Buddhismus und kindliche Spiritualität. Alexander von Gontard
Buddha, gefolgt von seiner Hagiographie und Mythologie. Themen und Hinweise auf Kindheit in seinen Lehren werden aufgegriffen und im historischen, sozialen und psychologischen Zusammenhang aufgezeigt. Das »göttliche Kind« ist eine der Hauptarchetypen in der Psychologie C. G. Jungs und kann Ganzheit, Neuanfang und Erlösung symbolisieren. Der Archetyp des »göttlichen Kindes« ist in anderen Religionen, wie beispielsweise im Hinduismus und Christentum, hochrelevant. Die weniger deutliche Rolle des »göttlichen Kindes« im Buddhismus wird diskutiert, obwohl die zukünftige, weltverändernde Möglichkeit des jungen Siddhartha Gautama schon kurz nach der Geburt erkannt wurde.
Der zweite Teil des Buches wird der Spiritualität und Religiosität von Kindern und Jugendlichen gewidmet und umfasst Definitionen, Häufigkeit, Erscheinungsform und günstige Bedingungen für Spiritualität. Das »Numinose« in der Psychologie C. G. Jungs und Spiritualität sind zwei Begriffe, die synonym verwendet werden können. Die Relevanz der Jung’schen Sicht, um die kindliche Spiritualität in Psychotherapie und im Alltag zu verstehen, wird untersucht.
Im dritten Teil werden Verbindungen und Übereinstimmungen zwischen der natürlichen, spontanen Spiritualität und den Lehren des Buddha dargestellt und diskutiert. Nur die Lehren, die besonders wichtig für Kinder sind, werden detailliert erläutert:
Vergänglichkeit ist einer der wichtigsten Aspekte kindlicher Erkenntnisse und Gedanken: Warum verändert sich alles, warum kann es nicht gleichbleiben, warum folgt der Herbst auf den Sommer und der Tod auf das Leben? Fragen über Leiden werden anschließend behandelt. Weltliche Bedingungen und Hindernisse der Spiritualität sind ebenfalls Teil ihrer täglichen Erfahrungen. Ethik, Gerechtigkeit und Fairness sind echte Besorgnisse vieler Kinder und Jugendlicher. Die Grundlagen der edlen vier Wahrheiten werden aus kindlicher Sicht und Erfahrung erläutert. Dabei liegt der Fokus auf den Lehren des Buddha auf dem mittleren Weg, der in dem achtfachen Pfad ausgedrückt ist. Zum Schluss sind interpersonelle Aspekte der Spiritualität wie Mitgefühl, Empathie mit Lebewesen und liebender Güte offensichtliche und wichtige Einstellungen vieler Kinder.
Das Ziel des Buches ist es, nicht nur die theoretischen Grundlagen der Spiritualität darzulegen, sondern auch Raum für subjektive Erfahrungen und Meinungen, in anderen Worten Raum für den direkten Ausdruck von Kindern zu geben. Aus diesem Grund wurden Zitate vieler Kinder während ihrer Psychotherapie und in anderen Kontexten herangezogen, wo immer sie passten. Andere Quellen umfassen Biografien, Autobiografien, historische Dokumente, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Romane, Kinderbücher, Gedichte, Liedtexte und persönliche Erinnerungen. Fotografien und Zeichnungen illustrieren und ergänzen die Einsichten von Kindern.3
3 Obwohl ich kein Künstler bin, habe ich seit meiner Kindheit schon immer gerne fotografiert. Im Alter von 14 Jahren lernte ich Fotos selber zu entwickeln. Ich war immer fasziniert von der langsamen Entstehung von Bildern in den Wannen der Dunkelkammer. Dieser Prozess hat etwas Magisches an sich, wie langsam sich die Grautöne zeigen. Obwohl digitale Fotografie alles vereinfacht hat, bin ich noch immer fasziniert von der Verwandlung eines subjektiven Bildes zu einem Objekt, das geteilt werden und Gefühle und Emotionen ausdrücken kann. Aus diesem Grund ist dieses Buch nicht nur mit persönlichen Erinnerungen und Zitaten angereichert, sondern auch mit vielen Fotografien.
