Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein


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eingetauscht.« Uli schoss vier Tore – und der VfB gewann am Ende mit 6:4. »Das war ein Sieg!«, schwärmte er noch als Fünfzigjähriger. Selbst seine Mutter war hernach so stolz auf ihn, dass sie ihm die heimliche Radtour nicht mehr übel nahm. »Im Gegenteil: Sie setzte mir meinen Lieblingskuchen vor, den ich mir bis heute noch nicht abgewöhnt habe: Erdbeerkuchen. Es war das einzige Mal bisher, dass ich ihn stehen ließ: Mit dem Löffel in der Hand schlief ich ein.«

       Der Traum vom großen Fußball

      Im Jahr 1965 verließ der dreizehnjährige Uli Hoeneß den VfB Ulm, bei dem er fast acht Jahre lang zusammen mit seinem Bruder Dieter gekickt hatte, und wechselte zum ambitionierteren Lokalrivalen TSG Ulm 1846. Am 9. Oktober desselben Jahres trat er erstmals vor großer Kulisse an: in einem Vorspiel zum Länderspiel Deutschland gegen Österreich. Uli spielte so gut, dass er anschließend für die Schülerauswahl Württembergs nominiert wurde. Es folgten die süddeutsche Auswahl und schließlich der DFB. Zielstrebig näherte er sich seinem Ziel, einmal ein berühmter Fußballprofi zu werden. Noch allerdings war es nur ein Traum. Ein Traum, den er im Sommer 1966 ganz besonders intensiv träumte. Auf Einladung eines Lehrers aus Nuneaton, den er kennen gelernt hatte, durfte er zur WM nach England fahren. Am 23. Juli sah er in Sheffield, beim 4:0 der deutschen Nationalelf gegen Uruguay, wie der Stern des späteren »Kaisers« Franz Beckenbauer aufging – und das Herz schlug ihm bis zum Hals im brennenden Wunsch, »einmal neben diesem gottbegnadeten Fußballer in einem Verein oder in der Nationalelf spielen zu können«.

      Uli Hoeneß besuchte inzwischen das Schubart-Gymnasium in Ulm und erwies sich dort als sehr guter Schüler. Mutter Paula war stolz und zufrieden und hoffte, dass ihre Söhne über Abitur und Studium zu einem anerkannten Beruf und einem guten Auskommen gelangen würden. Uli hatte jedoch andere Pläne, er hatte sich den Fußball als Königsweg ausgesucht, um sich aus den kleinen Verhältnissen seines Elternhauses zu befreien. »Ich wollte nach oben, ganz klar«, bekannte er viele Jahre später als erfolgreicher Bayern-Manager in zahlreichen Interviews. »Ich wollte die soziale Leiter hochsteigen.« Schon dem Jugendlichen war klar: Er hatte Talent und im Vergleich zu den Gleichaltrigen auch eine bemerkenswerte physische Grundausstattung, aber er würde sich dennoch anstrengen müssen. Selbstkritisch gestand sich der Vierzehnjährige ein, dass er vor allem an Ausdauer und Schnelligkeit intensiv arbeiten musste. Und so ließ er sich von seinem Vater jeden Morgen um sechs Uhr wecken, um noch vor der Schule eine Stunde durch die Wälder Ulms zu rennen. Später baute der Gymnasiast das Programm noch aus. Er stand morgens um vier Uhr auf, erledigte seine Schularbeiten, eilte um sechs zum Trainingsplatz, drückte von acht bis eins die Schulbank und machte nachmittags wieder Dauerläufe. Mit achtzehn lief er die 100 Meter in elf Sekunden und wurde in Ulm Winterwaldlaufmeister über 2.000 Meter.

      In dieser Zeit hatte Uli Hoeneß die Grundlage gelegt für die starke Physis, die ihn zum Weltmeister und »Jung-Siegfried« des deutschen Fußballs machen sollte. »Mir wird nachgesagt, ich sei der Mann mit der Pferdelunge«, wird der 22-jährige Hoeneß auf dem Höhepunkt seiner noch jungen Karriere äußern. »Worüber ich nicht immer so überglücklich war. Denn das klingt so nach: Der kriegt seine Gegenspieler nur durch seine schnellen Beine und durch Ausdauer klein.« Gleichwohl bekam er diesen Ruf nie ganz los. Noch in der Laudatio zum 50. Geburtstag des Bayern-Managers wird Franz Beckenbauer charmant mäkeln: »Wie er als Fußballer war? Na ja, er ist viel in den Wald gegangen, ein bisschen viel im Wald herumgelaufen. Es wäre vielleicht gescheiter gewesen, ein bisschen die Ballfertigkeit zu schulen.« Diese Kritik konnte, nach so vielen gemeinsam errungenen Erfolgen, nicht mehr böse rüberkommen. Einen wahren Kern enthielt sie dennoch. Das Pfund, das Uli Hoeneß als Fußballspieler in die Waagschale werfen konnte, war nicht eine ausgefeilte Technik, sondern er lebte in seiner gesamten Karriere vor allem von Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer und einer enormen Kaltschnäuzigkeit im Abschluss. Und dann hatte er noch eine weitere Stärke, die man auf keinem Trainingsplatz der Welt üben kann: Selbstbewusstsein und unbedingte Fixierung auf den Erfolg.

