerten.
Er putzte die feuchten Kugelchen schnell fort und blickte auf sein Mädchen.
Wie eine Elfe sieht sie aus, mußte er denken. Mochte nur der Himmel geben, daß sie an der Seite des von ihr erwählten Mannes wirklich das reine, echte Glück fand!
In seinen Augen wetterleuchtete es.
Wenn sie das Glück nicht fand, dann wehe dem Manne! Und von der dummen Sage von der verstümmelten Rechten der Raubergs brauchte sie eigentlich überhaupt nichts zu erfahren. Wenn die Geschichte auch lächerlich war, konnte man schließlich doch nicht wissen, wie Amadora sie aufnahm. Er wollte Konrad von Rauberg nachher gleich einen diesbezüglichen Wink geben.
Und er tat es bei erster Gelegenheit.
Konrad erwiderte lächelnd:
„Ich werde schweigen. Mein Glück steht mir viel zu hoch, als daß ich es in Gefahr bringen möchte. Und ich begreife nicht, wie ich noch vor kurzem so abergläubisch sein konnte. Nun ich Amadora vor aller Welt meine Braut nennen darf, erscheint mir der alte Fluch wirkungslos geworden.“
Er sandte einen langen Brief an die Geschwister, meldete ihnen, was geschehen, und nannte Ilma feige.
„Nimm dir dein Glück, zerbrich es nicht in Scherben um eines Phantoms willen, Schwester!“ schrieb er.
Norbert hatte ihr den Brief, nachdem er ihn in seinem Arbeitszimmer gelesen, bei der Abendmahlzeit übergeben. Jetzt saß sie in ihrem Schlafzimmer, las ihn noch mehrmals, und tausend Gedanken schossen dabei durch ihren Kopf. Konrad bat in dem Brief, niemals zu Amadora eine Silbe von dem Fluch zu äußern. Ein Bild Amadoras lag dem Briefe bei.
Ilma dachte: Sie ist so fein, sie zerbräche, wenn sich das Geschick an ihr erfüllen würde.
Sie legte den Brief und das Bild auf ein Tischchen und ging an das breite Eckfenster, das einen Ausblick auf die nahen Berge gewährte.
Auf dem leicht vorgelagerten Kegel hob sich der alte Wartturm gleich einem breiten, drohenden Finger, schob sich massig und düster in den hellen Dämmer des Herbstabends.
Ilmas Gedanken flogen unwillkürlich weit zurück in die Vergangenheit. Während des letzten Teils des Dreißigjährigen Krieges sollte eine Zeitlang ein landfahrender Astrologe auf dem Turm gehaust, sollte Herrn Ottomar Erhardt oft das Horoskop gestellt haben. Denn in jener Zeit liebten es die Herren, sich aus den Gestirnen ihr Schicksal künden zu lassen. Glaubten fest daran, daß die urewigen, unendlich fernen, unendlich großen Gestirne im Weltraum das Schicksal der Menschen bestimmten.
III
Norbert von Rauberg hatte in der Kreisstadt zu tun,