Petrus Canisius. Mathias Moosbrugger

Petrus Canisius - Mathias Moosbrugger


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deutlich macht, dass Heiligkeit keine Ewigkeitskategorie ist. Ihnen zeigt sein Leben, dass sich Heiligkeit immer in ganz konkreten (und aus heutiger Perspektive mitunter auch verstörend konkreten) historischen Biographien verkörpert.

      Allen – den historisch Interessierten, den religiös Interessierten und allen anderen auch – wollte ich ein spannendes Buch über einen spannenden Menschen schreiben.

      Ob mir das gelungen ist, müssen die Leserinnen und Leser entscheiden!

      Einleitung

      Es ist noch gar nicht so lange her, dass der frühneuzeitliche Jesuit Petrus Canisius in aller Munde war. Als der Osttiroler Bergbauernbub Franz Josef Kofler am Beginn des 20. Jahrhunderts von seiner strengkatholischen Base wieder einmal gefragt wurde, ob er die im Religionsunterricht aufgegebenen Fragen auch wirklich gelernt habe, hatte er keine besonderen Skrupel, ein wenig zu schwindeln. Er versicherte ihr, dass da alles in bester Ordnung sei. Sie könne ihn ruhig ausfragen. Das tat sie aber erfahrungsgemäß nie, denn: „Sie wußte nicht, wo wir waren und zudem kannte sie sich nur im alten ‚Kanisi‘ aus, nicht im neuen.“3

      Der Name Canisius bzw. Kanisi war bis vor wenigen Jahrzehnten nicht nur im tiefkatholischen Osttirol, sondern im ganzen deutschen Sprachraum (und darüber hinaus) praktisch gleichbedeutend mit katholisch-religiöser Bildung. Wer ein ganzer Katholik war, hatte seinen Kanisi gelernt oder machte es wie der kleine Franz Josef Kofler und behauptete es zumindest. Unter dem Kanisi verstand man in der Regel einen Katechismus im Frage-Antwort-Format, in dem die zentralen Inhalte der katholischen Lehre auf Schulniveau zusammengestellt waren. Zwar hatte man schon seit dem 18. Jahrhundert damit begonnen, im Unterricht bevorzugt andere Katechismen zu verwenden. Die volkstümliche Bezeichnung auch dieser neuen Katechismen nach Petrus Canisius wurde aber beibehalten. Immerhin hatte er das literarische Genre des katholischen Katechismus im 16. Jahrhundert praktisch neu erfunden und war damit unglaublich erfolgreich gewesen. Sein Katechismus in drei unterschiedlich langen und unterschiedlich komplexen Versionen aus den Jahren 1555, 1556 und 1558 war innerhalb kürzester Zeit zu einem regelrechten Bestseller geworden – und ist es über Jahrhunderte hinweg geblieben. Ein besonders fleißiger Geschichtsforscher hat genau nachgezählt. Die von ihm erhobenen Zahlen sind beinahe unglaublich: Allein zu Lebzeiten von Petrus Canisius (gest. 1597) und damit in gerade einmal vierzig Jahren sind demnach 347 Katechismus-Auflagen erschienen. Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts sind dann noch einmal unbegreifliche 832 weitere Auflagen dazugekommen – soweit wir jedenfalls momentan wissen. Vielleicht waren es sogar noch mehr. Ursprünglich geschrieben auf Latein, der Weltsprache des 16. Jahrhunderts, war dieser Katechismus in seinen drei Varianten praktisch sofort in die verschiedensten Volkssprachen übersetzt worden; in die gängigen europäischen sowieso, aber offenbar sogar unter anderem auch ins Äthiopische und ins Japanische.4 Ein Jesuit mit einem Faible für alte Sprachen hat sich sogar die etwas kuriose Mühe gemacht, dieses für den Schulgebrauch gedachte Buch in die Gelehrtensprachen Altgriechisch (1595) und Hebräisch (1620) zu übersetzen. Aber auch die zahlreichen Analphabeten wurden nicht vergessen. Für sie wurde auf der Grundlage des Textes von Petrus Canisius ein Bilderkatechismus erarbeitet, der 1589 das erste Mal veröffentlicht wurde.5

      Noch beeindruckender aber: Diese regelrechten Massen an Katechismusbüchern sind nicht nur immer wieder neu aufgelegt und gekauft, sondern von noch größeren Massen an Lesern auch tatsächlich gelesen und im Schulbetrieb sogar konsequent auswendig gelernt worden. Was Petrus Canisius über den christlichen Glauben geschrieben hat, ist von vielen Generationen von Schülern immer und immer wieder aufs Neue und Wort für Wort wiederholt und damit nachhaltig verinnerlicht worden. Man darf sich natürlich fragen, mit wie viel Begeisterung und spiritueller Nachhaltigkeit das im Einzelnen jeweils verbunden gewesen sein mag. Dennoch übertreibt man wohl nicht, wenn man Petrus Canisius als den meistgelesenen und damit breitenwirksamsten katholischen Autor mindestens der letzten 500 Jahre bezeichnet.