      Feri Beseredi, Trainer der Jugend und später auch der 1. Mannschaft von Ulm 1846, ließ den jungen Hoeneß zunächst meist als Verteidiger spielen. Auf dieser Position, meinte er, könne er seine Stärken – Schnelligkeit, Robustheit, Kampfkraft – am besten zur Geltung bringen. Die taktische Order lautete, den Gegner im richtigen Moment mit plötzlichen Tempovorstößen in Bedrängnis zu bringen. Auf diese Weise entwickelte sich ein Reißertyp, der die gegnerischen Abwehrreihen durcheinanderwirbelte und später wegen seiner Schnelligkeit vor allem als Konterspieler gefürchtet werden sollte. Was ihm fehlte, war eine gewisse Disziplin in der Defensivarbeit. Der junge Offensivverteidiger, der seine Altersgenossen an Kraft und Größe übertraf, interpretierte seine Aufgabe oft wie ein Stürmer, und deswegen schrieb ihm Beseredi vor, immer wieder zur Trainerbank zu sehen und erst auf Anweisung nach vorne zu gehen. Mit sechzehn trainierte der frühreife Schüler bereits bei den Erwachsenen, als Siebzehnjähriger kickte er mit einer Sondergenehmigung für die erste Mannschaft. Beseredi: »Da war sofort ein neuer Wind in der Mannschaft, die Alten haben sich an ihm ein Beispiel genommen. Die standen oft schon unter der Dusche, da trainierte der Uli immer noch am Kopfballpendel.«

      Zu diesem Zeitpunkt war das Talent aus Ulm schon längst beim DFB aufgefallen. Nach Lehrgängen in Frankfurt, Heilbronn und Hamburg war der DFB-Trainer Udo Lattek von dem Neuling so begeistert, dass er ihn gleich zum Kapitän der Schüler-Nationalmannschaft bestimmte: Der Junge habe nicht nur sportliches Talent, er sei zudem »schon eine richtige Persönlichkeit«. Wie zuvor Beseredi zeigte er sich begeistert, dass der Nachwuchsspieler trotz seiner jungen Jahre schon genau wusste, was er wollte. Im April 1967 gab es gegen die Auswahl Englands den ersten großen Auftritt für Uli Hoeneß, Schauplatz war das Berliner Olympiastadion. Solche Spiele waren damals noch eine Seltenheit – die Schüler-Nationalmannschaft spielte zu dieser Zeit nur ein- bis zweimal jährlich gegen britische Mannschaften – und fanden daher als Nachwuchsschau auch bei Journalisten eine gewisse Beachtung. Bei dem überragenden 6:0-Sieg des deutschen Teams wurde aus dem fünfzehnjährigen Schüler Hoeneß über Nacht ein bejubelter Nachwuchsstar. »Ein Haller im Taschenformat«, überschrieb die »Berliner Zeitung« ihren Spielbericht unter Bezugnahme auf den bekannten Nationalspieler aus Augsburg, der 1966 mit Deutschland im Wembley-Stadion Vize-Weltmeister geworden war. »Mit zwei wunderbaren Alleingängen brachte der Halbrechte Uli Hoeneß die deutsche Schüler-Nationalmannschaft im Berliner Olympiastadion auf die Bahn ihres 6:0-Sieges über England. In der 3. und in der 25. Minute spazierte der blonde Jüngling von Ulm 1846 vom Mittelfeld aus mit geschickten Körpertäuschungen durch die ganze englische Abwehr und ließ auch Torhüter Cuff keine Chance.« Eine Sportzeitung kommentierte: »In ein paar Jahren ist dieser Gymnasiast der Star eines Ligateams, wenn nicht der Nationalelf, oder wir werden nie wieder eine Voraussage wagen.« Tore in dieser Art, meist als Konter vorgetragen, sollte Hoeneß später noch öfter schießen; unwiderstehliche Sololäufe, kaltblütig abgeschlossen, wurden geradezu sein Markenzeichen.

      Am 22. September 1968 gab der »Haller im Taschenformat« nach drei Schüler-Länderspielen sein Debüt in der Jugendnationalmannschaft, für die er insgesamt 17-mal antrat. Als sich das Jugendteam des DFB im Januar 1969 in einem israelischen Kibbuz auf die Qualifikation zur Europameisterschaft in der DDR vorbereitete, berichtete der Hobby-Journalist Hoeneß in der »Südwest-Presse« voller Stolz von den im Trainingslager herrschenden »Profibedingungen«. Beim EM-Turnier selbst durften sich die von Autogrammjägern und Spähern der Bundesligavereine umlagerten Spieler bereits wie Stars fühlen. Udo Lattek lasse die Anrufe interessierter Bundesligavereine abfangen, klärte Hoeneß die Leser seiner Heimatzeitung auf, zudem sei ein striktes »Redeverbot über Gelder und Gehälter« verhängt. Die Jugendspieler durften vom künftigen Ruhm träumen, der Erfolg indes blieb zunächst noch aus. Es setzte Niederlagen gegen Bulgarien und Frankreich, nur gegen Spanien gelang ein 2:1-Sieg, zu dem Hoeneß einen für ihn eher untypischen Kopfballtreffer beisteuerte. Das Turnier war kein Erfolg, doch das hinderte den Berichterstatter der »Südwest-Presse« nicht, in großen Tönen über das Ereignis zu schwadronieren. »In unserem letzten Spiel gegen Spanien«, schrieb Uli Hoeneß, »empfingen uns 20.000 Zuschauer mit großem Applaus – im Gegensatz zu unseren Funktionären. Als mir das 1:0 mit einem Kopfballtor gelang, schien das Stadion zu bersten. Nach unserem 2:1-Sieg erreichte die Begeisterung ihren Höhepunkt. Von einer jubelnden Menge wurden wir zur Kabine geschoben. Wildfremde Menschen umarmten mich, rissen mir zunächst die Spielführerbinde vom


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