Der Liebe Zaubermacht. Anny von Panhuys
zuckte die Achseln.
„Ich meine, Ihr Bruder hätte ruhig offen und ehrlich sein dürfen. Ein Mädchen, das ihn wirklich liebhat, hätte ihm jede Angst vom Herzen gelacht. Liebe ist doch das Stärkste auf Erden, ist doch tausendmal stärker als ein alter Fluch.“
Über Norberts Gesicht zuckte es.
„Wieder möchte ich Ihnen entgegnen, Sie können weise reden, Fräulein Rasmussen, weil Sie allem fernestehen, was den Raubergs schon immer Sorge geschaffen, aber ich tue es nicht, den Einwand vermögen Sie wohl mit irgendeinem anderen abzuwehren. Nein, ich will Sie statt dessen fragen: Würden Sie selbst den Mut aufbringen, eines Raubergs Weib zu werden, vielleicht gar das eines Mannes, der Ihnen eine Hand wie die meine zu reichen wagte?“
Von einer überströmenden, zornigen und zugleich heißen Empfindung, die er nicht völlig zu deuten wußte, dazu bewogen, hielt er der schönen Gesellschafterin seine Hand entgegen.
Eleonore durchzuckte es gleich einem elektrischen Schlag. Was war das, was ihr aus den leuchtenden, bittenden und zugleich forschenden Augen entgegensprang wie ein zündender Funke? Was war das nur, was die Männerstimme durchglutete und in ihr ein Echo wecken wollte? Was war das nur, was einen heimlichen Sehnsuchtsschauer nach Glück in ihr löste und sich wohlig und doch beengt um ihre Glieder spann?
Sie atmete unhörbar tief auf. Ihre Blicke gaben das Antlitz des Mannes frei, schweiften hinaus über Berge und Täler, glitten über still ruhende Dörfer und saugten sich fest an dem lichten Streifen, der weit draußen, fast wo sich Himmel und Erde im Kusse trafen, aufschimmerte. Es war der Main, der im Sonnenglanz leuchtete wie Silber, darauf reicher Kerzenschein fiel.
Sie vermochte den Mann an ihrer Seite nicht anzusehen, sie fühlte sich so unfrei, sie, die selbstbewußte, selbständige Eleonore Rasmussen.
Sollte sie ausweichend antworten? Sollte sie dem Mann dadurch beweisen, daß es wirklich nur Wortweisheit gewesen, die sie gesprochen, daß ihr Denken und Fühlen davon völlig verschieden war? Nein, so niedrig durfte er sie nicht einschätzen, dazu war sie sich zu schade. Sie riß den Blick von der Landschaft los, sah Norbert ernst an.
„Wenn ich einen Rauberg liebhätte, würde ich jauchzend über seine Furcht hinweglachen und mich den Teufel um Vergangenes kümmern. Die Gegenwart würde mein Glück ausfüllen und mit meinem festen Willen zum Glück jagte ich alle Zukunftssorge zu der Vergangenheit. Mit dem Manne, dem meine Liebe, meine Achtung gehören, risse ich den alten Fluch in Fetzen.“ Sie sprach immer freier und rascher. „Und wie altes, faulendes Herbstlaub würde ich den zerrissenen Fluch in die Erdscholle mit einpflügen. In Segen und Frucht gewandelt, müßte er mir daraus wieder keimen und wachsen.“
Norbert schwankte fast, so stark und erschütternd klang es ihm ins Ohr. Sturm umjauchzte ihn, Siegeslächeln strahlte die mächtige Sonne, die blutrot, in unirdischer, blendender Majestät hinter den westlichen Bergen versinken wollte.
Mit einem Laut, der wie ein unterdrückter Schrei war, packte er mit der Rechten die eine Hand Eleonores.
„Ich danke Ihnen, Sie haben aus einem Armen einen Krösus gemacht.“ Er neigte sich, küßte die schmalen, vornehmen Finger, die mit leisem Beben in den seinen ruhten. „Heute zum ersten Male stört mich die Hand nicht, die mir sonst ein tägliches Ärgernis war. Mein Wünschen und Wollen möchte den Himmel stürmen.“
Eleonore verstand. Ein sanftes Rot spülte unter ihrer Wangenhaut hin, purpurner brannten die Lippen in dem edelgeschnittenen, südländisch dunklen Gesicht. Ein heimlich heiliger Ruf schien aus fernen Welten zu ihr zu dringen und in ihrem Herzen festzuhängen, mit leisem Nachhall wiederzuklingen: Wach auf, diesmal winkt dir ein echtes Glück!
Fast heftig entzog sie dem Manne die Hand.
„Herr von Rauberg, wenn es Ihnen recht ist, gehen wir jetzt wieder hinunter.“
Mit stummer Verneigung bejahte der Gutsherr.
Ilma fragte Eleonore Rasmussen, ob ihr die Aussicht gefallen. Und dann verließ man den Turm. Das Buch des Astrologen aber nahm Eleonore mit.
