Buddhismus und kindliche Spiritualität. Alexander von Gontard
Mädchen in meinem Traum, das lebendig, offen, mutig, frech und glücklich war – und gleichzeitig »ungeborenen«. Daher habe ich deutsche Ausdrücke verwendet, um die Lehren des Buddha zu erläutern, anstatt die ursprünglichen Worte in den historischen Sprachen Pali oder Sanskrit.
Dieses Buch hat viele Einschränkungen. Obwohl ich mich auf eine breite Auswahl von Quellen berufe, bin ich kein Theologe, Philologe, Indologe, Buddhologe, Historiker oder Soziologe, auch bin ich nicht in Philosophie ausgebildet. Mein Hintergrund ist der der Kinder- und Jugendmedizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, sowie der der langjährigen Erfahrung und Praxis der Meditation. Ich hoffe, dass die Leser meine Vereinfachungen, Missverständnisse und Mängel verzeihen werden, wo immer sie auftreten.
Ich bin Christopher Titmuss zu großem Dank verpflichtet, meinem Lehrer und Freund, der die Weisheit des Buddha mit mir geteilt hat. Zunächst möchte ich ihm dafür danken, dass er das Manuskript gelesen und korrigiert hat. Ich möchte auch Freunden, Kollegen und Seelenverwandten für Ihre Rückmeldung, Unterstützung und ihren Zuspruch danken. Schließlich möchte ich Natalie Watson des Verlags Jessica Kingsley Publishers danken, die dieses Projekt möglich machte, indem sie mir frei und großzügig erlaubte, dieses Buch zu schreiben – und die darüber hinaus dafür sorgte, dass es durch ihre sorgfältige und hilfreiche Bearbeitung seinen Weg ins Leben fand, d. h. »geboren« wurde.
Alexander von Gontard
Saarbrücken, im Februar 2017
1 In dem nächsten Satz erinnert er uns daran, dass »wenn wir zu viel drüber reden, bewegen wir uns weit weg von der universellen Dimension. Das ist der Grund warum in Kreisen des Zen-Buddhismus Menschen ermutigt werden zu erfahren und nicht viel zu reden.« Aus diesem Grund ist der Fokus dieses Buches auch auf die direkte Erfahrung gerichtet, mit vielen Zitaten von Kindern rund um die Welt.
2 Dieser Band enthält eine Reihe von Aufsätzen von C. G Jung und wurde in dieser Zusammenstellung nicht auf Deutsch veröffentlicht. Der Titel würde im Deutschen »Der moderne Mensch auf der Suche nach seiner Seele«, heißen, ein treffendes Thema auch für unsere Zeit.
Einleitung
Die Lehren und Einsichten des Buddha haben ihren Weg von ihren asiatischen Ursprüngen in den Westen gefunden. Buddhismus wurde beschrieben als die »psychologischste der Weltreligionen und die spirituellste der Psychologien der Welt« (Epstein 1998, S. 6). In einem sehr praktischen Sinn fühlen viele Menschen ein tiefes spirituelles Bedürfnis und eine Sehnsucht, die in ihrem täglichen Leben nicht erfüllt ist. Die Essenz der Lehren des Buddha ist so zugänglich, praktisch und leicht einzusetzen, dass sie eine große Anziehungskraft hat. Zusätzlich sind die Lehren kompatibel mit anderen religiösen Glaubensrichtungen und humanistischen Werten. Durch ihre nachgewiesenen positiven Effekte wurde »Achtsamkeit«, einer der Aspekte der Lehren des Buddha, in die moderne Psychologie und in viele verschiedene Schulen der Psychotherapie integriert.
In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Büchern veröffentlicht, die sich mit so unterschiedlichen Themen wie Buddhismus und Meditation, Geschichte, Politik, Ethik, Weisheit, Psychotherapie, persönlichen Beziehungen und selbst Elternschaft beschäftigten – aber nur wenige, die sich auf Kindheit an sich bezogen. Eine Ausnahme ist das hervorragende akademische Werk mit dem Titel »Little Buddhas: Children and Childhoods in Buddhist Texts and Traditions« (Sasson 2013). Selbst in den ursprünglichen Texten des Buddha gibt es nur wenige Hinweise auf Kinder, jedoch beschreiben einige die Treffen des Buddha mit Jugendlichen. Die Vernachlässigung der Kindheit als Thema in buddhistischen Veröffentlichungen ist wirklich verblüffend.
Zur gleichen Zeit hat sich eine zunehmende Aufmerksamkeit für die offene und spontane Spiritualität von Kindern und Jugendlichen entwickelt. Spiritualität wird verstanden als ein inhärenter Aspekt der menschlichen Entwicklung, die in jedem Menschen von Anfang an vorhanden ist. Sie ist nicht abhängig von Lernen, Ausbildung, individuellen Stärken, Fähigkeiten oder besonderen Lebensereignissen. Sie ist selbst für sehr junge Kinder zugänglich. Spirituelle Erfahrungen von Kindern sind tatsächlich so universell und häufig, dass die meisten Erwachsenen sich gut an sie erinnern und Einzelheiten wachrufen können. Tiefe spirituelle Einsichten von Kindern können Wendepunkte im Leben sein und als innere Ressourcen wirken, mit zukünftigen Krisen umzugehen und sie lösen zu können.
