Der Liebe Zaubermacht. Anny von Panhuys

Der Liebe Zaubermacht - Anny von Panhuys


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gefallen hatte.

      Frau von Amelunxen bemerkte sein Erstaunen, und als Eleonore auf Minuten das Zimmer verließ, um etwas aus der Küche zu holen, sagte sie:

      „Nicht wahr, ich habe mir eine ganz besondere Gesellschafterin zugelegt. Wie eine entthronte Fürstin eines südlichen Landes wirkt sie, und ist doch nur ein armes Hascherl, dem der Vater nichts hinterließ, als was sie auf dem Leibe trägt. Dafür aber kann sie Latein und Griechisch sowie Mathematik und kennt den Sternenhimmel, wie ich ungefähr unsere Kleinstadtstraßen kenne. Sie ist etwas menschenscheu, ihr Charakter ist vornehm und großzügig. Ich verstehe mich ausgezeichnet mit ihr, besser als mit Fräulein Becker.“

      „Sie ist wie ein bezauberndes Bild, Tante Amelunxen, es ist ein künstlerischer Genuß, sie nur anschauen zu dürfen“, erwiderte Norbert.

      Dann jagte eine flüchtige Röte über sein scharfes Rauberggesicht. „Ich rede Unsinn, Tante Amelunxen, lachen Sie nur auch!“

      Eben trat Eleonore wieder ein, das Mädchen war bei ihr, und bald darauf konnte man am Tisch Platz nehmen.

      Die Teemaschine dampfte, und Eleonore bereitete mit reizender Geschicklichkeit den goldbraunen Erfrischungstrank, reichte Norbert die gefüllte Tasse.

      Frau von Amelunxen plauderte von ihrer letzten Reise, Eleonore warf mit ihrer tiefen, warmen Altstimme zuweilen ein paar Sätze ein.

      Norbert beteiligte sich am Gespräch, aber was er redete, hätte er später kaum zu sagen gewußt. Immer wieder suchten seine Blicke heimlich die schöne Eleonore Rasmussen, die ihm die Verkörperung all dessen schien, was ihm eine Frau reizvoll machte.

      Frau von Amelunxen versprach, in Kürze einmal nach Rauberg zu kommen und setzte hinzu: „Rauberg dürfte auch besondere Anziehungskraft auf Sie ausüben, liebe Eleonore, es gibt dort einen alten Wartturm, der einst das Asyl eines Astrologen gewesen ist. Die Räume, darin er gehaust, befinden sich noch so ziemlich in dem ehemaligen Zustand.“

      Eleonore Rasmussen blickte zu dem jungen Gutsherrn hinüber.

      „Das interessiert mich allerdings sehr, Herr von Rauberg, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn . . .“

      Sie sah Frau von Amelunxen bittend an.

      Die Dame nickte ihr zu.

      „Ich habe Herrn von Rauberg schon vorhin erzählt, daß Sie etwas von der Astronomie verstehen, und er begreift deshalb natürlich, daß Sie auch für die Astrologie etwas übrighaben.“

      Eleonore Rasmussen lächelte.

      „O, eine ganze Menge habe ich dafür übrig. Denn schließlich kann man doch nicht ganz beiseiteschieben und mit ein paar Worten abtun, was bedeutende Männer fast unheimlich stark beeinflußt hat. Und wenn auch heute kein aufgeklärter, denkender Mensch der Sterndeuterei besondere Zugeständnisse machen wird, muß man doch staunen, daß ein Mann wie Wallenstein ganz blind daran glaubte, sein Schicksal sei ihm vorher in den Gestirnen bestimmt. Merkwürdig auch, daß ein durchaus klarer Kopf wie Luther etwas von der Sterndeuterei gehalten haben soll und sein Freund Melanchton selbst das Horoskop stellte.“

      Norbert erfreute sich an dem Anblick des belebten, schönen Gesichts, und er dachte, schade, daß Eleonore Rasmussen nicht weitersprach. Er hätte ihr immerfort zuhören mögen.

      Er war Frau von Amelunxen fast dankbar, die sie durch die Bemerkung, die Astrologen hätten eigentlich kaum jemandem genützt, zum Weitersprechen brachte.

      Eleonore schüttelte den Kopf.

      „Sie irren, gnädige Frau, mit der Annahme, wenn es auch so scheint. Die Astrologen haben der astronomischen Wissenschaft genützt, und zwar dadurch, daß sie gründliche Aufzeichnungen über den Lauf der Gestirne machten, die dann zum Besten der ernsten Astronomie verwandt werden konnten.“

      Es trat wieder Schweigen ein. Draußen fuhr ein Wagen vor. Norbert horchte auf. Die Plauderstunde war um. Franz wollte ihn abholen.

      Er verabschiedete sich von Frau von Amelunxen mit der Bitte, recht, recht bald nach Rauberg zu kommen, der Wagen stehe jederzeit zur Verfügung, die Damen abzuholen, und dabei freute er sich schon auf das Wiedersehen mit Eleonore Rasmussen, der er zögernd die Linke reichte.

