Flusenflug. Peter Maria Löw
etwas mehr als einem Jahr war dies doch ein respektables Ergebnis.
Wir bestanden bei den Herren natürlich auf Bezahlung durch offiziellen Bankscheck. Ein Bankscheck hat die gleiche Bedeutung wie Bargeld. Wenn er verloren geht, kann man das Geld nicht noch einmal erhalten. Ich kann mich noch erinnern, wie Martin und ich taktisch planten, wie wir diesen wertvollen Scheck in Höhe von DM 8 Mio. von der Übergabe beim Notar bis zur Abgabe in der Bank sicher beförderten. Als alter Fallschirmjäger konnte ich Überfallsund Diebstahlsfantasien weitgehend ausräumen, aber ein Unfall? Ein Meteorit? Eine Sintflut? Wer konnte das schon wissen? Irgendwie erreichten wir dann aber doch sicher die Bank und zahlten ein. Ein schönes Gefühl.
21Ceteris paribus (lat.): unter sonst gleichen Bedingungen; in der betriebswirtschaftlichen Modellentwicklung versteht man darunter, dass Regelhaftigkeiten ermittelt werden sollen, indem man in der Modellanordnung zahlreiche andere Einflussgrößen, die in der wahren Welt sehr wohl vorkommen können, dadurch zu eliminieren versucht, dass man sie ignoriert.
Das 3. Abenteuer Ab nach Kassel
Seit Mitte 1993 hatten wir zur Bündelung unserer zukünftigen Kopieraktivitäten eine Dachgesellschaft gegründet, die System Kopie AG. Mit der Rechtsform AG wollten wir Größe und Seriosität nach außen vermitteln und die Bezeichnung »Vorstand« hatte zudem einen etwas wichtigeren Klang. Diesem Image diente auch die Wahl des Firmensitzes. Wir mieteten uns in einer sehr repräsentativen Villa aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts im Münchner Nobelviertel Bogenhausen ein. Dort, in der Cuvilliesstraße, mussten wir dennoch ein paar Zugeständnisse an unseren Geldbeutel machen. Wir leisteten uns einen komplett getäfelten Raum im Erdgeschoss mit bestimmt 30 qm und dazu nur noch ein winziges Büro von vielleicht 10 qm daneben, mehr ging nicht. Firmenbesucher wurden also stets über den repräsentativen Eingangsbereich der Villa in unser getäfeltes Büro geführt, das wir inzwischen mit zeitgenössischer Kunst und allerlei Schnickschnack »gepimpt« hatten. Der Durchgang zu unseren »weiteren« Büroräumen war dann natürlich für Gäste tabu. Dieses Potemkinsche Büro sollte aber seinen Zweck erfüllen.
Noch vor dem Verkauf der A + L Bürocenter hatte Martin Anfang Oktober 1993 eine weitere Firma identifiziert. Ich fuhr also mit meiner hübschen, französischen Oktoberfestbekanntschaft vom Vortag im Zuge der Völkerversöhnung flugs nach Kassel. Bei der Firma handelte es sich um den Büromaschinenhändler »brw Bürosysteme Vertriebsgesellschaft mbH« in Kassel, der dem Konzern Bührmann-Tetterode gehörte. Die Firma erwirtschaftete jährlich bei einem Umsatz von DM 8 Mio. einen sagenhaften Verlust von DM 5 Mio. und das Ganze bei einem schuldenfreien Bestand von 4000 Kopiergeräten, die an Kunden verleast worden waren. Nachdem ich mich ja bereits intensiv in das Geschäft des Büromaschinenhändlers eingearbeitet hatte, erschienen mir diese Zahlen völlig unerklärlich. Allein anhand der bestehenden Leasingverträge musste jeden Monat ein erheblicher Cashflow generiert werden und, wenn man dann für das Handling dieser Verträge ohne Neugeschäft nur einen reduzierten Personalstamm zugrunde legte, musste die Gesellschaft eigentlich einen erheblichen Gewinn erwirtschaften. Mit dieser Überzeugung im Tornister zogen wir also in die Schlacht. Bührmann-Tetterode war heilfroh, die Gesellschaft irgendwie loszuwerden, da die Verluste das Gesamtergebnis in der Konzernbilanz doch deutlich verhagelten. So gelang es uns, die Gesellschaft im Oktober 1993 für einen symbolischen Kaufpreis von DM 1 schuldenfrei zu übernehmen.
Unmittelbar nach dem zeitgleichen Signing und Closing stürmten wir in die Gesellschaft und entließen als erste Amtshandlung die beiden Geschäftsführer. Ähnlich wie bei A + L hatte der Konzern von diesen die Firma brw erworben und die beiden »Herren« im Amt belassen (was für ein blöder Anfängerfehler!). Gerade einmal zwei Stunden nach Entlassung der Geschäftsführer ereilte uns der Anruf von deren Anwalt. Man könne doch über alles reden und vielleicht einen Deal machen. Jedenfalls solle man nichts überstürzen. Diese sehr defensiven Aussagen ließen uns aufhorchen. Das Studium des Aktenmaterials im Geschäftsführerzimmer zeigte uns dann sehr schnell, dass die überraschend friedliche Kontaktaufnahme nicht ganz uneigennützig war. Wir stellten bald fest, dass nicht unerhebliche Beträge – Millionenbeträge – von der Gesellschaft für die privaten Bauvorhaben der beiden Herren Geschäftsführer zweckentfremdet worden waren. So etwas Ähnliches hatten wir doch schon einmal erlebt! Ein Teil der Belegschaft war offensichtlich zur Abwicklung dieser Bauvorhaben eingesetzt und ebenfalls großzügig »mitverprovisioniert« worden. Doch wussten wir nicht, wer alles mit den untreuen Geschäftsführern unter einer Decke steckte. Was war zu tun?
