Petrus Canisius. Mathias Moosbrugger
Kästchen von Petrus Canisius zur Aufbewahrung von Schreibutensilien wird im Münchener Jesuitenarchiv bis heute als besonderer Schatz gehütet. Zu Recht: In ihm verkörpert sich der Vielschreiber Petrus Canisius, der zigtausende Seiten geschrieben hat – als Buchautor, als Briefschreiber und als Prediger.
Petrus Canisius hatte sich in seinem Leben verbraucht und man sah es ihm offenbar auch an. Als ein französischer Gelehrter 1594 auf einer Reise durch die Schweiz in Freiburg Station machte, schätzte er ihn auf weit über 80. Tatsächlich war er gerade einmal 73 Jahre alt.75 Dass in dieser letzten Phase seines Lebens von einem unbekannten Maler ohne sein Wissen eine Porträtskizze angefertigt worden war, hatte zweifellos auch damit zu tun, dass man allgemein damit rechnete, dass er nicht mehr lange leben würde. Man wollte die Züge dieses berühmten Mannes noch rechtzeitig für die Nachwelt erhalten.
Aber nicht nur die anderen, auch der alte Petrus Canisius selbst war sich sehr bewusst, dass er vom Leben nicht mehr viel mehr als den Tod erwarten konnte. Das bedeutete für einen frommen Katholiken wie ihn natürlich in erster Linie, sich geistlich auf den Übergang ins Jenseits vorzubereiten. Das Einüben in einen guten Tod gehörte zum Standardrepertoire der frühneuzeitlichen katholischen Frömmigkeit, das man aus dem Spätmittelalter herübergerettet und sogar noch intensiviert hatte. Petrus Canisius dürfte mit diesem Einüben schon früh begonnen haben,76 besonders intensiv wahrscheinlich ab dem 50. Lebensjahr, denn ab da galt man gemeinhin als Greis. Und tatsächlich sinnierte er 1574 und damit im Alter von 53 in einem Brief darüber, dass er sich nunmehr „dem Tore des Todes“77 nähert. Er wollte nicht den Fehler seines Vaters machen, der „vom Tod ereilt wurde, ehe er die Kunst gut zu sterben verstand“78. In den 1590er Jahren, mit über 70, war die Vorbereitung auf den Tod noch dringlicher geworden. Es war ja, wie er einen Mitbruder wissen ließ, „das besondere Kennzeichen der wahren Diener Gottes, seine Todesstunde immer vor Augen zu haben und sein Leben in Ordnung zu bringen, um dann das Ende dieser Lebenszeit mit bereitem und frohem Herzen anzunehmen“79. Es war endgültig an der Zeit, sich „reisefertig zu machen und vor dem Tode meinen letzten Willen aufzusetzen“80, damit „ich in dieser gegenwärtigen Sterblichkeit ein heilsames Lebensende erreiche“81. Ende 1596 oder Anfang 1597 wurde dementsprechend ein jüngerer Mitbruder abkommandiert, dem er sein geistliches Testament diktierte. In diesem Testament spricht Petrus Canisius am Ende seines Lebens und damit quasi direkt von seinem Altersbildnis herab.
Ähnlich wie schon etwas mehr als ein Vierteljahrhundert zuvor in seinen etwas umfangreicheren Bekenntnissen82 wollte er damit nach dem „Beispiel des großen Bischofs von Hippo und berühmten Kirchenlehrers Augustinus“83 sein Leben in Form eines geistlichbiographischen Rechenschaftsberichts Revue passieren lassen. Er war nicht zuletzt auch darin ein guter Schüler des Augustinus, dass er seine von außen betrachtet unbedeutend kleinen Jugendsünden besonders grell hervorhob und überhaupt immer wieder darauf hinwies, dass er das Leben eines „Unwürdigen“84 gelebt habe und er bei aller seiner Arbeit ein „unnützer Knecht“85 gewesen sei. Wenn ihm in seinem Leben etwas gelang, dann war das immer der göttlichen Barmherzigkeit zuzuschreiben; bei „jedem Unternehmen verdankte ich den glücklichen Ausgang ausschließlich der Gnade Gottes“86.
Aber das Testament ist nicht nur ein eindrucksvolles Zeugnis der tiefen Demut des altgewordenen Petrus Canisius, sondern auch ein Zeugnis seines bemerkenswerten Selbstbewusstseins. Er war sich am Vorabend seines Todes sehr bewusst, dass er in seinem Leben für die Gesellschaft Jesu in Deutschland und darüber hinaus von ganz entscheidender Bedeutung gewesen war, und er wollte dafür sorgen, dass das auch der Nachwelt überliefert wurde. Denen, die „einmal die Geschichte unserer Gesellschaft Jesu erforschen oder darstellen werden“, wollte er „über mich und mein bisheriges Leben einen zuverlässigen Bericht“ hinterlassen.87 Seine eigene Lebensgeschichte wollte er nicht einfach den späteren Historikern überlassen; er wollte vorab dafür sorgen, dass diese Lebensgeschichte auch in seinem Sinne geschrieben würde. Immerhin hatte er „in dem von Christus übernommenen Beruf einiges geleistet“88 und hatte dafür „viel Dank und Anerkennung“89 gewonnen. Das durfte man der Nachwelt durchaus überliefern. Es war nicht die Karriere geworden, die sich sein ehrgeiziger Vater Jacob Kanis etwa 70 Jahre früher für seinen Erstgeborenen ausgemalt hatte. Es war viel mehr.