      Seine Rechte hielt er krampfhaft versteckt.

      Eleonore fragte, nachdem er gegangen, Frau von Amelunxen darüber; es war ihr aufgefallen, daß Norbert Rauberg sowohl die Teetasse mit der Linken zum Munde geführt hatte wie die kleinen Kuchen.

      Da erzählte Hertha von Amelunxen von dem Fluch der Raubergs, an den sie selbst nicht glauben wollte, wenngleich sie sich nicht ganz frei davon machen konnte, daß es da doch Zusammenhänge zwischen dem eidbrüchigen Herrn des siebzehnten Jahrhunderts und dem jetzigen Ältesten der Familie geben müßte. Daß eine Kette liefe von jenem zu diesem.

      Eleonore Rasmussen begriff nun, weshalb Norbert von Rauberg davor zurückgeschreckt war, ihr beim Abschied die Rechte zu bieten.

      Fast hätte sie gelächelt, und heimlich tat sie es auch. Schätzte er sie so ein, glaubte er ein kleines, zimperliches Weibchen vor sich zu haben?

      Ihre schlanke, hohe Gestalt schien zu wachsen, und sic dachte, daß ihr eine ehrliche Manneshand mit drei Fingern lieber sei als eine normale Hand, an der fünf falsche Gierfinger saßen. Ekel schüttelte sie, wenn sie an eine solche Hand dachte, die sie einmal gekannt, die ihr Liebe und Treue geschworen, und Liebe und Treue gelogen und getrogen hatte.

      Noch nicht allzu weit lag das Erleben zurück, aber es schmerzte nicht mehr; allzu tief hatte sie die Wunde ausgebrannt mit dem scharfen Höllenstein — Verachtung!

      Doch jetzt daran nicht denken! Schade um jeden Gedanken an einen völlig wertlosen Menschen!

      Frau von Amelunxen erzählte von Rauberg, und ihre Gesellschafterin hörte zu, beschwor Norberts Gestalt vor ihr geistiges Auge, erinnerte sich seiner vornehmen Haltung, seiner offenen, angenehmen Züge, und ein Gefühl von warmer Sympathie quoll in ihr auf.

      Ob seine Schwester Ilma ähnlich war wie Norbert Rauberg?

      Und während Eleonores Gedanken sich so mit Norbert und der Familie Rauberg beschäftigten, weilten des Mannes Gedanken nur bei ihr.

      Wie eine Offenbarung war ihm die Gesellschafterin Frau von Amelunxens erschienen, und niemals im Leben hatte ihn die verkrüppelte Rechte so geschmerzt wie heute, da er davor zurückgescheut, sie einem schönen Weib zum Abschiedsgruß zu bieten.

      Er überlegte. Wie viele Männer waren entstellt, mit Körpergebrechen aus den Kriegen heimgekehrt, ohne deshalb auf Liebe und Ehe zu verzichten. Aber etwas anderes, etwas ganz anderes dünkte ihn das.

      Sein Gebrechen war erblich!

      Ein Jammer ohnegleichen packte ihn an, und es schoß ihm durch den Kopf, es wäre ihm tausendmal wohler gewesen, wenn er Eleonore Rasmussen niemals begegnet wäre. Aber nein, nein! Herrlich war es, sie nur gesehen zu haben. Eine kostbare Statue, ein Meisterbild darf man bewundern, sich daran erfreuen, ohne Begehr danach zu tragen. Ein Rauberg muß bescheiden sein. Die schlichteste Magd würde es sich noch überlegen, ob ihr ein Rauberg gut genug sei, ob sie das frevle Spiel wagen dürfe, daß ihr erstes Kind als „ein Rauberg mit drei Fingern“ zur Welt kommen könnte.

      Dennoch, seine allzu finsteren Gedanken überhuschte gleich einem blendenden, kurzen Licht, aus geheimnisvollen Höhen entsandt, die Aussicht, Eleonore Rasmussen bald wiederzusehen, und mehr im Unterbewußtsein freute er sich auch darüber, daß die schöne Eleonore nur eine Gesellschafterin und arm war. Er gebot ja auch über keine Reichtümer; aber ein sorgenfreies Leben vermochte er der Frau, die ihm angehören wollte, doch zu bieten. Vielleicht auch ein wenig mehr.

      Die stolzen Schultern Eleonores würden bald müde werden unter dem Joch der Abhängigkeit. Wenn Frau von Amelunxen auch keine Tyrannin war von der Sorte, die eigens dazu geschaffen schienen, arme Gesellschafterinnen zu quälen, so gab es, wenn man das Brot der Abhängigkeit aß, doch nicht immer weiche Brocken.

      Er rief sich selbst zur Ordnung. Wohin verirrte sich sein Sinnen und Sehnen?


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