Petrus Canisius. Mathias Moosbrugger

Petrus Canisius - Mathias Moosbrugger


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sondern (und für Petrus Canisius viel wichtiger) die Nichte der bekannten niederländischen Mystikerin und Begine Maria van Oisterwijk. Zur erweiterten Familie gehörte dann auch noch die Großtante Reinalda van Eymeren, die mit Die evangelische Perle das letzte große Werk der flämisch-rheinischen Mystik verfasst hat.32 Mit beiden Frauen kam der junge Peter in näheren Kontakt.33 Bei seinen Gesprächen mit ihnen wurden Dinge zur Sprache gebracht, die sich ihm tief ins Gedächtnis einbrannten und seine weitere geistliche Biographie maßgeblich beeinflussen sollten. Reinalda, die oft im Nimwegener Bürgermeisterhaus zu Gast war, sagte ihrem jungen Verwandten Peter schon vor seinem Umzug nach Köln bei einer Gelegenheit „die Gründung eines neuen Priesterordens voraus, […] dem auch ich mich anschließen werde“, obwohl doch damals „noch kein Mensch an die Jesuiten“ dachte. Maria van Oisterwijk ihrerseits erklärte ihrem Stiefgroßneffen etwas später, „ich würde einst durch meine schriftstellerischen Arbeiten der Kirche gute Dienste leisten“. So jedenfalls erinnerte sich der als Schriftsteller berühmtgewordene Jesuit Petrus Canisius mehr als ein halbes Jahrhundert später und bekräftigte, was wie eine allzu fromme Geschichte klingt, mit dem größtmöglichen Nachdruck: „Bei Gott, ich erdichte nichts; ich gebe nur der Wahrheit Zeugnis.“34

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      Nikolaus van Essche (1507–1578) war der maßgebliche geistliche Mentor von Petrus Canisius in seiner Zeit an der Universität Köln. Seine von der Kartäuserfrömmigkeit geprägte mystische Religiosität hat auf den jungen Studenten großen Eindruck gemacht.

      Kupferstich von J. B. Berterham, um 1700.

      Dass ihn sein Vater aus dieser religiös durchtränkten Umgebung nach Köln geschickt hatte, führte nicht zu einer Eindämmung der spirituellen Neigungen Peters durch die nüchternen Anforderungen des Studiums, ganz im Gegenteil. In Köln wurde er nicht nur zuerst Mitglied der von seinen Landsleuten dominierten Montanerburse, die sich dem wichtigsten mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin als ihrem geistigen Patron verschrieben hatte, sondern kam dann vor allem als Untermieter in das Studentenpensionat von Andreas Herll, wo er unter die geistliche Führung von Nikolaus van Essche geriet. Dieser van Essche stand unter anderem auch mit Maria van Oisterwijk in engem Kontakt, die bereits 1530 nach Köln übersiedelt war. Er machte den jugendlichen Peter noch intensiver mit der ihm bereits aus seiner Nimwegener Heimat in Ansätzen bekannten spätmittelalterlichen Frömmigkeitstradition der Devotio moderna vertraut, der es in erster Linie um die innerliche Unmittelbarkeit des Menschen zu Gott ging und nicht so sehr um äußerliche religiöse Formen und Rituale.

      Zudem lehrte er ihn, die Bibel als einen geistlichen Fahrplan in eine solche persönliche Beziehung zu Gott hinein zu lesen, und förderte die Vertrautheit Peters mit dem Evangelium, indem er ihn täglich einen kurzen Textabschnitt daraus meditieren und auswendig lernen ließ. Hier dürfte der Anfang der unglaublichen Bibelfestigkeit von Petrus Canisius liegen, die einige seiner Biographen sogar zur Vermutung veranlasst hat, dass er die ganze Bibel oder mindestens wesentliche Teile auswendig gekannt haben muss.

      Für seine zukünftige geistliche Entwicklung vielleicht noch wichtiger war aber, dass van Essche ihn mit der Kölner Kartause unter ihrem berühmten Prior Gerhard Kalckbrenner und so mit einem der pulsierendsten Zentren spirituellen Lebens im katholischen Milieu des römisch-deutschen Reiches intensiv in Kontakt brachte. Van Essche wurde auf diese Weise ein wichtiges Verbindungsglied in die religiöse Zukunft seines jungen Schützlings. Für Peter Kanis sollten die Kartäuser von Köln nämlich zu enorm wichtigen Geburtshelfern in sein zukünftiges geistliches Leben als Jesuit hinein werden.

