Petrus Canisius. Mathias Moosbrugger

Petrus Canisius - Mathias Moosbrugger


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schenken. Und Gott, der Vater der Erbarmungen hörte seine kindlichen Seufzer und tat Canisius kund, daß sein Vater und seine Mutter im Himmel seien.“37

      Einen vielleicht noch intimeren – und biographisch versöhnlicheren – Einblick in das komplizierte Vater-Sohn-Verhältnis als diese sehr fromme Erinnerung bietet das, was Petrus Canisius selbst etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später in seinem letzten Lebensjahr an seinen Neffen schrieb: „Mach deinem Namen Jakobus keine Schande; du hast dir ja mit diesem Namen das Leben meines Vaters zum Vorbild genommen, und du weißt wohl, welch seltene und hervorragende Fähigkeiten er hatte.“38 Die Befreiung aus der väterlichen Welt hatte seinen Traum von einem geistlichen Leben überhaupt erst möglich gemacht. Aber trotzdem blieb er bis zu seinem Tod mit spürbarem Stolz der Sohn des Jacob Kanis, der sich nicht nur unermüdlich um seine eigene Karriere gesorgt hatte, sondern genauso unermüdlich (wenn auch erfolglos) auch um die Karriere seines Sohnes.

      Das Bild des jungen Peter Kanis auf dem Nimwegener Flügelaltar wurde erst bei einer Restaurierung im Jahr 1988 hinter der nachträglichen Übermalung wieder freigelegt, nachdem es kurz zuvor mit Hilfe von Röntgenstrahlen dort wiederentdeckt worden war. Der Altar wird heute in dieser ursprünglichen Form im Stadtmuseum von Nimwegen aufbewahrt.39 Erst seit damals blickt dieser noch nicht zehnjährige Bub mit seinem versonnenen Blick wieder in eine ihm noch weitgehend unbekannte Welt hinein – eine Welt, die er als Erwachsener vor allem auf religiöser Ebene wie kaum einer seiner Zeitgenossen im religiös höchst turbulenten 16. Jahrhundert mitgestaltet hat. Dazu musste er aber aus der väterlichen Welt von Nimwegen ausbrechen und nach neuen Welten Ausschau halten.

      Freiburg in der Schweiz: Der alte Petrus Canisius und sein Blick in die Vergangenheit

      Viel erinnert auf dem Bild des altgewordenen Petrus Canisius, das ihn in den späten 1590er Jahren und damit in seiner letzten Lebensphase im schweizerischen Freiburg zeigt, nicht mehr an den jungen Peter Kanis vom Nimwegener Flügelaltar, das auffallend volle Haupthaar und die Frisur vielleicht ausgenommen.

      Das dürfte ihm durchaus recht gewesen sein. Immerhin hatte er über die Jahre hinweg eifrig daran gearbeitet, sich von seinen heimatlichen und familiären Wurzeln zu emanzipieren und ganz in dem geistlichen Leben aufzugehen, für das er sich gegen die väterlichen Pläne entschlossen hatte. Dieses neue geistliche Leben hatte er mit einem existenziellen Befreiungsschlag begonnen, als er sich am 8. Mai 1543 und damit punktgenau an seinem 22. Geburtstag durch seine ersten Gelübde an die junge Gesellschaft Jesu gebunden hatte, die nördlich der Alpen damals noch kaum bekannt war. Der 8. Mai war für ihn fortan dementsprechend nicht mehr in erster Linie sein Geburtstag als Sohn einer wohlhabenden Bürgermeisterfamilie, sondern der Tag seiner geistigen Wiedergeburt als Jesuit. Damit hatte er sein altes Leben – diesen bis auf einige göttliche Gnadeninterventionen geistlich mehr oder weniger vergeudeten „Zeitraum vor meinem Eintritt in die Gesellschaft Jesu“40 – endgültig hinter sich gelassen, und zwar ganz bewusst „ohne Abschied von meinen Eltern zu nehmen und ohne Wissen meiner Freunde“41. Sie waren ja ein Teil seines alten Lebens. 1547 instruierte er sogar einen seiner jesuitischen Mitbrüder, dass die Briefe seiner leiblichen Brüder erst nach einer ordensinternen Zensur an ihn weitergeleitet werden sollten.42 Nichts sollte ihn mehr unmittelbar mit seinem alten Leben verbinden. Was er für seine Familie in Zukunft noch sein sollte, das war er (und zwar tatsächlich mit sehr großem Einsatz) als religiöser Ratgeber und Wächter über ihre katholische Rechtgläubigkeit.43

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      Dieser ausdrucksstarke Kupferstich von Dominikus Custos aus dem Jahr 1599 bietet ein authentisches Porträt des altgewordenen Petrus Canisius. Er ist zur Grundlage aller späteren Darstellungen in Kunst und Kitsch geworden.