Petrus Canisius überlebte die Niederschrift seines geistlichen Testaments nicht lange. Am Nachmittag des 21. Dezember 1597 und damit nicht einmal ein Jahr später starb er in einem Zustand völliger Entkräftung. Dass dieser große Marienverehrer mit dem Ave Maria auf den Lippen gestorben ist, ist zwar eine fromme Erfindung seines ersten Biographen Jakob Keller90; dass er so fromm gestorben ist, wie er gelebt hat, ist jedoch bestens belegt. Er hat auf seinem Sterbebett bis kurz vor seinem Tod aus einem Notizbuch selbstaufgezeichnete Gebete gelesen. Als ihm das nicht mehr möglich war, hat er sich nach dem Empfang der Sterbesakramente ein Kruzifix und eine geweihte Kerze geben lassen. Unter den unermüdlichen Gebeten seiner anwesenden Mitbrüder gab er dann ohne sichtbaren Todeskampf den Geist auf. Er war 76 Jahre alt geworden.
Wie es sich für einen heiligen Mann gehörte, war sein Tod nicht sein Ende – im Jenseits nicht, aber auch nicht im Diesseits und da vor allem nicht an seiner letzten Wirkungsstätte Freiburg. Die Freiburger, die ihn im Leben geliebt hatten, liebten ihn mindestens so sehr auch im Tod. Er wurde sofort wie ein Heiliger verehrt, dem im Laufe der kommenden Jahre viele Heilungswunder zugeschrieben wurden, vor allem an Müttern und Kindern. Als im Jahr 1625 sein Grab in der städtischen Nikolauskirche – die heutige Kathedralkirche der Diözese – geöffnet wurde, um seine Überreste in die neu errichtete Michaelskirche der Jesuiten zu übertragen, drängten sich die Menschen, um seine Gebeine mit ihren mitgebrachten Rosenkränzen zu berühren.91 Es war immerhin die letzte Chance, mit ihrem „Patriarchen der schweizerischen Kirche“92 mehr oder weniger leibhaftig in Kontakt zu kommen. Diese Chance wollten viele nützen, darunter zweifellos viele, die ihn nicht mehr persönlich gekannt hatten. Petrus Canisius hätte das bei aller Demut wahrscheinlich gefreut: Er hatte zu Lebzeiten den Freiburgern den von ihm persönlich äußerst eifrig betriebenen Reliquienkult ja mit Nachdruck ans Herz gelegt. Jetzt war der große Reliquienverehrer selbst zur verehrten Reliquie geworden. Der Traum der Freiburger, endlich einen eigenen Heiligenleib in ihrer Stadt zu haben, hatte sich erfüllt.
Die Jesuiten des Freiburger Kollegs beteiligten sich eifrig an diesem aufkommenden lokalen Kult. Unter anderem gestalteten sie einige Zeit später sein Sterbezimmer in eine Kapelle um. Man erinnerte sich aber nicht nur an den berühmten Mitbruder Petrus Canisius, man wollte auch, dass er sich im Himmel an die erinnerte, die er zurückgelassen hatte. Und man war sich sicher, dass man beweisen konnte, dass er das tatsächlich tat: Wie die Freiburger griffen nämlich auch die Jesuiten auf die spektakuläre Wunderkraft des Petrus Canisius zurück, die er vom Jenseits aus offensichtlich fleißig anwendete und die zahlreich dokumentiert ist. Es ist unter anderem belegt, dass der Rektor des Kollegs einen der Löffel des Verstorbenen per Post verschickte, damit ein Mädchen, das mit einem verkrüppelten Daumen geboren worden war, geheilt würde. Erwartungsgemäß konnte man sich auf ihn verlassen. Nachdem alle Familienmitglieder des Mädchens den Löffel geküsst hatten, wurde der Daumen wieder völlig hergestellt.93 Die Freiburger Jesuiten zeichneten dieses und viele weitere Wunder auf die Fürsprache von Petrus Canisius in ihren Jahresberichten fleißig auf. Das ging so weit, dass diese Jahresberichte über weite Strecken den „Charakter eigentlicher Mirakelbücher“94 bekamen. Die Botschaft lautete: So eifrig wie er in seinem Leben für die Kirche gearbeitet hatte, so eifrig arbeitete er auch nach seinem Tod für die Kirche und die Gläubigen, die mit ihr verbunden waren. Petrus Canisius, der zu Lebzeiten auf die verzweifelte schriftliche Bitte einer von Besessenheit geplagten Frau um Heilung mit dem erschrockenen Ausruf „Ich Unglücklicher, für wen hält man mich?“95 reagiert hatte, war nach seinem Tod zum Wundermann geworden.
Aber nicht nur die Freiburger und die Jesuiten waren daran interessiert, das Vermächtnis dieses großen Mannes zu bewahren und ihn sich so als Fürbitter im Himmel warmzuhalten. Das überlieferte Altersbildnis selbst ist nichts anderes als der Versuch eines finanzkräftigen Verehrers und Freundes, den Ruhm von Petrus Canisius über seinen Tod hinaus am Leben zu halten. Octavian Secundus Fugger hatte sich trotz