Der Liebe Zaubermacht. Anny von Panhuys

Der Liebe Zaubermacht - Anny von Panhuys


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Treppe eine Biegung, zweimal konnte man auf einem meterbreiten Viereck ausruhen, ehe man weiter zur Höhe kletterte.

      Endlich war ein Vorraum erreicht. Grob und ungefügig drängte sich der Steinbau hier zusammen, und eine vielhundertjährige Vergangenheit hockte zwischen den Quadern und spie ihren muffigen Atem aus, trübte den frischen Hauch der Gegenwart, den die vier Menschen mit sich brachten aus der Helle des sonnigen Tages, der über dem Taunuslande lag.

      Eine Truhe stand in dem Vorraum. Sie war von häßlicher Form, mit grober Schnitzerei verziert, niemand mochte bisher Verlangen nach dem unschönen Möbel empfunden haben.

      Eleonore Rasmussen blieb davor stehen.

      Norbert erklärte, die Truhe enthalte viele alte stockfleckige Bücher, die anscheinend noch keinen Rauberg gereizt hätten.

      „Aber eine Professorentochter reizen sie“, gestand Eleonore lächelnd.

      Norbert schlug den schweren Deckel zurück. Die Truhe war über die Hälfte mit alten Folianten und allerlei vergilbten Papieren vollgestopft.

      „Wenn Sie die Bücher genauer besichtigen wollen, Fräulein Rasmussen, steht die Truhe zu Ihrer Verfügung“, sagte Norbert, und ohne daß er es wollte, lag etwas von der großen Bewunderung, die er für ihre Schönheit empfand, im Blick seiner Augen, im Ton seiner Stimme.

      Elenore nahm eins der obenliegenden Bücher empor.

      Es war in Schweinsleder gebunden und verfasert, dikker Staub hing daran. Sie öffnete es, schaute neugierig hinein.

      Es war ein handschriftliches Exemplar, und sie legte es zögernd zurück, die wenigen Worte, die sie dabei sprach, verrieten, daß sie sich am liebsten sofort damit beschäftigt hätte.

      Frau von Amelunxen konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

      „Liebe Eleonore, Herr von Rauberg hat Ihnen eben die ganze Truhe zur Verfügung gestellt, er wird Ihnen sicher gestatten, sich dieses Buch bei ihm auszuleihen.“

      „Aber natürlich, nehmen Sie mit heim, was Ihnen beliebt“, antwortete Norbert überschnell, froh, Eleonore Rasmussen eine Gefälligkeit erweisen zu dürfen.

      Mit Dank nahm Eleonore an und legte sich das Buch zum späteren Mitnehmen zurecht.

      Jetzt öffnete Norbert ein schmales Türchen, ein niedriges, kleines Gemach tat sich auf, und man hätte meinen können, um Jahrhunderte zurückversetzt zu sein in diesem Raume, der einmal den Sterndeuter Herrn Ottomar Ehrhards beherbergt hatte.

      Ein unförmiger Tisch nahm fast das halbe Zimmer ein. Darauf standen ein rohgeschnittenes Kruzifix und ein Totenkopf, daneben lagen zwei Folianten und ein altes Doppelfernrohr, das noch zu jenen ersten des Holländers Lippershey gehören mochte. Außerdem befand sich auf dem Tische eine Himmelskugel aus über- und ineinandergehenden Ringen gebildet. Ein wurmzerfressener Stuhl befand sich weiter in dem Raume und an den Wänden auf schmutziggelben Kartons einige seltsame Zeichnungen, die Horoskope vorstellten. Eine niedrige Bettstatt, ein paar uralte Krüge war alles, was der Raum sonst noch enthielt, und doch stand Eleonore Rasmussen, als sähe sie ganz besondere Dinge.

      Norbert schob einen Vorhang zurück, der die eine Zimmerecke abschnitt. Eine schmale Treppe ward sichtbar, verblüffte hier im Zimmer. Norbert lächelte über Eleonores erstaunten Blick. Er stieg die sechs Stufen hinauf, stieß eine Luke auf. Der blaue Gotteshimmel schaute in das alte Gemach, darin noch der Geist eines längst gestorbenen Jahrhunderts webte.

      Eleonore folgte Norbert hinauf zur Plattform. Frau von Amelunxen und Ilma blieben im Zimmer zurück, da die ältere Dame nicht schwindelfrei war.

      Die Ummauerung, die in Meterhöhe die Plattform umgab, zeigte Risse und Sprünge. Eleonore sah bewegt hinaus in die Weite, die sich jetzt ihren bewundernden Augen darbot.

