Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein


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FC Basel kickender Vertragsamateur, von dem man viel weniger erwartet hatte.

      Der Kleinverdiener Hitzfeld hatte den neureichen Hoeneß während des Turniers fast ungläubig bestaunt: »Er ist mit dem Porsche rumgefahren, während wir im Mannschaftsbus saßen.« Porschefahren sei nicht unbedingt leistungsfördernd, meinten denn auch einige Kommentatoren wie Gerhard Seehase, der in der »Welt« zu dem Urteil kam, in Hoeneß’ schwachen Leistungen komme das Problem eines zum »Star« erhobenen Spielers zum Ausdruck, der an seinen eigenen Erwartungen scheitert. Der Gescholtene selbst, der nun nach 22 Spielen seine Karriere in der Amateur-Nationalmannschaft beendete, wollte freilich nicht der Alleinschuldige sein. Er kritisierte das mangelhafte Zusammenspiel und machte den hohen und letztlich unerfüllbaren Erwartungsdruck, der auf ihm gelastet habe, als Ursache für die enttäuschenden Leistungen aus.

      Weder Prämien noch Ruhm hatte es bei den Olympischen Spielen gegeben – und doch sollte sich Uli Hoeneß in späteren Jahren immer wieder gerne an diese Wochen zurückerinnern. »Ich habe als aktiver Olympiateilnehmer 1972 bis zum Attentat eine der schönsten Zeiten meines Lebens verbracht, im Dorf. Diese Ungezwungenheit, diese Fröhlichkeit. Diese Dinge muss man erlebt haben, um die Begeisterung für Olympia im Herzen zu tragen.« Uli Hoeneß war einer, der sich für die olympische Idee aufrichtig begeistern konnte. Aber natürlich blieb er darüber immer ein kühl kalkulierender Profi. Das heißt: Ein solcher musste der bisherige »Olympia-Amateur« in der Wirklichkeit des Fußballerlebens erst noch werden. Vor dem olympischen Fußballturnier hatte er »Garantien« von den Bayern für den nach den Spielen anvisierten Profivertrag verlangt, und um seine Forderungen zu unterstreichen, hatte er mit vielen Klubs Sondierungsgespräche geführt. Am 6. Oktober war er offensichtlich zufrieden mit dem Bayern-Angebot und unterschrieb einen Zwei-Jahres-Vertrag beim amtierenden Deutschen Meister. Hinzu kam, dass in München die Aussichten auf Ruhm und Prämien durch die Qualifikation für den Europapokal der Landesmeister äußerst vielversprechend waren.

      Am 15. November gelang Uli Hoeneß beim souveränen 5:1 der »richtigen« Nationalmannschaft gegen die Schweiz eine Art Comeback. Seine Aufstellung war nach den schwachen Vorstellungen in der Olympia-Auswahl nicht unumstritten, und so war er überglücklich, bei diesem Länderspiel im Düsseldorfer Rheinstadion endlich wieder mit einer guten Leistung überzeugen zu können. Das Nachspiel war dann weniger gut für ihn. Es war ein tolles Spiel gewesen, alle waren in Feierlaune, keiner wollte gleich ins Bett, selbst der Bundestrainer genehmigte sich einen Schluck – und Uli Hoeneß samt einigen Nationalmannschaftskollegen unternahm einen Ausflug in die berüchtigte Düsseldorfer Altstadt. Morgens um vier soll er quietschfidel und in weiblicher Begleitung in einer Diskothek gesichtet worden sein. Als der FC Bayern drei Tage später gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 1:3 verlor und dabei vor allem die Nationalspieler eigenartig müde wirkten, forschte Udo Lattek nach – dann tobte er und kündigte an, die Spieler künftig früher ins Bett zu schicken.

      Trotz früherem Zapfenstreich wiederholten die Bayern in der Saison 1972/73 souverän ihren Triumph des Vorjahres – zu dem Uli Hoeneß 17 Treffer beisteuerte –, beendeten die Spielzeit dann aber mit einem erneuten Eklat. Die Veröffentlichung von Fotos der nackten Spieler, die sich ausgelassen im Entmüdungsbecken tummelten, provozierte Empörung bei den Vereinsoberen und schließlich Paul Breitners epochale Frage: »Kann denn in diesem Scheißverein niemand gescheit feiern?« Aber der Mangel an gescheitem Feiern war in dieser Saison nicht das einzige Problem gewesen. Schlimmer war noch, dass man international nicht gewinnen, ja nicht einmal gescheit – also wenigstens knapp – hatte verlieren können. Nach 13 Toren gegen den »Niemand« Omonia Nikosia war im Europapokal bereits im Viertelfinale das »Aus« gekommen: Am 7. März 1973 waren völlig chancenlose Bayern in Amsterdam gegen Johan Cruyffs Ajax mit 0:4 untergegangen; es war ein fürchterliches Debakel, das auch ein nutzloser 2:1-Sieg im Rückspiel nicht mehr hatte abmildern können.

