Frau ohne Welt. Teil 3: Der Krieg gegen die Zukunft. Bernhard Lassahn
noch einen Krieg berücksichtigen, den Cohen nicht besungen hat: den Krieg zwischen den Generationen, zwischen Alten und Jungen.
Es kämpft jedoch nicht jeder gegen jeden, wie es sich Thomas Hobbes in seinem berühmten Albtraum über ein höllisches Zusammenleben vorgestellt hat, in dem der Mensch dem anderen Menschen gegenüber zum Wolf wird – homo homini lupus – vielmehr stellt sich eine Gruppe gegen die nächste, ein Rudel gegen ein anderes. Es kämpfen Gruppen, die sich selbst gebildet haben, gegen Gruppen, in die andere einsortiert wurden, ob sie wollten oder nicht. So entstand die so genannte Identitätspolitik, eine politische Orientierung, bei der die Zughörigkeit zur Gruppe zum ausschlaggebenden Kriterium aufgestiegen und zur Trumpfkarte bei jeder Diskussion geworden ist.
Der Einzelne zählt nicht mehr, es kommt lediglich auf die Gruppenzugehörigkeit an, auf das richtige Rudel. Es gibt auch keine Einzelmeinungen mehr, nur noch Konsens. So sind Vorurteile entstanden und haben sich zu Verallgemeinerungen verfestigt, die für den Kampf gegen das feindliche Rudel unerlässlich sind. Sie gewährleisten den Gruppenzusammenhalt, der ohne ein starkes Feindbild nicht vorhanden wäre.
Tribalismus wirkt wie ein Turbo: Der Graben zwischen »wir« und »denen« – us and them – wird tiefer, der Ton lauter, die Stimmung feindlicher. Gruppen sind gnadenlos, ein Rudel gibt kein Pardon, ein Rudel kennt keine Dankbarkeit. Die Gruppenzugehörigkeit wirkt als Durchlauferhitzer für Aggressionen und wühlt Instinkte auf, die bisher unter Kontrolle waren.
Wir haben Zustände wie vor einem Bürgerkrieg – einem Krieg, den wir so noch nicht kannten; einem Geschlechterkrieg, in dem künstliche Gruppen ohne wirklichen Zusammenhalt, die aus wenigen Kriegstreibern und vielen ahnungslosen Mitläufern bestehen, an zwei Fronten gleichzeitig gegeneinander antreten, in einem sinnlosen Krieg zwischen Mann und Frau und zwischen Eltern und Kindern – damit gegen die Zukunft.
Davon handelt das Buch. Ich versuche, einen Lagebericht zu geben und will an Einzelbeispielen, in denen ich Muster erkenne, aufzuzeigen, was der vierzigjährige Krieg angerichtet hat. Ein Kultur-Krieg, der aufs Ganze geht.
Er hat seltsame Zwischenwesen geschaffen: Männer, die nicht männlich sein dürfen, weil Männlichkeit verdammt ist und als toxic masculinity angesehen wird, und Frauen, die diese verdammten Rollen übernehmen, die dann – wie durch ein Wunder – nicht mehr als toxisch gelten. Die idealen Zwischenwesen von heute sind neutral, sie sind geschlechtslos, sie sind inter oder trans und sehen in dem Gender-Sternchen ihren neuen Stern am Horizont aufsteigen, dem sie bedingungslos folgen. Frauen wollen heute keine Mütter mehr sein, sie fürchten ein Morgen und geben sich jünger, als sie sind. Männer wiederum leiden unter dem Peter-Pan-Syndrom und weigern sich erwachsen zu werden.
Die neuen Zwischenwesen haben sich zwischen den Fronten eingerichtet, sie sind weder männlich noch weiblich, weder alt noch jung. Die Angleichungsbewegungen gehen von beiden Seiten aus: Kinder werden wie Staatsmänner behandelt, Staatsmänner verhalten sich wie Kindsköpfe. Ein Mädchen, das aussieht, als wäre es acht Jahre alt, spricht vor der UN, im Bundestag singt Andrea Nahles das Pippi-Langstrumpf-Lied. Wir sind auf dem Weg zu einem Menschen ohne Eigenschaften, zu einem Einheitswesen, das weder das eine, noch das andere ist, das nichts falsch, aber auch nichts richtig macht.
Das erste Opfer in einem Krieg ist die Wahrheit. Die geht verloren, sobald die Gespräche verstummen. Niemand verfügt exklusiv darüber, wir können uns nur auf eine gemeinsame Suche nach der Wahrheit begeben. Wo sollen wir suchen? Im Internet wird Wahrheit angeboten, als wäre es heiß begehrte Ware, wir brauchen nur den Suchbefehl »the truth about …« eingeben, schon werden wir bedient. Architekten, die an der offiziellen Interpretation der Ereignisse von 9/11 zweifeln, nennen sich Truther. Die Wahrheit scheint zum Greifen nah und bleibt uns doch fremd.
Die beiden politischen Magazine, die sich an den gegenüberliegenden Seiten des tiefen Meinungsgrabens befinden, haben sich beide die »Wahrheit« auf die Fahne geschrieben: Das Compact-Magazin wirbt mit dem Slogan »Mut zur Wahrheit«, der Spiegel mit »Keine Angst vor der Wahrheit«. Wer kennt denn nun die Wahrheit?