      „Die herrliche Welt liegt uns jetzt zu Füßen“, lächelte sie, und indem sie hinaufschaute zum Firmament, sagte sie bewundernd: „Ein besseres Heim für einen Astrologen als den Wartturm von Rauberg vermag ich mir kaum vorzustellen. Ich male mir aus, wie er an sternenreichen Abenden hier oben stand und, zum Himmel blickend, die Konstellation der Sterne zu einem Zusammenhang mit den Menschenschicksalen zwingen wollte.“ Sie wandte sich lebhaft an Norbert. „Wenn jener Astrolog kein Charlatan war, der Törichte ausnützte, sondern ein Mann, der selbst glaubte, was er verkündete, hat er von hier aus die Verbindung mit dem Himmelsgewölbe in geradezu idealer Weise herstellen können.“

      Norbert neigte den Kopf.

      „Das mag wohl richtig sein, Fräulein Rasmussen.“

      Ihm war es, als ruhte ihr Blick auf seiner Rechten, die er gedankenlos auf den Mauerrand gelegt hatte. Mit jäher Bewegung zog er sie zurück, dunkler färbte sich sein gebräuntes Gesicht dabei.

      Eleonore deutete die Bewegung richtig.

      Ihre eben noch lächelnden Züge wurden sehr ernst.

      „Herr von Rauberg, bitte, werfen Sie mich bitte nicht in einen Korb mit albernen Zimperliesen, die vor einer Hand erschrecken, weil Natur die Hand ein wenig stiefmütterlich behandelte! Ich weiß von Frau von Amelunxen, welches Leid Sie drückt! Es ist also nicht nötig, es vor mir zu verstecken.“ Ihre Stimme ward leiser, und doch kam jedes Wort hart und fest aus ihrem Munde.

      „Ich meine, ein Mann dürfte so einen kleinen Schicksalsstoß nicht derart auffassen, daß er ein Lebensdrama daraus macht. Es laufen so viele arme Krüppel in der Welt herum, die weder Heim noch Geld besitzen. Der Fehler, den die Natur an Ihrem Körper begangen, ist gar so winzig und müßte von Ihnen überwunden werden können.“

      Norbert empfand die Worte wie einen scharfen Schlag. Unwillkürlich richtete er sich straffer auf.

      „Nun, Fräulein Rasmussen, wenn Sie auch durch Frau von Amelunxen schon Bescheid wissen, erfuhren Sie doch wohl kaum, daß mich weniger die eigene mißgestaltete Rechte schmerzt als alle die anderen rechten Rauberghände, die seit ungefähr drei Jahrhunderten vor mir da waren und von denen manche, nein viele, viel zu viele der meinen glichen. Meine Schwester Ilma und ich werden deshalb einsam bleiben, weil wir den unseligen Fluch nicht weitergeben wollen an die, die nach uns kommen könnten.“ Seine Augen blickten sie mit einem seltsam dunklen Blick an. „Welche Frau, die lebensfroh und von heller, lebensbejahender Gemütsart wäre, würde einen Rauberg mit den drei Fingern wie mich zum Gefährten wählen! Dreimal würde es sich jede überlegen, um dann wahrscheinlich doch nein zu sagen.“

      Eleonore hielt dem Blick des Mannes stand.

      „Herr von Rauberg, ich bedauere, welche schlechte Meinung Sie von den Frauen haben, aber ich glaube, daran trägt Ihre Verbitterung die Schuld. Sie haben sich in ein Kleid von Verbitterung gehüllt und haben nicht den Willen, das häßliche Gewand von sich zu werfen.“ Sie lächelte ein wenig. „Von verbitterten Menschen geht ein geheimnisvolles Fluidum aus, ähnlich den tückischen Krankheitskeimen, das steckt alle an, die Ihnen nahekommen oder in Ihrer Nähe leben müssen. Es ist wie ein heimlich schleichendes Gift. Und bitte, Herr von Rauberg, nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich, meine einfache Stellung ganz beiseitesetzend, Ihnen zu sagen wage, Sie tragen die Schuld, wenn Ihre hübsche, liebenswürdige Schwester eine früh gebrochene, müde, alte Jungfer wird. Ein weibliches Wesen wie Ihre Schwester ist zur Gattin und Mutter von der Natur bestimmt. Ihr Äußeres, ihre Frische der Bewegung, die Sehnsucht nach Glück in ihren Augen sprechen allzu deutlich.“

      „Kann ich dafür, wenn meine Schwester den Fluch fürchtet gleich mir?“ erwiderte Norbert schnell und erregt.

      Eleonore gab sofort Antwort.

      „Natürlich! Ihre Gegenwart, Ihr Denken beeinflußt Ihre Schwester. Das beste Beispiel dafür bietet doch Ihr Bruder, der fern von Ihnen es wagt, dem Schicksal seinen Manneswillen entgegenzusetzen.“

      Norbert lachte. Ein kurzes, rauhes Lachen.

      „Sie können so weise reden, Fräulein Rasmussen, weil Sie allem fernstehen, was den Raubergs schon immer Sorge geschaffen.“ Er blickte sie mit leichtem Hohn an. „Die Braut meines Bruders Konrad weiß nichts von dem Fluch, der über unserem Hause liegt, und sie soll


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