Flusenflug. Peter Maria Löw
Sure 27 Vers 18 f.
6Term (engl.): Studienabschnitt von ca. zwei Monaten.
7M&A: mergers and acquisitions (engl.), Firmenübernahmen und Zusammenschlüsse; Boutique: Jargon für kleine Gesellschaft.
8Eine Due-Diligence-Prüfung, entsprechend dem englischen Rechtsund Geschäftsjargon oft verkürzt zu Due Diligence, bezeichnet eine sorgfältige Prüfung, die – im Regelfall durch den Käufer veranlasst – beim Kauf von Unternehmensbeteiligungen oder Immobilien sowie bei einem Börsengang erfolgt (Wikipedia).
9Signing und Closing (engl.): Abschluss des obligatorischen Vertrages und dingliche Übereignung.
10Eine Maß entspricht ca. einem Liter.
11Unter einem Cashflow versteht man in der Wirtschaft eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, bei der Einzahlungen und Auszahlungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums einander gegenübergestellt werden und dadurch Aussagen zur Innenfinanzierung oder Liquidität eines Wirtschaftssubjektes möglich werden (Wikipedia), hier: Liquiditätszuflüsse.
Teil 1
Das 1. Abenteuer Im Niemandsland (Ostwestfalen)
Inzwischen waren mehr als sechs Monate vergangen. Martin hatte tatsächlich bei seiner Firma gekündigt und streifte seitdem wie ein einsamer Wolf durch die Lande, immer auf der Suche nach Beute. Natürlich ging er dabei nicht planlos vor, sondern hatte jene kleine, feine und geheime Liste aus seiner alten Firma mitgenommen, eine Liste von Unternehmen, die möglicherweise zum Verkauf standen. Diese hatte er in seiner Zeit als Akquisiteur bei der IMM für sich erstellt, mit Firmen, die nicht unbedingt in das Beuteschema der IMM fielen, jedoch uns als kleine Einsteiger durchaus interessant erschienen. Und natürlich waren alle diese Unternehmen Büromaschinenhändler, denn mit nichts anderem hatte Martin sich im vergangenen Jahr beschäftigt. Seine Frau war natürlich ob dieser Entwicklung nicht sehr glücklich. Bereits seit einigen Monaten schwanger12 war es für sie alles andere als eine Traumvorstellung, dass ihr Mann den wohldotierten und langfristig garantierten Job verließ, um ohne konkrete Aussicht auf ein gesichertes Einkommen und ohne festen Arbeitsplatz rastlos umherzuziehen, bei wildfremden Firmen anzuklopfen und nur noch selten zu Hause zu sein. Doch derart kleinkrämerische Gedanken ließen wir nicht gelten.
Ich zahlte Martin, wie vereinbart, die Hälfte meines McKinsey-Gehalts und Martin fuhr mit dem klapprigen und ausrangierten Mercedes seines Vaters, der bestimmt seine fünfzehn, zwanzig Jahre auf dem Buckel hatte, in die Welt hinaus. Ich selbst hatte dabei zugegebenermaßen den weitaus angenehmeren Job. Ich blieb auf meiner tollen Position bei McKinsey, genoss weiterhin die Erste-Klasse-Flüge und die 5-Sterne-Hotels. Zweimal umkreiste ich auf diese kommode Art den gesamten Erdball, von München nach Boston, über Denver nach Los Angeles, von Hawaii (natürlich) nach Japan, nach Hongkong und nach München zurück, um als doch reichlich unerfahrener Berater den großen, internationalen Consultant zu mimen.
Ende 1992 war es dann so weit. Nach vielen Absagen durch potentielle Verkäufer, aber auch nach vielen Absagen durch uns nach Analyse der Firmenzahlen, hatte Martin scheinbar das ideale Unternehmen gefunden. Geld hatten wir ja keines und so war ich doch ein wenig überrascht, als Martin mir mit strahlenden Augen unseren ersten Deal präsentierte. Ein kleiner Büromaschinenhändler in Espelkamp mit gerade einmal DM 7,9 Mio. Umsatz sollte es sein. Er werde von zwei älteren Herren geführt, die aus Altersgründen die Firma verkaufen wollten, sich aber bereit erklärt hätten für ein, zwei weitere Jahre als Geschäftsführer in der Firma zu verbleiben. Der Kaufpreis sollte »nur« DM 7 Mio. betragen und entsprach damit fast einmal dem Umsatz. Einen in Relation zum Umsatz derart hohen Kaufpreis würden wir in der Zukunft übrigens nie mehr zahlen, aber noch waren wir die Unerfahrenen. Martin schwärmte von den Vorzügen dieser Firma. Die A + L Bürocenter GmbH13 sei der Platzhirsch und habe mit Minolta einen zuverlässigen Lieferanten. Allerlei stille Reserven hatte Martin außerdem in den Jahresabschlüssen ausgemacht, die nach seiner Meinung innerhalb kürzester Zeit gehoben werden könnten und damit unweigerlich zu einer raschen Rückführung des gesamten Kaufpreises führen müssten. Das hörte sich doch ganz gut an.
