Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein


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      Drei Spiele, drei enttäuschende Auftritte, und dann auch noch auf die Bank verbannt – diese WM war bislang wahrlich nicht das Turnier des Uli Hoeneß. Schöns Assistenztrainer Jupp Derwall erinnerte sich an die Olympischen Spiele, wo der Bayern-Stürmer in ähnlicher Weise versagt hatte. »Es ist mir unerklärlich, wie ein so intelligenter Junge die ihm aufgetragene taktische Order im Spiel missachten kann. Anstatt seine Aufgabe zu erfüllen – und das muss bei einem Mittelfeldspieler auch heißen, den direkten Gegner zu decken –, kurvte er vorne in der Landschaft herum. Noch erstaunlicher ist, dass dies Uli Hoeneß bei der Weltmeisterschaft zum zweiten Mal passierte. Er gehört einfach zu den Spielern, die ihre Intelligenz nicht auf das Spielfeld übertragen können.«

      Vor dem Auftaktspiel der zweiten Finalrunde gegen Jugoslawien im Düsseldorfer Stadion wirkte der Bankdrücker Hoeneß zwar äußerlich gelassen, in ihm aber kochte die Wut des in seinem Ehrgeiz Gekränkten. Hoeneß sah, wie Paul Breitner die Bundesrepublik mit seinem 1:0 in der 39. Minute auf die Siegerstraße brachte, und war hoch motiviert, als er nach einer Stunde von Bundestrainer Schön das Zeichen bekam, sich für die Einwechslung bereit zu machen. Als er für den Gladbacher Dauerläufer »Hacki« Wimmer aufs Feld kam, rannte er wie um sein Leben und hatte mit seinem unbändigen Kampfgeist entscheidenden Anteil an der Sicherstellung des Sieges. In der 77. Minute startete er unwiderstehlich bis zur Torauslinie durch und passte den Ball von dort zu Gerd Müller zurück, der zum vielumjubelten 2:0 verwandelte. Bundestrainer Helmut Schön freute sich über das Wiedererstarken seines Stürmers ganz besonders, denn es bestätigte seinen pädagogischen Plan: Die Verbannung auf die Bank war eine ganz bewusst eingesetzte Erziehungsmaßnahme, um dem schwächelnden Hoeneß einen Motivationsschub zu verpassen.

      Am Sonntag, den 30. Juni, kehrte im Spiel gegen die starken Schweden schließlich auch die Euphorie auf die Ränge zurück. Es regnete in Strömen, aber trotzdem war die Stimmung toll, die Mannschaft ließ sich davon anstecken und kämpfte aufopferungsvoll – wenn auch zunächst vergeblich. Obwohl es mit einem 0:1-Rückstand in die Pause ging, zeigte sich im Stadion niemand verzagt, und auch drinnen in der Kabine, wo die Spieler die durchnässten Trikots und Hosen wechselten, war nichts von Selbstaufgabe zu spüren. »Wir waren alle davon überzeugt«, so Uli Hoeneß, »dass wir die Schweden noch packen.« Gleich nach Wiederanpfiff schossen Overath und Bonhof eine 2:1-Führung heraus, dann konnten die Schweden zum 2:2 ausgleichen, nach einer kurzen Phase der Verunsicherung erzielte Grabowski das 3:2. Hoeneß war an allen drei Treffern als Vorbereiter beteiligt, den Schlusspunkt setzte er schließlich selbst, als der Schiedsrichter in der 89. Minute auf den Elfmeterpunkt zeigte: Anlauf – Antäuschen – Torwart Hellström links – Ball rechts – 4:2. Es war kein Sieg mit der Brechstange wie gegen Jugoslawien, sondern ein auch mit spielerischen Mitteln erzielter Erfolg, der ein wenig an den Elan der Europameister-Elf von 1972 erinnerte. Und Uli Hoeneß hatte diesmal sogar in der Defensive überzeugen können, insbesondere in den Duellen mit seinem Vereinskollegen und Konkurrenten Conny Torstensson.

      Im WM-Quartier Sportschule Kaiserau herrschte endlich wieder gute Stimmung. Am Abend gaben die Stimmungskanonen der Truppe, die beiden Assistenten Derwall und Widmayer, Fußballlieder zum besten. »Und wir sangen fleißig mit«, berichtete Uli Hoeneß. »Ich erinnerte mich an meine Jugendzeit in Ulm, als wir nach jedem Sieg im Vereinsheim glücklich zusammensaßen und das Hochgefühl gemeinsam auskosteten.« Den Weg ins Finale versperrten jetzt nur noch die starken Polen. Im deutschen Lager war man zuversichtlich: Aufgrund des besseren Torverhältnisses würde ein Unentschieden genügen für den ersten Platz in der zweiten Finalrunde und damit für den Einzug ins Endspiel. Nur: Wie sollte man überhaupt spielen? Starker Regen hatte den Rasen in Frankfurt in einen See verwandelt, der Terminplan ließ aber keine Verschiebung des Spiels zu. Man versuchte, die Wassermassen mit Walzen zu beseitigen, doch als das Spiel mit 30-minütiger Verspätung angepfiffen wurde, konnte von regulären Verhältnissen immer noch keine Rede sein.