      Das hat sich in kürzester Zeit schlagartig geändert. Als kluger Schüler konnte man zwar noch vor einem halben Jahrhundert im vorarlbergischen Bregenzerwald von seinen stolzen Eltern als ein echter Petrus Canisius bezeichnet werden. Aber schon damals wusste man auch als kluger Schüler kaum noch etwas mit der historischen Figur hinter dem Namen anzufangen.6 Heute kennt man in der Regel nicht einmal mehr den Namen. Das hat natürlich nicht zuletzt mit den einschneidenden Veränderungen im Religionsunterricht der jüngeren Vergangenheit zu tun. Das Pauken von religiösen Inhalten gilt mittlerweile (ob nun zu Recht oder zu Unrecht) in weiten Kreisen als heillos überholt – und damit auch das Konzept des Katechismus, egal, ob ein solcher von Petrus Canisius oder von jemand anderem geschrieben worden ist. Mit dem Katechismus ist aber zugleich auch der wichtigste canisianische Erinnerungsort sozusagen über Nacht verloren gegangen.

      Petrus Canisius ist jedoch nicht nur als Autor des einst wichtigsten katholischen Religionsbuches mittlerweile praktisch vergessen. Dass er ein außerordentlich wichtiger Berater von Kaisern, Königen und Herzögen gewesen ist und so im Auftrag seiner jesuitischen Ordensoberen auf die Gestaltung der in der frühen Neuzeit für praktisch alle Lebensbereiche maßgeblichen Religionspolitik7 entscheidenden Einfluss genommen hat, weiß außerhalb absoluter Expertenkreise kein Mensch.8 Seine Bedeutung beim geistlichen Wiederaufbau der im Reformationsjahrhundert am Boden liegenden katholischen Kirche, die sich nicht in seiner Beratertätigkeit an Fürstenhöfen erschöpfte, ist überhaupt nahezu unbekannt. Während man sich mindestens in bewusst protestantischen Kreisen nicht nur an den reformatorischen Übervater Martin Luther, sondern auch durchaus noch an einen Philipp Melanchthon als entscheidenden Gestalter der lutherischen Identität im 16. Jahrhundert erinnert, ist Petrus Canisius bei den Katholiken zu einem großen Unbekannten geworden. Und das, obwohl kaum eine andere einzelne Person so viel zur Neugestaltung der katholischen Identität in der frühen Neuzeit beigetragen hat und man ihn sogar ohne Übertreibung den „Inbegriff der katholischen Reform des 16. Jahrhunderts“9 genannt hat. Es drängt sich sogar der Verdacht auf, dass Petrus Canisius in den vergangenen Jahrzehnten gerade im kirchlich-katholischen Milieu mehr oder weniger bewusst verdrängt worden ist. Nachdem ihn die antimodernistisch-kulturkämpferische Kirche 1864 zuerst selig- und 1925 dann heiliggesprochen und sogar zum Kirchenlehrer ernannt hatte, war dieser neue Heilige, der schon im 19. Jahrhundert mit mangelnder Verehrung zu kämpfen hatte,10 schon bald offenbar grundsätzlich peinlich geworden. Wie es scheint, konnte man in ökumenisch zunehmend sensibleren Zeiten nur wenig mit einem wie ihm anfangen, den Papst Leo XIII. 1897 als Kämpfer gegen die „lutherische Auflehnung“11 gepriesen und den der besonders streitbare Papst Pius XI. sogar noch 1925 im Heiligsprechungsdekret Misericordiarum Deus mit Hochachtung als „Zertrümmerer der Ketzer“ (haereticorum malleus)12 – gemeint waren damit natürlich wieder die Protestanten – bezeichnet hatte.13 Die seit damals immer wieder unternommenen allzu bemühten Versuche, die Quellen gegen den Strich zu bürsten und ihn als einen „Ökumeniker der ersten Stunde“14 ins Spiel zu bringen, haben nicht nur historisch wenig überzeugt.15 Sie haben auch nicht zu einer Popularisierung dieses unpopulären Heiligen beigetragen. Die Diözese Innsbruck, die 1964 und damit genau hundert Jahre nach seiner Seligsprechung gegründet worden ist, hat ihn sich zwar noch als Diözesanpatron ausgesucht, richtig volkstümlich ist Petrus Canisius aber auch dort nicht mehr geworden. Es dürfte kein Zufall sein, dass er in dem vielstrophigen Lied „O Gott, streck aus die milde Hand“ in der Österreich-Ausgabe des offiziellen kirchlichen Gesangsbuches Gotteslob, in dem die zahlreichen Patrone der Bundesländer und Diözesen Österreichs besungen werden, als einziger noch nicht einmal namentlich erwähnt wird.16

      Das vorliegende Buch möchte dem entgegenwirken und diesen großen Unbekannten des 16. Jahrhunderts anlässlich seines 500. Geburtstages wieder etwas bekannter machen. Verdient hätte er es: Sein Leben ist nämlich tatsächlich unglaublich spannend, eine geradezu atemlose Kaskade von glänzenden Erfolgen und schallenden Niederlagen, in der sich die nervöse Unruhe widerspiegelt, die am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit in allen Lebensbereichen herrschte. Petrus Canisius war sozusagen ständig in Bewegung und geprägt von der unbedingten Bereitschaft, sich in dieser vor allem religiös unruhigen Zeit für die Überzeugungen zu verbrauchen, die für ihn entscheidend waren. Seine Aktivitäten waren dementsprechend


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