»Tell the Truth« fordern die Demonstranten von Extinction Rebellion, die sich als Rebellion gegen das Aussterben verstehen und verlangen, dass sich Politiker bedingungslos dem anschließen sollen, was sie für die letzte Wahrheit halten. Andere halten Pappschilder hoch mit Slogan wie »Climate Change Is Real« oder »Rape Culture Is Real«. Manche der jungen Frauen haben sich die Parolen sogar auf die nackte Haut geschrieben, als hätten sie dadurch Golddeckung. Es ist aber nur falscher Glanz.
Sexismus. Rassismus. Faschismus. Extremismus. Frauenfeindlichkeit. Homophobie. Transphobie. Erderhitzung. Weltuntergang. Zumindest die Stimmung ist stark aufgeheizt. Doch wie schlimm ist es wirklich? Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? So hätte Immanuel Kant gefragt, wenn er nicht etwa den Einzelnen, sondern Gruppen angesprochen hätte. Wir wissen es nicht mehr. Wir sind jahrelang mit Propaganda zugeschüttet worden und stehen ratlos in einem Irrgarten aus Lügen – aus fake news –, aus falschen Prognosen und zweifelhaften Wetten auf die Zukunft.
»Wir sind die Zukunft der Bauern und Arbeiter!«, verkündete Lenin einst. »Wir sind die Zukunft Europas!«, behauptete Hitler. Das war einmal. Heute wird die Zukunft in düsteren Farben ausgemalt, »we don’t have time«, heißt es bei den Fridays-for-Future-Demonstrationen, wir haben nur noch zehn Jahre Zeit. Oder sechs. Wenn es überhaupt eine Zukunft geben sollte, dann wird sie weiblich sein. So hatte sich das Margarete Mitscherlich vorgestellt, die im Jahr 2017 hundert Jahre alt geworden wäre, Hillary Clinton glaubt immer noch daran, »I still believe the future is female.«
Das glauben nicht alle. Janice Fiamengo tut es nicht mehr. Sie sieht sich nicht mehr als Feministin, selbst wenn sie früher eine war, die – so wie ich auch – auf die Straße gegangen ist, um die Nacht zu erobern und für Frauenrechte zu demonstrieren. Sie ist keine Feministin mehr und gibt eine frappierend einfache Erklärung, die uns aufhorchen lassen sollte, selbst wenn uns Frauen-Themen langsam nerven und wir glauben, dass uns die Gender-Perspektive nicht interessieren muss. Es betrifft uns alle, wenn wir nicht in einer Lügenwelt leben wollen, in der wir verkümmern.
Janice Fiamengo hat sich vom Feminismus abgewandt, weil sie die vielen Lügen nicht mehr ertragen konnte, die peu à peu aus falschen Zahlen und falschen Begriffen ein in sich geschlossenes System gebildet haben, das einen totalitären Charakter angenommen hat. Sie konnte nicht mehr darüber hinwegsehen, dass die Voraussetzungen falsch sind, dass manipulierte Statistiken in die Welt gesetzt werden und dass die Sprache verkommt. Man kann in einem Kartenhaus aus Falschbehauptungen und Falschbeschuldigungen nicht in Frieden wohnen, man muss fürchten, dass es jederzeit zusammenbricht. Man muss ständig »mit zwei Gesichtern leben«, wie es viele der Aussteiger gesagt haben, die ein totalitäres System überstanden haben. Sie konnten nicht mehr in den Spiegel gucken, weil sie ein moralisches Minimum verraten mussten. Es tut einem in der Seele weh, so leben zu müssen. Es macht krank.
Fiamengo ist Professorin in Kanada, die eine umfangreiche Video-Serie –The Fiamengo files – und zuletzt den Sammelband Sons Of Feminism veröffentlicht hat, der uns einen generationsübergreifenden Überblick bietet. Es gibt entsprechend dazu einen Bericht der Töchter, den Daughters Of Feminism. Damit kommen Vergangenheit und Zukunft für beide Geschlechter in den Blick und ermöglichen erstmals ein vollständiges Bild. Sowohl die Töchter als auch die Söhne waren stark vom Feminismus geprägt, sie sahen sich selbstverständlich als Feministen und haben erst spät gemerkt, wie sehr sie davon geschädigt wurden. Im Nachhinein sehen sie den Feminismus als ein monströses Gebilde aus lauter Lügen.
»Wir haben alle gelogen. Jeder ein bisschen. Und wir haben es gewusst.« So haben es Václav Havel und Alexander Solschenizyn zusammengefasst, als sie kritisch auf das kommunistische Lügengebäude zurückgeblickt und dabei selbstkritisch ihr eigenes Mitwirken daran reflektiert haben. Es ergeht einem nicht nur im Kommunismus so; Verkrüppelung entsteht in jedem totalitären System. Einige der Bücher aus dem Regal meiner Mutter über das Leben unterm Hakenkreuz haben so vielsagende Titel wie Betrug war alles, Lug und Schein oder Lebenslüge Hitler-Jugend. Betrug war buchstäblich »alles« – und alle haben mitgemacht. Es gab keine Rückzugsmöglichkeit mehr, der gesamte