Die A + L Bürocenter GmbH war ein Büromaschinenhändler, der auf mehreren Geschäftsfeldern aktiv war. Die Gesellschaft verkaufte mit 27 Mitarbeitern nicht nur Kopiergeräte und andere Büromaschinen, sie unterhielt auch einen eigenen Leasingdienst, der Kopiergeräte an Endkunden, meist gewerbliche oder industrielle, verleaste, außerdem einen Wartungs- und Reparaturdienst. Alleine in der Werkstatt arbeiteten circa 11 Mann und nicht zuletzt gab es auch noch eine Abteilung für Büromöbel. Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in Espelkamp, einem Städtchen oder besser einem ehemaligen Munitionslager der Nazis, das nach dem Krieg mit Aussiedlern aus dem Osten erst zu einem Städtchen aufgepäppelt worden war. Nördlich des Wiehengebirges gelegen, also dort wo jede Zivilisation aufhört, umgaben das große Torfmoor, das Niedermoor und das Freimoor das Stadtgebiet. Alle schienen dort lutheranisch oder so was zu sein, jedenfalls waren sie nicht sehr redselig und meistens schlecht gelaunt. Die nächste größere Stadt war ca. 40 Kilometer entfernt und das war dann ausgerechnet auch noch Bielefeld!
Der Markt war wegen relativ geringer Eintrittsbarrieren und einer weit gestreuten Lieferantenschar, die fast identische Artikel zu fast identischen Preisen lieferte, heiß umkämpft. Es gab nur eine geringe Markentreue unter den Abnehmern. Ob ein Kopiergerät von Canon, Ricoh oder Minolta kam, war letztlich relativ egal. Was dem Kunden jedoch nicht gleichgültig war, waren die Reaktionszeiten, falls es einmal zu einem Papierstau bei einem Kopiergerät gekommen war. Im schlimmsten Fall konnte so ein ganzer Geschäftsbetrieb lahmgelegt werden. Daher definierten gerade diese Reaktionszeiten, nämlich die Entfernung und damit die Fahrzeiten der Reparaturteams vom Firmenstandort zum Kunden, in welchem Umkreis Kunden bedient werden konnten. Und tatsächlich besaß die A + L, ähnlich einem militärischen Gefechtsstand, eine operative Einsatzzentrale, die die verschiedenen Reparaturfahrzeuge zentral steuerte und so die kürzesten Reaktionszeiten erzielte.
Am 31. Dezember, also am Silvesterabend des Jahres 1992, unterzeichneten wir mit den Verkäufern Herrn Landmeier14 und Herrn Althaus15 den Kaufvertrag. Der Kaufpreis sollte mit Fertigstellung der geprüften Jahresabschlüsse geleistet werden. Dann wären wir stolze Eigentümer unserer ersten Firma, hafteten aber auch persönlich für die gesamte Finanzierung. Mit circa DM 7 Mio. belastet, aber um ein Unternehmen reicher, begannen wir nunmehr unsere Karriere als Firmenkäufer.
An diesem denkwürdigen Silvesterabend kehrten wir in Martins alter Kutsche erschöpft, aber doch befriedigt und ehrlicherweise auch ein wenig besorgt nach München zurück. Wir hatten alles auf eine Karte gesetzt. Die im Haus von Martin Vorderwülbecke angesetzte Silvesterfeier war bei unserer Ankunft gegen zwei Uhr so gut wie vorbei, die Stimmung bei ihm zu Hause natürlich aufgrund der zu späten Stunde und der uns dämmernden Haftungslage ein wenig angespannt. So endete dieser Abend bzw. begann dieser Neujahrsmorgen doch etwas lautstärker, nicht wegen der noch vereinzelten Böller, sondern wegen des offenbar aussichtslosen Versuchs von Martin, seiner lieben Frau die Situation zu schildern. Irgendwann ging eine Tür zu Bruch. Da beschloss ich, doch besser zu gehen. Wie schwer fällt es manchmal, die großen Taten waghalsiger Männer angemessen zu würdigen im Angesicht des täglichen, hochkomplexen Mikrokosmos eines Haushalts.
Nun waren wir ja von Hause aus nicht mit unbegrenzten Geldmengen gesegnet. Eigentlich hatte ich mir durch meine Arbeit bei McKinsey lediglich ein Polster von rund DM 150 00016 zurücklegen können. Ähnlich war es bei Martin. Der Kaufpreis sollte jedoch ebendie geforderten DM 7 Mio. betragen. Es bestand