Flusenflug. Peter Maria Löw
diese nicht einfach die fehlenden DM 3,35 Mio. auf meinen hälftigen Anteil finanzieren könnte. Ich pries die zu kaufende Firma in den höchsten Tönen, konnte positive Bilanzen der letzten Jahre vorweisen, es gelang mir sogar, den Bankbetreuer auf meine Seite zu ziehen, der natürlich zunächst nur seine Provision im Auge hatte. Jedoch kamen aus dem Kreditausschuss ernüchternde Nachrichten. Man wolle aus München heraus nicht eine Firma im entfernten Espelkamp – Wo liegt das eigentlich? Gibt es das überhaupt? – finanzieren. Die Firma sei im Übrigen viel zu klein und damit unterkritisch17 für ein solches Investment. Schließlich hätte ich keinerlei Track Record18 und könnte auch sonst nicht nachweisen, dass ich überhaupt in der Lage sei, eine solche Firma operativ zu managen. Aber weil sie ja einen so guten Eindruck von mir hätten und ich schließlich ja bei McKinsey arbeiten würde, hätten sie sich im Gremium dafür entschieden, mir doch in gewisser Weise unter die Arme zu greifen. Unter Verpfändung meines McKinsey-Einkommens bis ans Lebensende wären sie gerne bereit, mir DM 200 000 zu leihen.
Das waren andererseits auch keine völlig schlechten Nachrichten. Immerhin hatte ich jetzt erkannt, dass meine Position bei McKinsey anscheinend einen gewissen monetären Wert besaß. Daher bedankte ich mich freundlich für die Zusage, strich die DM 200 000 ein und setzte, ausgestattet mit jetzt insgesamt DM 350 000, meine Finanzierungsreise fort. Bei der nächsten Bank erging es mir ähnlich, nur dass ich meine Geschichte in der Zwischenzeit ein wenig adaptiert hatte. Nunmehr konnte ich auf DM 350 000 »Eigenmittel« zurückgreifen. Mir fehlte also nur noch die kleine Differenz von DM 3,15 Mio. und wieder bekam ich eine Zusage über einige Hunderttausend DM »wegen McKinsey«, sodass sich die Finanzierungslücke langsam zu schließen begann. So zog ich munter weiter durch die Finanzwelt und ergatterte hier und da noch einige Mittel, um schließlich mit fast einer Million im Säckel bei der örtlichen Sparkasse in Rahden vorzusprechen, die seit Jahren die Hausbank der A + L gewesen war. Auch Martin war ähnlich weit gekommen.
Jetzt standen wir also gemeinsam vor Herrn Direktor Gollup. Herr Gollup, inzwischen an die sechzig, war das, was man sich unter dem Direktor einer ländlichen Sparkasse vorstellte. Mit einem kleinen Wohlstandsbauch ausgestattet, stets in grauem Anzug mit Weste und einer eigenwilligen Krawatte, die ich nie in Erwägung ziehen würde, strahlte er die Würde und Bedeutung seines Amtes aus. Mit der Bitte uns, als wichtige Investoren, eine gewisse Brückenfinanzierung für die Akquisition der für den Landkreis so bedeutenden Firma A + L zur Verfügung zu stellen, stießen wir endlich auf offene Ohren. Der Bankdirektor, von unserer offensichtlichen Finanzkraft und unserem bestimmenden Auftreten beeindruckt, erklärte sich bereit, unter Verpfändung der Anteile der Gesellschaft und nach Abgabe jeweils einer gesamt- und selbstschuldnerischen, persönlichen Bürgschaft unter Verzicht auf jedwede Einrede (übrigens wie bei allen anderen Banken vorher auch) das fehlende Quäntchen zu finanzieren.
Dass eine solche »Kaskadenfinanzierung« natürlich nicht den üblichen Standards einer soliden und seriösen Finanzierung entsprach, dass insbesondere mein McKinsey-Gehalt durch die Mehrfachverpfändungen deutlich strapaziert war, dass dies alles heute natürlich gar nicht mehr möglich wäre, das war mir damals nur ansatzweise bewusst. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Zwei Monate später lagen die Jahresabschlüsse vor und wurden beim Notar hinterlegt. Die Fälligkeitsvoraussetzungen für die Auszahlung der Bankdarlehen waren damit eingetreten. Die tatsächliche Abwicklung des Kaufvertrages sollte jedoch bereits in dieser frühen Phase einen leichten Schatten auf unser erstes gemeinsames Projekt werfen. Über den Kaufpreis hinaus hatten wir nämlich mit der Bank vereinbart, dass diese uns einen weiteren Working Capital19-Kredit20 über DM 200 000 zur Verfügung stellte. Die Idee war, mögliche Schwankungen im Cashflow der A + L, die man nicht voraussehen konnte, auszugleichen. Wir hatten also auf unserem Konto nach Auszahlung aller Darlehensvaluta DM 7,2 Mio.