      So kam es zur »Wasserschlacht von Frankfurt«, in der die Polen enorm stark aufspielten, aber immer wieder von einem unüberwindbaren Sepp Maier am Torerfolg gehindert wurden. Dann die 53. Minute: Elfmeter für Deutschland. Uli Hoeneß trat an. »Den Augenblick werde ich wohl nicht mehr aus meiner Erinnerung streichen können«, war er hinterher untröstlich. »Den Augenblick, als ich gegen Polen Anlauf zum Elfmeter nahm. Und dann, als mir der Schuss verunglückte, ein Schuss, bei dem Torhüter Tomaszewski auch keine Probleme gehabt hätte, wenn er statt seiner Arme eine Mütze zu Hilfe genommen hätte.« Der gescheiterte Elfmeterschütze war am Boden zerstört, wurde aber von den anderen gleich wieder aufgemuntert. Beckenbauer lief herbei und rief: »Uli, das macht nichts, das kann jedem von uns passieren. Jetzt erst recht, reiß dich zusammen!« Und Uli riss sich zusammen. »Wie auf Kommando rannte ich los, ich gab mich aus bis zur Erschöpfung. Für die gesamte Mannschaft war mein Versager eine Art Fanal, keineswegs lähmte er uns. Gegenspieler Maszczyk schimpfte einige Sätze auf Polnisch, als ich ihm einmal den Ellbogen in den Leib stieß. Mir war alles egal, ich wollte meinen Fehler wieder gutmachen.« In der 76. Minute beendete schließlich Gerd Müller mit seinem Tor zum entscheidenden 1:0 den Nervenkitzel.

       Auf dem höchsten Fußballgipfel

      Am 7. Juli 1974 wartete im Münchner Olympiastadion ein schier unüberwindbar scheinender Gegner auf die Elf des DFB. Während des Turniers waren die Holländer um den genialen Spielmacher Johan Cruyff beinahe zu Fußballgöttern aufgestiegen. Außer bei einem 0:0 gegen Schweden hatten sie bei allen Auftritten geglänzt und mit ihrem »totalen Fußball«, bei dem jeder Spieler auf jeder Position auftauchen konnte, sämtliche Gegner in Grund und Boden gespielt. Die Deutschen waren nicht viel mehr als ein bemitleideter Außenseiter, zumal die Bayern – also der Kern der Nationalmannschaft – im Europapokalspiel des Vorjahrs gegen Cruyffs Ajax Amsterdam mit 0:4 untergegangen waren: Kurz, so Hoeneß, »wir galten als Mannschaft, für die Holland einfach eine Nummer zu groß sein musste«.

      Der Bayern-Stürmer selbst hatte noch dazu das Problem, dass er sich mit einer fiebrigen Erkältung herumschlagen musste. In der Befürchtung, nicht aufgestellt zu werden, hielt er sein Handicap geheim und besorgte sich unter der Hand Medikamente zur Selbstbehandlung. Vielleicht hatte es ein wenig mit seiner mangelnden Fitness zu tun, dass er etwas unkonzentriert war und gleich in der ersten Minute des Spiels mit einer unglücklichen Aktion ins Zentrum des Geschehens rückte. Nach ein paar kurzen Ballstafetten der Holländer trat Johan Cruyff zu einem Solo an, kam an seinem Bewacher Berti Vogts vorbei, strebte der Strafraumgrenze zu – und fiel über das ausgestrecke Bein von Uli Hoeneß. »Ich könnte es beschwören«, meinte der: »Der ›Tatort‹ war nicht im Strafraum. Schwarzenbeck, der Taylors Pfiff gehört hatte, und Franz Beckenbauer riefen fast im Chor: ›Mauer machen.‹ Sie glaubten ebenso wie ich, der Pfiff konnte nur einen Freistoß bedeuten. Doch als ich Herrn Taylor mit ausgestrecktem Arm Richtung Elfmeterpunkt marschieren sah, war ich vor Schreck fast erstarrt. Das durfte und konnte doch nicht wahr sein! Es war leider wahr! Erst als Neeskens Name als Torschütze oben auf der elektronischen Anzeigetafel erschien, wurde ich wieder wach: Im WM-Finale nach 60 Sekunden mit 0:1 im Rückstand! Ohne dass einer von uns den Ball berührt hatte. Waren die Holländer wirklich solche Teufelskerle?«

      Die Deutschen fanden mit ihrer altbewährten Tugend, der Kampfkraft, allmählich immer besser ins Spiel. Berti Vogts legte Johan Cruyff an die Leine, und Paul Breitner verkürzte nach einem ebenfalls fragwürdigen Elfmeter, verursacht durch einen Hauch von Foul an Bernd Hölzenbein, in der 25. Minute auf 1:1. Eigentlich war Gerd Müller als Elfmeterschütze bestimmt, doch plötzlich war Breitner losgerannt und hatte den Ball ins Netz gedonnert. »Es war sein drittes, lebenswichtiges Tor des Turniers«, kommentierte Uli Hoeneß voller Anerkennung, »und das als Verteidiger!« Müller steuerte seinen Treffer in der 43. Minute bei, als er eine Bonhof-Flanke von rechts kurz stoppte und nach rascher Drehung auf typische Müller-Art – und mit etwas Glück – zur 2:1-Führung verwandelte. In der zweiten Halbzeit folgte ein Sturmlauf der Holländer, bei dem die deutsche Nationalelf mit unbändiger Willenskraft und einem überragenden Sepp Maier im Tor glücklich dagegen hielt. Uli Hoeneß rackerte und spurtete unentwegt und sorgte mit Konterattacken, bei denen zweimal nicht viel zum entscheidenden 3:1 gefehlt hätte, für Entlastung. Endlich hatte er die Leistung gebracht, kommentierte der »Kicker«, die seine Anhänger schon in den vergangenen Spielen von ihm erwartet hatten. Und am Ende vibrierte das Zeltdach des Olympiastadions


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