      Für den nüchternen Jacob Kanis musste es scheinen, dass sein Sohn mit dem Beginn seiner Studien vom frommen Regen Nimwegens in die noch frömmere Traufe Kölns gekommen war. Für Peter selbst dagegen war es wie ein Heimkommen. Sein spiritueller Appetit wuchs, je mehr er von Spiritualität umgeben war. Jacob versuchte, ihm anders beizukommen und ihn doch noch auf Schiene zu bringen, diesmal mit Hilfe einer hübschen Erbin, die ihn ins großbürgerliche Leben eines Nimwegener Bürgermeistersohnes locken sollte. Als auch das scheiterte und Peter sich in einem privaten, aber nach den damaligen Vorstellungen bindenden Gelübde im Alter von 18 Jahren auf lebenslange Keuschheit verpflichtete, bemühte sich Jacob in einer letzten Aufwallung väterlichen Engagements, aus Peters offensichtlich unüberwindlicher Berufung ins religiöse Leben das Beste zu machen, was nach seinen Maßstäben noch möglich war. Peter sollte zu seiner standesgemäßen Versorgung wenigstens eine gut dotierte geistliche Pfründe im Kölner Domkapitel erhalten, die er als Bürgermeister von Nimwegen verleihen durfte. Man wird Jacob nicht unrecht tun, wenn man ihm unterstellt, dass er seinem Sohn damit eine kirchliche Karriere ermöglichen wollte, die ihn bei seinen offensichtlichen Talenten vielleicht sogar bis zum Bischofsamt geführt hätte. Aber Peter verweigerte sich auch diesmal. Er wollte anders, nämlich echt geistlich leben, und beharrte gegen alle väterlichen Vorstellungen darauf, seinen eigenen Weg zu finden, wie das für ihn möglich war. Dass das Leben eines Kirchenfürsten für ihn jedenfalls nicht der geeignete Weg war, stand für ihn offensichtlich von allem Anfang an außer Frage.

      Vielleicht hat sich dieses unaufhörliche jugendliche Ringen mit den väterlichen Erwartungshaltungen und Plänen auch unmittelbar auf seine späteren theologischen Überzeugungen ausgewirkt. Dass Petrus Canisius etwa zwanzig Jahre später in seinem berühmten Kleinen Katechismus das alttestamentliche vierte Gebot der Ehrerbietung gegenüber den Eltern auffällig stark aus dem familiären Zusammenhang herauslöste und es vor allem als Gebot der Unterordnung unter die kirchliche Obrigkeit interpretierte, könnte man durchaus in diesem Sinne verstehen.35 Sicher ist jedenfalls, dass er selbst als Jugendlicher die väterliche Autorität eher als belastend für seine religiöse Entwicklung empfunden haben dürfte, die Repräsentanten der kirchlichen Welt dagegen als diejenigen, die ihm seinen Traum von einem echt geistlichen Leben ermöglichten. – Es ist auf diesem Hintergrund kein Wunder, dass das erste geschriebene Wort, das uns von Petrus Canisius erhalten ist, „PERSEVERA“ lautet: „Halte durch!“ Er hatte es als 17-jähriger Student in Köln in Großbuchstaben oben auf die erste Seite seines Schulheftes geschrieben. Es war genau die Zeit, als sich immer deutlicher abzeichnete, dass sich seine eigenen Pläne und die seines Vaters grundsätzlich nicht auf eins bringen ließen. Da hieß es entweder nachgeben oder durchhalten. Petrus Canisius entschied sich mit Nachdruck und in Großbuchstaben für das Durchhalten. Es sollte das Motto seines Lebens werden.

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      Auf dieser ersten Seite eines Schulhefts des 17-jährigen Petrus Canisius findet sich in Großbuchstaben sein Lebensmotto: „PERSEVERA“ (Halte durch!) – und andere nützliche Notizen wie z. B. ein Rezept gegen Nasenbluten.

      Was dann passierte, könnte man sich nicht symbolträchtiger vorstellen: So wie der rebellische Teenager Peter Kanis Schritt für Schritt aus den Plänen seines Vaters verschwand, so verschwand schließlich auch der noch nicht zehnjährige Bub Peter Kanis aus dem Familienbild auf dem Nimwegener Flügelaltar. Er wurde etwa um 1580 herum übermalt mit seinem Halbbruder Gerit Kanis, dessen Lebensweg mehr nach dem Geschmack Jacobs war und der nach dem Tod des Vaters zum Oberhaupt der Familie werden und ihn viel später auch noch als Bürgermeister von Nimwegen beerben sollte. Wer diese massive Retusche am Flügelaltar in die Wege geleitet hat, wissen wir nicht. Genauso wenig wissen wir, ob sich Peter davon getroffen fühlte, dass man ihn aus dem Doppelporträt mit seinem Vater quasi ausradiert hatte (oder ob er vielleicht sogar erleichtert war). Als Jacob im Dezember 1543 im Sterben lag, war er aber jedenfalls sofort nach Nimwegen aufgebrochen. Er hatte seinen lange gesuchten geistlichen Weg jenseits der väterlichen Welt kaum mehr als ein halbes Jahr zuvor endlich gefunden. Im Mai war er zum ersten Mitglied der Gesellschaft Jesu aus dem römisch-deutschen Reich geworden. In seinen zahlreichen Briefen und vielfältigen anderen Schriften gibt es keinen Hinweis, wie sich Petrus Canisius angesichts des Todes des Vaters gefühlt haben mag. Allerdings gab er etwa ein Vierteljahrhundert später in seinen Bekenntnissen eine gewisse Furcht um das Seelenheil des Vaters zu Protokoll, der „viele Fehler begangen und manches nicht gesühnt hat“36. Ein anderer seiner Halbbrüder, Derick Canisius, der auch Jesuit geworden war, erinnerte sich viel später jedoch daran, dass Peter diesem Problem unmittelbar am Totenbett


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