Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein


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Vorspiel folgte ein abgeklärter Auftritt im Stadion. Hoeneß leitete einen Freistoß von Beckenbauer per Kopf zu Zobel weiter, der flankte präzise auf Müller – Kopfball und Tor. Das war in der 22. Minute. Dem zweiten Bayern-Treffer eine halbe Stunde später ging wieder einer der unwiderstehlichen Hoeneß’schen Sololäufe voraus: Er umspielte zwei Gegner, ließ mit Glück auch noch den dritten stehen und flankte präzise auf Müller. Sparwasser verkürzte noch, aber das Spiel war entschieden.

      Weiter ging es am Abend des 5. März 1975 gegen den sowjetischen Meister Ararat Erewan. Uli Hoeneß hatte vier Tage vorher im Ligaspiel gegen Wuppertal eine tiefe Risswunde an der Achillessehne davongetragen und beschwor den Klubarzt Dr. Tasnady, ihn mit allen Mitteln für dieses wichtige Spiel fit zu machen. »Das ist nach dem Ausscheiden aus dem Pokal und dem Abrutschen in den Bundesligakeller unsere letzte Chance«, begründete er sein Verhalten, »ich kann meinen Verein nicht im Stich lassen.« Noch am Vormittag hatte er starke Schmerzen. Trotzdem absolvierte er ein Lauftraining, am Nachmittag bekam er einen neuen Verband und das »Okay« des Arztes, dass er sich als Einwechselspieler bereithalten dürfe.

      Uli Hoeneß kommt in der zweiten Halbzeit für Dürnberger aufs Feld, bewegt sich zunächst noch zögerlich, spielt dann aber immer besser mit. In der 77. Minute erreicht ihn ein Pass von Torstensson, und plötzlich ist von einer verletzungsbedingten Behinderung nichts mehr zu sehen. Hoeneß wirbelt wie ein Irrwisch durch die Reihen des Gegners und schießt auf das Tor. Der starke Ararat-Torwart Abramjan, der zuvor ein halbes Dutzend hervorragender Paraden gezeigt hatte, ist machtlos – der Ball schlägt unmittelbar neben dem rechten Pfosten ein. Der Torschütze jubelt so ausgelassen wie selten zuvor. »Das schönste Tor meiner Laufbahn!«, wird er später glückstrahlend erzählen.

      Da Torstensson kurz darauf noch auf 2:0 erhöhte, fiel die 0:1-Niederlage im Rückspiel nicht ins Gewicht. Im Halbfinale mussten die Bayern bei der Association Sportive aus Saint Etienne antreten. Die Verhältnisse in der Bergarbeiterstadt im Südosten Frankreichs waren schwierig – an diesem 9. April war es winterlich kalt und der Rasen mit Schnee bedeckt –, die Franzosen angriffslustig, aber mit Kampfkraft und einem unüberwindbaren Sepp Maier ertrotzte man sich ein 0:0. Uli Hoeneß riss sich bei diesem Spiel den Meniskus an, aber da ihn die Verletzung nicht stark behinderte, beachtete er sie nicht weiter und stand zum Rückspiel zwei Wochen später wieder bereit. Bereits in der 2. Minute leistete er die Vorarbeit zu einem Klassetor von Beckenbauer, ein Solo von Bernd Dürnberger sorgte für das 2:0. Man hatte gewonnen, man war erneut im Finale – und doch waren die 74.000 Zuschauer im Olympiastadion mit ihrer Elf hörbar unzufrieden. Zu schönen Siegen war diese Mannschaft kaum mehr in der Lage. Selbst im Finale nicht.

      Das Endspiel am 28. Mai 1975 in Paris sollte als das bis dahin hässlichste in die Geschichte des Europapokals eingehen. Die Hauptschuld trug dabei nicht einmal das unattraktive Ballgeschiebe des FC Bayern, sondern vor allem der brutale Gegner: Leeds United. Im Prinzenpark von Paris erwiesen sich die Engländer, die schon im Halbfinale gegen den FC Barcelona unangenehm aufgefallen waren, als knüppelharte Tretertruppe. Eines der Opfer war der bereits seit dem Spiel in St. Etienne angeschlagene Uli Hoeneß, und so wurde diese Partie zum Anfang des Endes seiner Karriere. Schon kurz nach dem Anpfiff trat Terry Yorath den am Boden liegenden Björn Andersson gegen das Knie. Der Schwede musste ausgewechselt werden und fiel anschließend fast eine ganze Saison aus. Uli Hoeneß wurde gleich dreimal böse gefoult, bis auch er noch vor dem Halbzeitpfiff vom Feld hinkte. Durch einen Tritt seines Gegenspielers Frank Gray hatte er sich eine Quetschung des Meniskus im rechten Knie zugezogen, und trotz zweimaliger Operation – eine am Innenmeniskus und acht Wochen später eine am Außenmeniskus – sollte er nie wieder vollständig genesen. Aber das konnte an diesem Abend natürlich noch niemand ahnen. Das Spiel selbst endete durch Tore von Franz »Bulle« Roth und Gerd Müller mit 2:0 für die Bayern, die damit ihren Titel im Europapokal der Meister verteidigt hatten.

