Der Liebe Zaubermacht. Anny von Panhuys
War er schon so weit, daß er ein Schachergeschäft ins Auge faßte, um ein köstliches Juwel einzutauschen?
Scham schüttelte ihn. Nein, so bescheiden war er nicht. Liebe mußte auch mit Gegenliebe zahlen!
Ilma fragte ihn, ob er Frau von Amelunxen aufgesucht hätte. Er bejahte die Frage und erwähnte flüchtig, die mütterliche Freundin habe sich von ihrer letzten Reise eine neue Gesellschafterin mitgebracht. In den nächsten Tagen dürfte man die Damen auf Rauberg erwarten.
„Sieh einmal an“, wunderte sich Ilma, „so ist Fräulein Becker also nicht mehr persona grata bei Tante Amelunxen? Das ist gut, hab ebensowenig für sie übriggehabt wie du. Wes Geistes Kind ist denn die Neue?“ setzte sie hinzu und blickte den Bruder an.
Er schluckte förmlich, ehe er antwortete. Nur nicht ausführliche Auskunft geben! Er fürchtete, seine Worte würden sonst zu einem gewaltigen Hymnus auf Eleonores seltene Schönheit ausklingen.
„Fräulein Rasmussen ist eine mittellose Professorentochter, die Latein und Griechisch, Mathematik und mehr Weisheit versteht.“
Unvermittelt wollte er auf ein anderes Thema überspringen.
Ilma lächelte. „Allem Anschein nach ist dir die Neue so unsympathisch, wie es Fräulein Becker gewesen, und ich kann mir schon das Äußere dieses Fräuleins vorstellen. Eine Professorentochter, die mit Latein und Griechisch vollgepfropft ist, dürfte ein Scheusälchen sein.“
Norbert wehrte ab. „O nein, aber . . .“
Ilma nickte ihm zu. „Laß nur, Bruder, weise Damen sind selten reizvoll. Weshalb soll Tante Amelunxens Gesellschafterin zu den Ausnahmen gehören?“ Sie blickte mit umflorten Augen vor sich nieder. „Bernd hat mir vorhin durch einen Boten einen Brief gesandt. Er will sich noch immer nicht mit meinem Entschluß abfinden, stellt mir eine Art Ultimatum, ich soll mir alles noch einmal gründlich überlegen. In einigen Wochen will er sich die Antwort holen. Wenn ich dann nicht ja sage, schreibt er, wird er sein Gut verkaufen und weit fortgehen, auswandern. Er könne nicht in meiner Nähe bleiben, so wie die Dinge jetzt stehen.“
Ilma war dem Weinen nahe.
„Konnten wir denn nicht in guter Freundschaft leben, Bernd und ich, meinst du nicht auch, Norbert? Bernd ist hart gegen sich und mich!“
Norbert dachte an die Gesellschafterin Frau von Amelunxens, die er erst ein einziges Mal im Leben gesehen, und die dennoch schon eine Macht auf ihn ausübte, sein Denken beeinflußte, wie es seither noch nie ein Mensch getan.
„Ich glaube Bernd zu verstehen, Ilma“, gab er zurück, „er fühlt sich außerstande, dir oft zu begegnen, er fürchtet sich, zu mächtig an ein Glück erinnert zu werden, das er schon von je ersehnt, und das ihm nie zu Teil werden soll, weil du dich eigensinnig auf einen alten Aberglauben versteifst. Er von seinem Männerstandpunkt grollt dir und muß dir grollen.“
Ilma machte eine heftige Bewegung, wollte etwas erwidern und schwieg dann doch.
Schließlich, alles, was sie zu ihrer Entlastung hätte vorbringen können, wurde immer wieder zu einem Schmerz für Norbert; denn er war doch der Unfreieste, war der in dieser Generation Gezeichnete.
Sie versuchte zu lächeln, aber das Herz war ihr gar so schwer, und plötzlich fiel sie dem Bruder um den Hals und weinte, weinte . . .
Beruhigend strich er über das krause, braune Haar.
„Es kann ja noch Rat werden, du ringst dich sicher noch zum Mut durch.“
Ilma schwieg auch jetzt, aber sie dachte, eigentlich gehörte ungleich mehr Mut und Willenskraft dazu, einem Glück zu entsagen, als es skrupellos an sich zu reißen.
IV
Auf eine Benachrichtigung Frau von Amelunxens sandte Norbert den Landauer nach der Kreisstadt, und am frühen Nachmittag fuhren die Damen vor der kleinen Freitreppe des Gutes an.