Im Rahmen einer kleinen Übergabezeremonie hatten wir uns alle in den Räumen der Gesellschaft versammelt. Anwesend waren die Herren Landhaus und Altmeier, der Herr Bankdirektor aus Rahden, Martin Vorderwülbecke und ich. Mit feierlicher Geste nahm Martin ein Scheckformular zur Hand und im Beisein aller füllte er dieses Scheckformular mit dem Kaufpreis aus und übergab es ebenso feierlich den beiden Verkäufern. Was Martin jedoch in der Aufregung dieses Augenblicks übersehen hatte, er hatte anstatt des Kaufpreises von DM 7 Mio. einen Betrag von DM 7,2 Mio., also den gesamten Valutabetrag des Darlehens, eingetragen. Dies bemerkten wir erst wenige Tage später, als die Valuta von unserem Konto in dieser überkompletten Höhe von den beiden Verkäufern abgebucht worden war. Natürlich stand im Kaufvertrag eine andere Summe und natürlich hatten die Herren auch keinerlei Anspruch auf den erhöhten Betrag. Wir fragten also an, ob sie den Betrag erhalten hätten und wenn ja, wann sie uns den versehentlich zu viel geleisteten Teil wieder zurücküberweisen würden. Die Antwort war kurz und bündig. Ein ostwestfälisches »Nö« schallte uns entgegen. Es sei eine alte Regel, dass das, was gezahlt worden sei, bezahlt sei und immer so verbliebe. Das sei hier so! Wir waren nun in einem gewissen Dilemma, denn einerseits sollten besagte Herren die Firma unter unserer Ägide ja weiterführen, und wir wollten es uns nicht gleich am Anfang mit ihnen verderben, andererseits handelte es sich nicht gerade um einen geringen Betrag, jedenfalls nicht für uns, die sich den gesamten Kaufpreis überhaupt erst hatten leihen müssen.
Um einem Streit gleich zu Beginn der Beziehung aus dem Wege zu gehen, schalteten wir den Bankdirektor aus Rahden ein, der die beiden Herren ja aus der Vergangenheit gut kannte. Da lernten wir den ruhigen und souveränen Herrn Gollup dann von einer ganz anderen Seite kennen. Mit einer diesem Körper kaum zuzutrauenden Lautstärke machte er den beiden Herren in klaren ostwestfälischen Worten deutlich, dass, wenn sie diesen Betrag nicht unverzüglich zurückzahlen würden, er sie nicht nur pfänden werde, sondern darüber hinaus auch ein strafrechtliches Verfahren bei dem mit ihm befreundeten Staatsanwalt mit allen daraus entstehenden Konsequenzen einleiten würde. Ich lernte hier, dass Höflichkeit und Freundlichkeit nicht immer der beste Weg sind, denn diese Ansage schien wohl deutlich mehr Eindruck zu hinterlassen als unsere nett vorgetragene Bitte. Bereits am Nachmittag desselben Tages waren die überschüssigen DM 200 000 wieder unserem Konto gutgeschrieben, ostwestfälisches Landrecht hin oder her.
Mich jedenfalls hatte dieses Geschäftsgebaren bei meinem ersten Deal doch ein wenig nachdenklich gestimmt. Aber nun schienen ja alle Hindernisse aus dem Weg geräumt und endlich konnte unser Expeditionsboot Fahrt aufnehmen – hinaus auf den blauen Ozean der unbegrenzten Möglichkeiten.
12Im Oktober kam dann Sebastian zur Welt.
13Firmenname geändert.
14Name geändert.
15Name geändert.
16Ausweislich des notariell beglaubigten Status über mein Vermögen vom 3. März 1993. Die Beglaubigung erfolgte übrigens durch einen mit Martin befreundeten Notar, der uns »der Einfachheit halber« den Notarstempel für ein paar Stunden zum freien Stempeln überließ.
17Unterkritisch bezeichnet eigentlich den Zustand in einem Kernreaktor, wenn dessen Neutronenvermehrungsrate unter dem Wert von 1 liegt und dadurch keine Kernspaltungs-Kettenreaktion mehr aufrechterhalten werden kann; hier (Branchenjagon): der Zustand, wenn eine Gesellschaft derart wenig Umsatz erzielt, dass sie selbst bei starken Kostenreduktionen nicht langfristig profitabel wirtschaften kann.
18Track record (engl.): Erfolgs- und Erfahrungsgeschichte einer Person, einer Beteiligungsgesellschaft bzw. eines Unternehmens und dessen Managements (Wikipedia).
19Working capital (engl.): Umlaufvermögen abzüglich kurzfristiger Verbindlichkeiten.
20Synonym für Betriebsmittelkredit.