Spiritualität wird definiert als die Fähigkeit und das Bedürfnis eines Individuums nach transzendenten Erfahrungen und als Sehnsucht nach Tiefe im Leben. Religiosität dagegen ist ein nicht individuelles System von transzendenten Werten, die in Institutionen, Glauben, Theologien und Ritualen formal strukturiert werden. Religiosität wird beeinflusst von historischen und kulturellen Faktoren, während Spiritualität auf jeden Menschen zutrifft, unabhängig davon, ob er oder sie sich als Atheist, Agnostiker oder Gläubiger bezeichnet.
Für manche Menschen kann die Spiritualität innerhalb eines religiösen Rahmens erfahren werden. Sie kann ein lebendiger und bereichernder Aspekt einer wahren religiösen Hingabe sein. Für die meisten Menschen in säkularen Gesellschaften dagegen, zeigt sich die Spiritualität außerhalb einer religiösen Tradition. Diese spontane oder natürliche Spiritualität kann sich in verschiedenen Bereichen offenbaren. Typische Erscheinungsformen der Spiritualität bei Kindern umfassen das Wundern und Staunen, das Philosophieren, die interpersönliche Spiritualität, die Weisheit und das Unsichtbare sehen. Phänomenologisch sind diese Erfahrungen real für den Einzelnen, sie können kommuniziert werden und sogar von anderen verstanden werden, vorausgesetzt, dass sie auf Resonanz stoßen und anerkannt werden.
Viele spirituelle Einsichten und Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen enthüllen ein tiefes und weises Verständnis des menschlichen Lebens. Viele ihrer Erkenntnisse sind sogar vollständig kompatibel mit den Lehren des Buddha – ohne dass die Kinder und Jugendliche jemals buddhistische Texte gelesen oder meditiert hätten. Diese Einsichten tauchen auf, da sie tiefe, universelle Wahrheiten widerspiegeln.
Das Ziel dieses Buches ist es, die Assoziationen zwischen kindlicher Spiritualität und den Lehren des Buddha (auch Dharma genannt) zu untersuchen. Die erste Annahme dabei ist, dass alle Menschen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) Zugang zu einer spontanen, persönlichen und natürlichen Spiritualität haben. Obwohl Unterricht und Übung die Wahrscheinlichkeit für spirituelle Erfahrungen erhöhen können, ist die spontane Spiritualität jedoch nicht abhängig von irgendwelchen Bedingungen oder Voraussetzungen wie Alter, Erfahrung oder Training. Sie kann jederzeit und an jedem Ort auftauchen und in ihrem Grad der Ausprägung von leichten bis überwältigenden Erfahrungen mit positiven wie auch negativen Qualitäten variieren. Obwohl sie vorübergehende Erfahrungen darstellen, weisen sie auf universelle Wahrheiten hin, die leicht von Kindern verstanden werden. Die zweite Annahme lautet, dass die spontanen spirituellen Erkenntnisse von Kindern mit den Einsichten, die der Buddha vor vielen Jahrhunderten umrissen hat, übereinstimmen.
Da sich die Erkenntnisse des Buddha über eine so lange Zeit in verschiedenen Ländern entwickelt haben, ist dieses Buch nicht Ausdruck einer spezifischen Schule des Buddhismus, im Gegenteil, es ist nicht an eine buddhistische Konfession oder Richtung gebunden. Buddhistische Traditionen wurden in verschiedenen Kulturen integriert und haben deshalb unterschiedliche Schwerpunkte. In ihren vielen Differenzen tragen sie zu der Vielfalt und dem Reichtum des Buddhismus bei. Trotz aller Unterschiede verweisen sie alle auf die Grundverständnisse und Lehren des Buddha. Wie der amerikanische Dharma-Lehrer Joseph Goldstein eines seiner Bücher passend benannte, es gibt nur ein Dharma. Damit drückt er aus, dass »es eine tiefe gemeinsame Übereinstimmung von befreiender Weisheit gibt, die durch alle Überlieferungen des Buddhismus läuft« (Goldstein 2002, S. 6).
Dieses Buch versucht, eine praxisorientierte Essenz der Lehren des Buddha (d. h. des Dharmas) so zu vermitteln, wie Kinder sie erfahren, d. h. die wesentliche Spiritualität und nicht religiöse oder philosophische Interpretationen. Aus diesem Grund werden primär die ursprünglichen Lehren des Buddha herangezogen und weniger spätere Kommentare.
Das Buch wird drei Themenbereiche verfolgen, die miteinander verbunden und verflochten sind:
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