„Ich will es gründlich durchackern“, erklärte sie, „denn es ist im sogenannten Mönchslatein geschrieben. Das reinste Kauderwelsch ist das im Verhältnis zum Caesar. Aber mein Vater verstand viel davon, und manche alte Handschrift, manches seltsame Wort haben wir gemeinsam enträtselt. Ich freue mich auf die anregende Arbeit.“
Als Eleonore in den Wagen stieg, traf sie ein tiefer Blick Norberts, der sie nicht mehr losließ während der ganzen Fahrt. Wie ein schöner, verflogener Falter umgaukelte er sie und flatterte ihr nach in ihren Träumen.
V
Konrad von Rauberg lebte wie in einem Rausche von Glück. Tagtäglich suchte er die Villa auf, darin die blonde, feine Amadora unter dem zärtlichen Schutz der Eltern lebte, und täglich ward seine Liebe größer und stärker. Amadora war ihm das Höchste und Wertvollste auf der Welt.
Sie erwiderte seine Liebe mit weicher Innigkeit, ihre Augen strahlten die Seligkeit wider, die in ihrem Herzen wohnte, und stets ging sie ihm entgegen, wenn sie seinen Schritt im Hausflur vernahm. Dann flog sie ihm um den Hals, gleichgültig dagegen, ob sich ein Dienstbote schmunzelnd an dem Anblick erfreute. Was galt ihr die Umgebung, was galt ihr jeder andere Mensch gegen ihn! Seine stolze Männlichkeit, die zu seinem herben, hochklingenden Namen paßte, seine ritterliche Art dünkten ihr die Bejahung all ihrer Mädchenträume.
O, wie grenzenlos sie ihm vertraute! Offen und klar wie seine Züge war er in seinem Innern. Ein lauter, wahrhafter Charakter, der nie log, nie etwas verbarg. Wahrheit und Geradheit waren ein Teil seiner selbst, so wünschte sie ihn, so liebte sie ihn.
Es war eines Nachmittags. Um vier Uhr beendeten die Herren ihre Büroarbeit, und Amadora saß auf erhöhtem Fenstersitz, von wo aus sie bis zur Straße zu blicken vermochte. Gleich würde Konrad mit dem Vater kommen. Sie freute sich schon darauf, bei Tisch dem Geliebten gegenüberzusitzen und seine liebkosenden Worte zu hören.
Sie lächelte vor sich hin, blickte dann auf die Uhr. Ach nein, ihre Sehnsucht fuhr mit Extrapost, es war noch nicht so weit, fast eine halbe Stunde fehlte noch, bis der Vater und Konrad da sein konnten.
Sie schaute auf, eben hatte die Gartenschelle geschrillt.
Sie machte ein mißmutiges Gesicht, denn sie erkannte die Dame, die Einlaß begehrend vor der Tür stand. Franziska Kromau, eine entfernte Verwandte mütterlicherseits, die ab und zu zum Besuch kam, allerlei neidische Spitzfindigkeiten losließ, und erst zu gehen pflegte, nachdem sie tüchtig gegessen, die Mutter angeborgt und verschiedene Taktlosigkeiten begangen hatte. Die Mutter war leider zu schwach der vierschrötigen, zweimal mal verwitweten Frau, die draußen in der Bornheimer Vorstadt ein winziges Posamentiergeschäft betrieb, einmal geradeheraus die Meinung zu sagen.
„Die arme Person tut mir leid“, verteidigte sich die gutmütige Mutter sie, wenn Mann und Tochter zuweilen die größte Lust verspürten, der scharfzüngigen Klatsche den Stuhl vor die Tür zu setzen.
Konrad, der sie auch kennengelernt, hatte alle Erörterungen über sie mit den Worten abgetan: „Franziska Kromau lebt in gedrückten Verhältnissen, in kinderloser Einsamkeit, sie weiß vielleicht gar keine rechte Erklärung für den Begriff. Glück. Solchen Menschen muß man viel vergeben.“
Amadora aber hatte sich trotzdem gelobt, daß sie ihr späteres eigenes Heim vor der Verwandten verschlossen halten würde, sie mochte sich nicht den eklen, kleinlichen Klatsch in ihr Paradies tragen lassen.
Amadora hörte die etwas hohe Stimme Franzika Kromaus schon auf dem Flur draußen und daneben die leise Stimme der Mutter. Neben Amadoras Zimmer lagen Wohn- und Speiseräume. Die Tür von nebenan öffnete sich mit lautem Ruck. Breit und grobknochig schritt Franziska Kromau über die Schwelle, blickte tadelnd auf Amadora, die sich jetzt erst langsam und zögernd von ihrem Fensterplatz erhob.
„Ei, des muß man sage, des gnädige Fräulein läßt sich Zeit, kann ’ner alten Frau keinen Schritt entgegengehe. Sag’ mal, Dore, hast du des in dein feines Pensionat gelernt? Aber gelt, du meinst,