Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein


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vor ihn. »Es gibt keinen Spieler, mit dem ich so unbarmherzig war«, resümierte Lattek. »Er hat von mir immer wieder eins auf den Deckel bekommen, aber ich habe ihn genauso gegen ungerechtfertigte Angriffe verteidigt.« Und obwohl Lattek mit Hoeneß’ Spielweise noch nicht rundum zufrieden war – insbesondere kritisierte er seine Neigung, sich vom Gegner zu leicht abdrängen zu lassen –, hielt er zu ihm und stellte ihn, gegen den Widerstand der Mannschaft, immer wieder auf. »Anderenfalls wäre er untergegangen«, begründete er seine Haltung. »Uli ist ein Glückskind des Fußballs, er war von jeher so verwöhnt, dass er einen Misserfolg nicht überwunden hätte.« Lattek wusste: Hinter der Maske des offensiv zur Schau getragenen Selbstbewusstseins steckte ein verletzlicher junger Mann.

      Zu einer zweiten wichtigen Bezugsperson beim FC Bayern entwickelte sich im Lauf der Zeit Robert Schwan. Einerseits dämpfte der wegen seiner Arroganz gefürchtete Manager die Aufmüpfigkeit der jungen Wilden Hoeneß und Breitner immer wieder, etwa durch den bei Reisen zu Auswärtsspielen üblichen Routinebefehl: »Halt, die Koffer bleiben stehen. Die tragen der Hoeneß und der Breitner.« Andererseits hatte er für die beiden, die er nur als »die Wildschweine« oder »die Gürteltiere« bezeichnete, eine besonderere Wertschätzung, insbesondere für Uli Hoeneß. Dessen intellektuelle Qualitäten hatte Schwan rasch erkannt, und er spürte wohl, dass in dem jungen Mann mehr steckte als nur ein Fußballspieler. Der Student wurde ein bevorzugter Gesprächspartner des Managers, der ihn allmählich über alle Fragen des Fußballgeschäfts aufklärte.

       Die ersten Titel und Erfolge

      Hoeneß’ Verunsicherungsphase dauerte nicht lange. Noch im Laufe seiner ersten Saison fand er zu einer tollen Form, die viele Journalisten schwärmen ließ. Am 8. Februar 1971 kam er erstmals auf das Titelblatt des »Kicker«, die Schlagzeile lautete: »Bayerns bester Kauf: Der Aufstieg des Uli Hoeneß.« Am Ende der Saison hatte es der offensive Mittelfeldspieler auf 31 Einsätze und sechs Tore gebracht, die Bayern waren knapp hinter Borussia Mönchengladbach auf Rang zwei gelandet. Im DFB-Pokal gab es dann den ersten Titel für Uli Hoeneß: Beim Finale am 19. Juni 1971 besiegten die Bayern im Stuttgarter Neckarstadion den 1. FC Köln in der Verlängerung mit 2:1. Und am 3. November 1971 sorgte der »Jung-Siegfried« im Trikot des FC Bayern erstmals international für Aufsehen. Es war das Rückspiel im Achtelfinale des Europacups der Pokalsieger gegen den berühmten FC Liverpool. Auf der Insel hatte man dem Gegner ein respektables 0:0 abgetrotzt, und nun gab es im Stadion an der Grünwalder Straße ein fulminantes 3:1. Neben dem erneut in bekannter Manier treffsicheren Müller, der eine 2:0-Führung herausschoss, glänzte insbesondere der wieselflinke Hoeneß. Ein ums andere Mal entfleuchte er seinen Bewachern, und in der 57. Minute hämmerte er den Ball in vollem Lauf aus spitzem Winkel zum Endstand ins Netz.

      Der Amateurnationalspieler, der bei den Profis spielte, debütierte noch vor Olympia in der »richtigen« Nationalmannschaft. Bei diesem 2:0 gegen Ungarn in Budapest am 29. März 1972 teilten sich die beiden Newcomer des FC Bayern München den Sieg: Hoeneß 1:0, Breitner 2:0. Beide waren dann auch beim berühmten 3:1 gegen England im Wembley-Stadion von London dabei, dem ersten Sieg einer deutschen Nationalmannschaft im Mutterland des Fußballs. Hoeneß, der mit seinen Bayern eben erst im Halbfinale des Pokalsieger-Cups gegen die Glasgow Rangers gescheitert war, hatte Glück, zu diesem Viertelfinal-Hinspiel der laufenden Europameisterschaft überhaupt berufen worden zu sein: Wegen zahlreicher Sperren infolge des Bundesligaskandals waren einige der etablierten Nationalspieler ausgefallen. Und Hoeneß, der an diesem denkwürdigen 29. April so kraftvoll und entschlossen wie nie zuvor spielte, erzielte im zweiten Länderspiel seiner Karriere auch gleich seinen zweiten Treffer. Es läuft die 26. Minute: Dem Engländer Bobby Moore, einem der Helden des Endspiels von 1966, misslingt ein Pass, der Offenbacher Siggi Held sichert sich den Ball, läuft quer durch die englische Hälfte und passt zu dem an der Strafraumgrenze lauernden Uli Hoeneß. Der zieht aus der Drehung ab, der Ball wird noch vom Rücken eines Verteidigers abgefälscht, Banks streckt sich vergeblich – Tor. »Ich war in einem Freudentaumel«, konnte der Torschütze sein Glück kaum begreifen, und der »Kicker« jubelte: »Der Münchner ist ein Diamant!«