      Als der alte Petrus Canisius in den späten 1590ern quasi von seinem Altersbildnis auf sein Leben zurückblickte, blickte er dementsprechend vor allem auf sein zweites Leben und damit sein Leben als Jesuit zurück. In diesem zweiten Leben hatte er auch tatsächlich unglaublich viel erlebt: Grundlegend für alles Weitere war, dass er seiner jesuitischen Berufung schon sehr früh ein klares Profil gegeben hatte. Ihm war bewusst geworden, dass seine Lebensaufgabe als Jesuit darin bestand, „mit dem Engel der Deutschen (dem hl. Michael)“44 zusammenzuarbeiten und sich dementsprechend vor allem für die Wiederbelebung des scheintoten deutschen Katholizismus einzusetzen. Das ging so weit, dass er während seiner zweieinhalb italienischen Jahre von 1547 bis 1549 von seinem Ordensvater Ignatius von Loyola wegen seines ständigen „Brütens über Deutschland“45 ermahnt werden musste. Aber er konnte nicht anders: Der Einsatz für die Wiederaufrichtung der katholischen Kirche in Deutschland war das große Anliegen, das sein ganzes weiteres Leben prägte, und er war bereit, sich und seine ganze Existenz dafür in die Waagschale zu werfen. Der Rektor des Prager Jesuitenkollegs Ursmar Goisson traf in diesem Zusammenhang den entscheidenden Punkt, wenn er feststellte, er „besitzt die Gabe, allen alles zu sein“46. Petrus Canisius folgte tatsächlich ohne jeden Vorbehalt dem berühmten Motto des Völkermissionars Paulus, der im Blick auf seine eigene missionarische Wandlungsfähigkeit von sich gesagt hatte: „Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten.“ (1 Kor 9,22) Als brennender Katholik übersetzte er das für sich so: Nur indem er für die Deutschen ein ganzer Deutscher wurde, konnte es ihm gelingen, aus den Deutschen wieder ganze Katholiken zu machen und sie so zu retten. Das wurde nicht nur zu seinem persönlichen Leitgedanken. Er machte daraus auch ein grundsätzliches missionarisches Prinzip, das er im Sommer 1565 seinem Orden für alle Aktivitäten nördlich der Alpen empfahl: Es musste demnach darum gehen, sich „soweit als nur möglich den Deutschen und ihrer Eigenart anzugleichen“47. Damit dürfte er bei der römischen Ordensleitung offene Türen eingerannt sein, denn schon 1549 hatte man ihm und seinen Gefährten, die gerade im Begriff waren, nach Deutschland aufzubrechen, von dort den Rat mitgegeben, sie sollten sich „den Sitten jenes Volkes […] gleichförmig machen“48.

      Petrus Canisius selbst jedenfalls hielt sich an diese Maxime: So rückhaltlos, wie er ein Jesuit geworden war, so rückhaltlos wurde der ehemalige niederländische Patriziersohn im Laufe seines Lebens auch ein Deutscher. Das ging so weit, dass er im November 1565, als er für eine letzte Stippvisite in seine Heimatstadt Nimwegen zurückgekehrt war, nicht einmal mehr seine niederländische Muttersprache richtig beherrschte. Er musste in der Kirche zum hl. Stephan notgedrungen auf Deutsch predigen.49 Sogar seine seltsam distanzierten und von religiöser Rhetorik durchdrungenen Briefe an seine Stiefmutter und seine Geschwister schrieb er ab den 1550er Jahren in der Regel nicht mehr auf Niederländisch, sondern auf Deutsch.50

      Petrus Canisius hatte also über die Jahre tatsächlich ein anderes Leben geführt als das, das man sich von dem noch nicht zehnjährigen Peter Kanis vom Nimwegener Flügelaltar vielleicht erwartet hätte: das Leben eines Jesuiten statt eines Juristen, das Leben eines Missionars statt eines Domherrn, das Leben eines Deutschen statt eines Niederländers. Dieser „Theologe der Gesellschaft Jesu“, wie ihn die großformatige Umschrift um das Altersbild nennt, war mit diesem anderen Leben schon zu seinen Lebzeiten berühmt geworden. Das auf diesem Altersbild zitierte Motto aus dem alttestamentlichen Buch Daniel zählt ihn im rhetorischen Überschwang sogar zu den Männern, die „immer und ewig wie die Sterne leuchten“ (Dan 12,3).

      Ob sein Ruhm wirklich immer und ewig andauern sollte, war zwar am Vorabend seines Todes noch keineswegs ausgemacht, aber dass Petrus Canisius von seinem Altersporträt herab auf ein Leben zurückblicken konnte, in dem er zu einer echten Berühmtheit geworden war, war bei aller Bescheidenheit auch ihm selbst bewusst. Schon während seiner frühesten jesuitischen Lehrjahre im weiteren Verlauf der 1540er Jahre war er aufgefallen, unter anderem als offizieller Abgesandter des gegen seinen Erzbischof aufbegehrenden Kölner Klerus an Kaiser Karl V., als Teilnehmer am Wormser Reichstag oder auch als Theologe bei der ersten Sitzungsperiode des Konzils von Trient. Von 1547 bis 1549 war er dann in Italien gewesen, zuerst in Rom, wo er bei Ignatius von Loyola selbst noch einmal in die Lehre als Jesuit ging, dann im sizilianischen Messina, wo er die erste öffentliche Schule der Jesuiten mitgegründet und damit eine kaum zu überschätzende Neuausrichtung seines Ordens mitinitiiert hatte: Die Jesuiten sollten


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