Ilma und Norbert standen beide zur Begrüßung bereit, und Ilma mußte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um beim Anblick Eleonores Rasmussens nicht einen lauten Ausruf höchsten Erstaunens auszustoßen.
Eine blendende Schönheit, eine junge Fürstin entstieg dem Wagen.
Die Kleidung war zwar überaus einfach, aber vielleicht unterstrich gerade diese Einfachheit die körperlichen Reize der Gesellschafterin doppelt. Ein ganz schmuckloses Cheviotkostüm von grauer Farbe, ein kleiner Dreispitz vom gleichen Grau gab ihrem Aussehen etwas so überaus Vornehmes, daß Ilma sich zusammenreißen mußte, um sich nicht tief zu verneigen vor der armen Professorentochter.
Eleonore bemerkte Ilmas Erstaunen, und ein leichtes, hauchartiges Lächeln irrte über ihre wundervollen Züge, gab ihnen einen neuen Reiz. Doch gleich kehrte die kühle Ruhe darauf zurück, die ihnen gewöhnlich eigen war.
Nach dem Kaffee suchte man den Wartturm auf.
Eleonore fand die Schwester des Gutsherrn ebenso sympathisch wie ihn und dachte mit heimlichem Aufatmen, wie gut es für sie sei, jetzt in völlig anderen Verhältnissen zu leben als früher, allem fern, was ihr Schmerz und Sorge bereitete. Bei Frau von Amelunxen war Frieden, und Frieden war bei ihren Freunden.
Oder nicht? War dieser Frieden, der sie hier auf Rauberg so wohltuend berührte, nicht echt, war er nur scheinbar, und lauerten unter seiner Decke Stürme und Qualen? Frau von Amelunxen hatte ihr ja kein Hehl daraus gemacht, welcher finstere Geist im Hause der Raubergs umging und das alte, edle Geschlecht dem Untergang weihte.
Doch nicht! Ein Rauberg hatte sich verlobt; aber die Geschwister hier auf dem Gut wollten dem Moloch Vergangenheit opfern.
Sie beobachtete Ilma.
Das hübsche Mädchengesicht trug Spuren von Leid, und um die klugen Grauaugen lagen Schatten, die wohl geblieben als Zeugen durchwachter und durchweinter Nächte.
Eleonore ließ den Blick in die Runde schweifen.
„Sie wohnen in besonders lieblicher Gegend, Fräulein von Rauberg“, sagte sie, „ich habe den Taunus früher nicht gekannt, das heißt, ich habe die Berge nur gelegentlich einer Reise von weitem gesehen. Es ist so heimelig hier. Ich glaube man kann hier hausen und das Leben da darußen in der Welt verträumen, vergessen.“
Ilma schaute die ihr zur Linken gehende hochgewachsene Dame forschend von der Seite an. Was sich die Natur für Launen gestatte! Schuf ein Meisterwerk, gab ihm einen hochgelehrten, aber armen Mann zum Vater und stieß es dann in den Schatten einer dienenden Existenz.
Eleonore wies auf den Wartturm, der plump und massig vor ihnen aus dem kahlen Bergkegel erwuchs.
„Ich bin begierig, das Tuskulum eines alten Astrologen kennnenzulernen.“
Ilma zuckte mit den Schultern.
„War ein landfahrender Herr, der Astrolog, soll aber ziemlich lange auf Rauberg geweilt haben. Unser Vorfahre, unter dem er hier Obdach fand, soll nichts ohne seinen Rat angefangen haben.“
Eleonore nickte. „Ja, die Astrologen haben einmal starken Einfluß gehabt, Es ist ja historisch festgestellt, daß Wallensteins Hausastrologe, Battista Zenno oder Seni genannt, sich in den letzten Tagen des großen Feldherrn ständig in seiner Nähe aufgehalten hat.“
Jetzt war der Berg, zu dem man auf sanftgewundenen Pfaden emporschritt, erstiegen.
Norbert wandte sich der Gesellschafterin zu.
„Ein bißchen Staub und Spinngewebe werden Sie oben mit in den Kauf nehmen müssen, Fräulein Rasmussen. Die Raubergs haben bisher wenig Interesse für das ehemalige Sterndeuterquartier da oben gezeigt. Nur die Plattform ringsum lockt einen oder den anderen von uns hinauf. Der Blick genießt da oben die Schönheiten der Heimat, der Krimskrams alter Scharteken und Instrumente läßt uns kalt.“
Er öffnete mit einem großen, altfränkisch geformten Schlüssel eine kleine Tür, die über und über mit Eisen beschlagen war, und ging den Damen voran.
Schmale, sehr ausgetretene Steinstufen führten zum