      Aufgrund seiner ausgezeichneten Leistung beim epochalen Sieg in Wembley hatte der junge Nationalspieler nun bei seinen Verhandlungen mit den Bayern allerbeste Karten. Im Poker um bessere Konditionen drohte er mit einem Verein, der, anders als die international geforderten Bayern, nur jeden Samstag antritt; dann hätte er nämlich Zeit für sein Studium. »Natürlich werde ich zuerst mit Herrn Neudecker sprechen, aber ich bin nach wie vor nach allen Seiten offen. Mich bindet viel an den FC Bayern, und wir haben einen Trainer, dem ich fast alles verdanke. Udo Lattek hat an mir festgehalten, als mich alle aus der Mannschaft haben wollten. Ohne ihn wäre ich nie nach Wembley gekommen.« Uli Hoeneß unterschrieb schließlich einen neuen Vertrag bei den Bayern, und er blieb auch in der Nationalmannschaft gesetzt. Dort lief es für ihn nun schlechter; sowohl beim 0:0 gegen die Engländer im Viertelfinal-Rückspiel wie beim 2:1 im Halbfinale gegen Belgien blieb er trotz gewohnt großen Laufpensums ohne echte Wirkung, oft kam er einen Schritt zu spät. Ähnlich war es auch beim 4:1 gegen die Sowjetunion, dem Freundschaftsspiel zur Einweihung des Olympiastadions in München. Beim 3:0 hatten Müller und er synchron ein Bein nach dem Ball gestreckt, der Torhüter Rudakow aus den Händen geflutscht war. Hoeneß riss die Arme empor und setzte zu einer Jubelrunde an, Sekunden später tauchte sein Name auf der Anzeigetafel auf. Wie dann die Zeitlupe verriet, hatte Müller den Ball zuletzt berührt; und während der »Bomber« nachträglich als Torschütze gelistet wurde, machte Hoeneß unrühmliche Schlagzeilen als »Toreklau«.

      Am 18. Juni, im Europameisterschaftsfinale in Brüssel, war erneut die Sowjetunion der Gegner, und erneut hatte sie der groß auftrumpfenden DFB-Elf, in der Uli Hoeneß sich als unermüdlicher Kämpfer auszeichnete, kaum etwas entgegenzusetzen. Deutschland gewann in beeindruckendem Stil mit 3:0 und wurde Europameister. »Die gesamten letzten Monate waren Traummonate für mich als Trainer«, sagte ein überglücklicher Bundestrainer Helmut Schön. »Mit solchen Spielern zu arbeiten, das macht einfach glücklich.«

      Nur zehn Tage nach dem EM-Triumph des Teams, das als beste deutsche Nationalelf aller Zeiten in die Geschichte einging, gewann Uli Hoeneß seinen zweiten Vereinstitel. Nach dem 33. Spieltag der Saison 1971/72 führten die Bayern die Tabelle mit einem Punkt Vorsprung vor den Schalkern an, die am letzten Spieltag, gleichsam zu einem Finale, noch nach München mussten. Es war das erste Bayern-Spiel im Olympiastadion, das mit 80.000 Zuschauern ausverkauft war und dem Verein die erste Millioneneinnahme seiner Geschichte bescherte. Die »Roten« spielten grandios auf und schlugen die »Königsblauen« mit 5:1. Hoeneß’ Treffer zum 4:1 war das Tor Nr. 100 der Bayern in dieser überragenden Saison, in der sie insgesamt 101 Tore schossen und Schalke zwar nur um drei Punkte, aber um 22 Tore übertrafen. Das Sturm-Tandem Gerd Müller (40 Tore) und Uli Hoeneß (13 Tore) hatte mit 53 Toren einen Rekord aufgestellt, der erst 2008/09 von dem Wolfsburger Duo Grafite/Dzeko um einen Treffer überboten werden sollte.

       Keine Medaille, aber eine schöne Zeit

      Die Triumphe bei der Europameisterschaft und in der Bundesliga waren Uli Hoeneß, der ja nach wie vor als Amateur firmierte, noch nicht genug. Nun wollte er auch noch mit der Amateur-Nationalmannschaft, für die er als Siebzehnjähriger debütiert hatte, bei den Olympischen Spielen in München nach »Gold« greifen. Trainer Jupp Derwall hatte für den Bayern-Star eine Führungsrolle vorgesehen, doch das olympische Fußballturnier lief dann sowohl für Uli Hoeneß wie für das deutsche Team äußerst enttäuschend. Schon ein Vorbereitungsspiel in Flensburg gegen Schweden, das mit 1:5 verloren ging, ließ Böses erahnen. Der Nationalspieler, zuvor noch jubelnd begrüßt, wurde mit Pfiffen verabschiedet. Im August war die Derwall-Elf bei Olympia zunächst erfolgreich, allerdings ohne wesentliche Mithilfe des im Bayern-Trikot so erfolgreichen Stürmers. 13 Tore gab es in der Vorrunde gegen namenlose Gegner wie Malaysia, Marokko und die USA, doch keines ging auf das Konto von Uli Hoeneß, der zudem nach einem indisponierten und undisziplinierten Auftritt im ersten Spiel vorübergehend auf die Bank verbannt worden war. In der Zwischenrunde musste das Team alle Medaillenträume begraben. Einem 1:1 gegen Mexiko und einem 1:4 gegen Ungarn folgte, im ersten Aufeinandertreffen zweier deutscher Mannschaften überhaupt, ein 2:3 gegen die DDR, den späteren Gewinner der Bronzemedaille. Gegen die Ostdeutschen – deren Team übrigens weitgehend identisch war mit jenem, das zwei Jahre später bei der Weltmeisterschaft


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