      Uli Hoeneß’ Verletzungspause dauerte vom 32. Spieltag der Saison 1974/75 bis zum 16. Spieltag der folgenden Saison. Am 6. Dezember 1975 kam er in der 71. Minute beim Spiel in Berlin gegen Hertha BSC für Franz Roth. Die Bayern lagen mit 1:2 zurück, und auch Hoeneß konnte daran nichts mehr ändern. Beim nächsten Spiel in Braunschweig (1:1) spielte er von Beginn an und wurde erst kurz vor Schluss ausgewechselt, danach kam er immer besser in Schwung und machte bis zum Saisonende alle Spiele mit. Am 20. März, beim 4:0 gegen Mönchengladbach, schien der Rückkehrer wieder ganz der alte zu sein: Er schoss zwei Tore und bekam vom Fachblatt »Kicker« für seine hervorragende Leistung die Note 1. Zum Abschluss der Bundesligasaison, an deren Ende die Bayern immerhin auf dem dritten Rang einliefen, hatte Uli Hoeneß 17 Spiele bestritten und vier Tore erzielt. Im Europapokal machte er ab den im März beginnenden Viertelfinals sämtliche Spiele der Bayern mit. Der Weg führte über Benfica Lissabon (0:0 und 5:1 mit Vorlage Hoeneß auf das 4:1 von Müller) und Real Madrid (1:1 und 2:0) ins Finale am 12. Mai nach Glasgow. Zu überwinden war dort der Halbfinalgegner vom Vorjahr, St. Etienne. Die Bayern hatten zunächst Pech – nach zwei Minuten erzielte Müller einen Treffer, der wegen Abseits nicht gegeben wurde – und dann Glück bei zwei Lattentreffern der Franzosen. Nachdem »Bulle« Roth in der 57. Minute nach einem kurz angetippten Freistoß von Beckenbauer das 1:0 erzielt hatte, dominierten die Bayern das Spiel. »Ich war noch in keinem Finale so wenig beschäftigt«, erklärte Torwart Sepp Maier, und Uli Hoeneß fügte an: »Ich machte mir überhaupt keine Sorgen, bis Rocheteau kurz vor Ende eingewechselt wurde.« Aber auch Rocheteau, der Star der Franzosen, konnte nichts mehr am Ergebnis ändern – und die Bayern durften als besondere Auszeichnung für den dritten Titelgewinn den Pokal, den sie nach dem Spiel erhielten, als dauerhaften Besitz mit nach Hause nehmen.

       Ein Ball im Nachthimmel von Belgrad

      Bei der Endrunde zur Europameisterschaft 1976, die am 22. Mai 1976 mit dem Viertelfinale gegen Spanien im Olympiastadion begann, waren nur noch vier Bayern im DFB-Team dabei: Maier, Beckenbauer, Schwarzenbeck und eben Uli Hoeneß, der wegen seiner Verletzungen ein Jahr lang in der Nationalmannschaft hatte pausieren müssen. Nach einigen starken Darbietungen in der Bundesliga holte der Bundestrainer nun den mit 24 Jahren immer noch sehr jungen Bayern-Spieler in die Nationalelf zurück. Das lange Tief hatte bei dem ehemaligen Himmelsstürmer, dem bis zum WM-Gewinn 1974 alles zugeflogen war, eine deutlich spürbare charakterliche Veränderung bewirkt. »Er ist reifer geworden«, bemerkte Bundestrainer Helmut Schön, »er hat über sich nachgedacht.«

      Uli Hoeneß’ Rückkehr stand unter einem guten Stern: Er spielte gut und erzielte den ersten von zwei deutschen Treffern zum letztendlichen 2:0-Sieg gegen die Spanier. Aber es sollte das letzte von insgesamt fünf Länderspieltoren des Uli Hoeneß bleiben. Nach einem schwer erkämpften 4:2 gegen Jugoslawien, das der neue Stürmerstar Dieter Müller durch zwei Treffer in der Verlängerung entschied, wartete im Endspiel von Belgrad die Tschechoslowakei. Dort stand es nach einem dramatischen Spiel und Hölzenbeins Ausgleich in letzter Minute nach der regulären Spielzeit 2:2. Als auch die torlose Verlängerung keine Entscheidung gebracht hatte, kam es zum Elfmeterschießen – und zu einem traumatischen Erlebnis für Uli Hoeneß.

      Einmal war der ansonsten matte Bayern-Stürmer im Spiel an seinem Bewacher Koloman Gögh vorbeigezogen, hatte den Ball dann aber an den Pfosten gesetzt. »Aus drei Metern hatte ich abgedrückt, dumpf war der Knall. Hätte ich nur getroffen!«, stöhnte er hinterher. »Das wäre der Sieg gewesen – es wäre nie zu diesem verdammten Elfmeterschießen gekommen.« Nach dem Abpfiff der Verlängerung lagen die Spieler erschöpft im Mittelkreis, tranken Wasser und kühlten sich mit feuchten Schwämmen und Eiswürfeln. Helmut Schöns Assistent Jupp Derwall sprach auf der Suche nach den Elfmeterschützen nacheinander jeden einzelnen Spieler an. Drei hatte er schnell gefunden: Flohe, Bonhof und Bongartz. Der Rest wollte nicht. Beckenbauer wollte nicht, und der völlig platte Hoeneß wollte auch nicht. Da meldete sich plötzlich der Torwart, Sepp Maier: »Dann schieß halt ich.« Nun war Beckenbauer ganz erschrocken und erbarmte sich: »Bevor der schießt, dann lieber ich.« Fehlte noch einer. Derwall sagte in Richtung Hoeneß: »Dann muss eben der junge Dieter Müller schießen.« Jetzt erbarmte sich endlich auch Hoeneß und willigte ein.

      Masny, Nehoda, Ondrus und Jurkemik hatten für die Tschechoslowaken getroffen, Bonhof, Flohe und Bongartz für die Deutschen, als sich Uli Hoeneß mit weichen Knien auf den Weg zum Elfmeterpunkt machte. Die Entfernung zum Tor wurde in seinem Kopf lang und länger.


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