      In der Saison 1973/74 kamen die Bayern nun auch noch in der Bundesliga ins Trudeln. Am 20. Oktober, dem zwölften Spieltag, führten die Münchner in Kaiserslautern zur Halbzeit scheinbar sicher mit 3:1 – dann aber folgte in der zweiten Spielhälfte eine noch nie erlebte kalte Dusche. Am Ende mussten bedröppelte Meisterspieler ein kaum zu fassendes 4:7 mit nach Hause nehmen. Beckenbauer machte dafür unter anderem Uli Hoeneß verantwortlich, der an diesem Tag nicht viel zustande gebracht hatte. Der Gescholtene selbst erläuterte später: »Ja, wir haben schon mal abgehoben. Herrje, wir waren damals noch blutjung und hatten doch schon fast alles erreicht, was sich ein Fußballer erträumen kann.«

      Aber man fing sich wieder. Die Wiedergutmachung folgte mit einem tollen 4:3 gegen Borussia Mönchengladbach, und Uli Hoeneß setzte sowohl in diesem Spiel (ein Tor) wie überhaupt in dieser Saison noch einige Glanzpunkte. Wieder wurden die Bayern Meister, diesmal nur hauchdünn mit einem Punkt Vorsprung vor den Gladbacher Borussen, und wieder machte Uli Hoeneß alle Spiele mit und erzielte mit 18 Treffern einen persönlichen Torrekord. Das letzte Saisonspiel fand am 18. Mai in Mönchengladbach statt und endete mit einem grauenhaft klingenden Ergebnis – 0:5. Doch keiner ärgerte sich. Erstens änderte es am Ausgang der Spielzeit nichts mehr, und zweitens war es verzeihlich. Denn die eigentliche Geschichte dieser Saison hatten die Bayern nur einen (!) Tag zuvor in Brüssel geschrieben.

       Wirbel im Europapokal

      »Von seinen 8.400 Einwohnern waren 9.300 gekommen, um ihre Mannschaft siegen zu sehen«, hatte eine südschwedische Zeitung ihren Bericht über ein denkwürdiges Europapokalspiel am 3. Oktober 1973 eingeleitet. Es war die 1. Runde des Landesmeister-Cups, als die Bayern mit einem komfortablen 3:1-Sieg aus dem Hinspiel im Rücken gegen den Klub aus der kleinen schwedischen Stadt Atvidaberg antraten. Zwar hatten sie sich vor heimischem Publikum nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber es sollte, dachten die Stars, keine große Mühe machen, die Sache gemütlich nach Hause zu schaukeln. Doch dann lagen sie schon nach acht Minuten mit 0:1 hinten, nach einer Viertelstunde mit 0:2. In der Halbzeitpause verließ Wilhelm Neudecker die Tribüne, um in der Kabine seine Mannschaft zu beschwören, sich bitte nicht zu blamieren, und lobte zur Untermauerung seines Flehens eine Zusatzprämie von 2.000 DM für das Weiterkommen aus. Doch es wollte nicht besser werden, in der 72. Minute erzielte der Schütze des ersten Tors, Conny Torstensson, einen weiteren Treffer.

      Die Feierabendprofis aus der Provinz hatten das Star-Ensemble aus München am Rande des Abgrunds – und in dem wäre es wohl gelandet, wäre da nicht ein Retter gewesen: Kurz nach dem Wiederanpfiff stellte Uli Hoeneß mit einem Abstauber den Anschluss her und erzwang so die Verlängerung. Seinen nächsten Treffer erzielte er eine Dreiviertelstunde später, im Elfmeterschießen. Auch der war wichtig, denn Bernd Gersdorff hatte beim zweiten Strafstoß der Bayern zu hoch gezielt. Nachdem Hoeneß den Ball sicher verwandelt hatte, wehrte Sepp Maier einen Schuss der Schweden ab; dann traf Beckenbauer, und als der fünfte Schütze der Schweden vorbeischoss, waren die Bayern noch einmal knapp an einer Blamage vorbeigeschrammt. »Noch so ein Spiel halten meine Nerven nicht aus«, stöhnte Trainer Udo Lattek im Moment des Sieges. Und Präsident Neudecker befahl seinem Manager Robert Schwan: »Den mit den roten Schuhen möchte ich haben.« Der mit den roten Schuhen war der beste Mann des Gegners, der zweifache Torschütze Conny Torstensson.

      Im Achtelfinale hieß der Gegner Dynamo Dresden, und auch der machte den Bayern das Leben schwer. Als die Dynamos am 24. Oktober im Olympiastadion zur Halbzeit mit 3:2 in Führung lagen, ging erneut die Angst vor einer Blamage um. Am Ende gab es ein knappes und erst spät sichergestelltes 4:3 für die Münchner. Man war noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, doch komfortabel war die Situation vor dem Rückspiel in Dresden nicht, denn Dynamo hätte bereits ein 1:0-Sieg zum Weiterkommen gereicht.

      Äußerst peinlich war der Eklat, den der strikt antikommunistische Präsident Neudecker vor der Begegnung am 7. November in Dresden mit der Anordnung hervorgerufen hatte, vor dem Spiel nicht im bereits angemieteten Hotel Newa zu übernachten: »Wir fahren nur bis Hof, bleiben dort bis zum Spieltag und reisen erst dann nach Dresden weiter!« Als offizielle Begründung nannte der Bayern-Boss: »Der Höhenunterschied zwischen München und Dresden könnte leistungshemmend sein, und vielleicht reichen zwei Tage nicht aus, um sich zu akklimatisieren.« Die knapp 400 Meter Höhenunterschied waren es natürlich nicht, die Neudecker Sorgen machten. Der Präsident, der eigener Aussage nach der CSU vor allem deswegen beigetreten war, damit er seinen FC Bayern nicht eines Tages »als Dynamo Bayern München


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