Da klopfte die Chefsekretärin bei uns an die Tür. Sie wolle uns eigentlich nur mitteilen, dass sie sich entschlossen habe oder jedenfalls darüber nachdächte, einen Betriebsrat zu gründen, und, ob wir ihr nicht dabei helfen könnten. Wir baten freundlich um eine kurze Bedenkzeit und nach nur zwei Minuten hatten wir die Kündigung für diese Dame verfertigt. Statt einen Betriebsrat zu gründen, wurde die Dame nun höflich, aber mit sofortiger Wirkung zur Tür begleitet. Danach begannen wir, alle verdächtigen Mitarbeiter konsequent zu entlassen. Eine Dame mit deutlich russischem Akzent erklärte uns, dass wir sie gar nicht entlassen könnten, denn sie wäre über das Arbeitsamt angestellt; dann eben nicht. Von den 52 Mitarbeitern der Gesellschaft blieben im Endeffekt nur 22. Einige Mitarbeiter, die wir im Übereifer entlassen hatten, holten wir nach und nach wieder zurück, sodass sich die Gesamtmitarbeiterzahl bei rund 35 einpendelte. Tatsächlich machte die Gesellschaft bereits im zweiten Monat, erstmals seit langem, wieder Gewinn. Kündigungsschutzklagen wurden aufgrund der kollektiven Untreuesituation, also aus Angst vor Strafverfolgung, gar nicht erst erhoben oder sie wurden abgewiesen.
Um die Finanzlage der brw schnell zu verbessern, gründeten wir eine eigene Leasinggesellschaft. Dieser übertrugen wir den gesamten Bestand an vermieteten, aber sonst unbelasteten Kopiergeräten zum gegenüber dem Verkehrswert in Höhe von ca. DM 3,5 Mio. deutlich niedrigeren Buchwert. Das waren dann DM 2,5 Mio. Unsere Leasinggesellschaft wiederum refinanzierte sich bei einem professionellen Leasingpartner, sodass ihr ebenjene DM 2,5 Mio. wieder zuflossen, die wir dann an die brw weiterleiteten. Da die brw durch diese Aktion keinen Gewinn machte – wir bewerteten die Leasingobjekte ja nur zu Buchwerten – mussten auch keine Steuern bezahlt werden. Wir hatten also bereits nach drei Monaten eine profitable Gesellschaft, die eigentlich kein Geld mehr brauchte, und DM 2,5 Mio. auf der hohen Kante. Da kam uns noch ein weiterer Umstand zupass. Die Gesellschaft verfügte über ein Einlagenkonto (EK 04) in Höhe von DM 3 Mio. Es handelte sich um Einlagen, die irgendwann einmal von irgendwelchen Vorgängern nicht auf das Stammkapital, sondern in die Rücklagen geleistet worden waren. Und aus diesem Konto konnte man damals noch steuerfrei in das Privatvermögen ausschütten, was wir auch taten. So hatten wir bereits nach kürzester Zeit DM 2,5 Mio. netto verdient und besaßen eine (noch schwach) profitable Gesellschaft. Auch das wollten wir nun ändern.
Wir führten das bereits bewährte Verkäuferstimulationsprogramm ein, erhöhten jedoch die Einbindung der Verkäufer in den gesamten Wertschöpfungsprozess. Sie sollten ihre Provision nun nicht mehr nur auf die erzielten Umsätze, sondern auf die erzielten Deckungsbeiträge erhalten, dafür zu einem höheren Prozentsatz. Im Gegenzug wurde ihnen nicht nur die Gestaltung der Verkaufspreise freigestellt, sondern sie erhielten die Befugnis, bei unserem Lieferanten Minolta im Einzelfall auch die Preise der bei Minolta zu erwerbenden Kopiergeräte zu verhandeln. Dies hatte einen sensationellen Effekt. Die Verkäufer feilschten nun nicht nur mit dem Kunden um jede einzelne Mark, sondern jetzt wurde auch über jedes einzelne Kopiergerät und dessen Einkaufspreis mit Minolta geschachert. Nachdem wir mit der A + L in Espelkamp, der brw in Kassel sowie inzwischen einem weiteren Büromaschinenhändler in Lemgo und Niederlassungen in Erfurt und Osnabrück zu Europas größtem Minolta-Händler aufgestiegen waren, musste Minolta dieses Prozedere hinnehmen. Ein eigener Mitarbeiter nur für unsere Vertriebsmitarbeiter wurde bei Minolta eingestellt. Minolta hatte schon von Anfang an unter unserer kostenbewussten Geschäftspolitik zu leiden gehabt. Da wir inzwischen eine strategische Größe für Minolta geworden waren, wollten wir diese Größeneffekte nunmehr auch in bare Münze umwandeln. Wir erklärten Minolta ultimativ, dass wir zu Canon, Ricoh oder zu einem anderen