1 Die eigene Kindheit des Buddha
Biographien des Buddha
Die Lebensgeschichte des Buddha (563–483 vor Christus) kann leicht zusammengefasst werden. Er wurde als Siddhartha Gautama vor 2500 Jahren um Lumbini geboren, jetzt im südlichen Nepal gelegen. Er war der Sohn eines nordindischen Herrschers.4 Seine Mutter starb eine Woche nach seiner Geburt, sodass er durch seine Stiefmutter und seinen Vater in materiell luxuriösen Bedingungen versorgt wurde. Als junger Mann, im Alter von 29 Jahren, verließ er seine Frau und sein neugeborenes Kind, um tiefe Einsichten und Verständnis des Lebens zu erlangen. Als ersten spirituellen Zugang wählte er den asketischen Weg. Nachdem er durch Hungern völlig abgemagert war, erkannte er, dass weder Luxus und Verwöhnung noch extreme Einschränkung wirkliche Erkenntnisse eröffnen, sondern nur der sogenannte »mittlere Weg«. Nachdem er wieder zu Kräften gelangt war und für eine lange Zeit unter einem Baum meditierte hatte, kam er im Alter von 35 Jahren zu den entscheidenden tiefen Erkenntnissen, der sogenannten Erleuchtung. Diese waren so ergreifend, dass er zunächst nicht darüber reden wollte. Als er anfing zu lehren, fand der Buddha (der Erleuchtete, wie er jetzt genannt wurde) schnell eine große Zahl von Schülern. Er reiste und teilte seine Weisheiten und Einsichten großzügig mit allen. Er hatte zu der damaligen Zeit das große Glück, das hohe Alter von 80 Jahren zu erlangen und konnte bis zu seinem Tod lehren. Der Kern seiner Lehren ist so praktisch, hilfreich und wertvoll, dass sie weiterhin Menschen in der gesamten Welt ansprechen, selbst bis heute, 2500 Jahre später.
Das ist seine Lebensgeschichte kurz zusammengefasst. Wie John Strong (2009) aufzeigte, gibt es jedoch nicht eine Geschichte des Buddha, sondern viele Biografien mit großen thematischen Variationen und Auswirkungen, abhängig von den historischen Quellen, Übersetzungen und Rückübersetzungen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Lehren und Reden des Buddha zunächst über viele Jahrhunderte mündlich wiedergegeben und weitergereicht wurden. Erst viel später, ca. 80 Jahre vor Christus, wurden sie niedergeschrieben. Diese zeitlichen Zusammenhänge lassen sich verstehen, wenn man sich vorstellt, dass zum Beispiel die Stücke von William Shakespeare (1564–1616) nur mündlich weitergereicht, gespielt, erzählt, wiederholt übersetzt und erst zu unserer Zeit niedergeschrieben worden wären. Die Grundhandlungen seiner klassischen Stücke wären beibehalten, aber die Sprache und Einzelheiten wären durch diesen Prozess natürlich verändert.
Zusätzlich zu den ursprünglichen Texten des Buddha, die in der alten Sprache Pali niedergeschrieben wurden, gibt es Übersetzungen und Rückübersetzungen in und von vielen anderen asiatischen Sprachen (wie Chinesisch, Tibetisch und Sanskrit). In diesem Prozess entwickelten sich neue Versionen und Ergänzungen. Man kann sich leicht vorstellen, wie in dem langen Prozess der mündlichen Wiedergabe Einzelheiten verändert wurden, obwohl natürlich der Kern der Lehren erhalten blieb. Wie wir später sehen sollten, wurden die Lehren des Buddha in thematische Gruppen zusammengefasst, um diese mündliche Wiedergabe über so viele Jahrhunderte zu erleichtern.
Zwei verschiedene Stränge der Lebensgeschichte des Buddha können aufgezeigt werden. Die erste ist die Geschichte seines Lebens als historische Person, die wie alle Menschen geboren wurde und die Entwicklungsstufen der Kindheit und Jugend durchlief. Es ist erstaunlich, wie viele historische Fakten über sein Leben vorhanden sind, obwohl 2500 Jahre vergangen sind. Dieser historische Aspekt seiner Biografie wird in dem nächsten Abschnitt zusammengefasst.
Der zweite Strang seine Biografie zeigt den Buddha als übernatürliches, magisches Wesen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber nicht als historische Person wie wir alle. Diese Überlieferungstradition zeigt den jungen Buddha mit allen Qualitäten eines »göttlichen Kindes« nach den archetypischen Konzepten von C. G. Jung. In dieser Funktion kann das göttliche Buddha-Kind Trost, Hoffnung und Vertrauen für die Zukunft spenden. Dieser mythologische Buddha wird in einem späteren Abschnitt dargestellt.
Für die historische Tradition der Biografie des Buddha werde ich immer wieder das klassische Buch von Schumann, »Der historische Buddha« (2004), heranziehen, das erstmals 1982 veröffentlicht wurde und noch heute die fundiertesten Grundlagen liefert. Für den zweiten Strang, den mythologischen Buddha, ist die Biografie von John Strong (2009) eine wichtige Quelle. Passend zu dem Thema dieses Buches liegt der Fokus natürlich auf der Biografie der Kindheit und Jugend des Buddha.
Der historische Buddha
Siddhartha Gautama wurde 563 vor Christus in dem Dorf Lumbini geboren, das jetzt im südlichen Nepal liegt. Er verbrachte sein gesamtes Leben in einem Gebiet in Nordindien, das 600 × 300 km umfasst, ein Gebiet mit fruchtbaren Ebenen im Süden und hohen Bergen im Norden.
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