Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer. Tanja Bruske

Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer - Tanja Bruske


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Nur die Notizen in meiner Schrift, die so etwas wie Prophezeiungen sind, kann ich dauerhaft im Buch halten, indem ich sie nachzeichne. Aber erst, nachdem die Ereignisse eingetroffen sind.“

      „Ja, das ist knifflig. Also erstens: Du kannst auch normale Einträge ins Buch machen. Dafür musst du vor dem Schreiben dreimal mit der flachen Hand über die Seite streichen, um die Sperre aufzuheben. Diese Einträge bekomme ich dann zu sehen, so wie du meine. Und was diese, wie du sagst, prophetischen Notizen angeht: Ich sehe diese Einträge in einer bestimmten Farbe leuchten und kann sie, wenn ich sie nachzeichne, ein paar Tage in der Zeit zurückschicken, bevor du sie einträgst. Also so, dass du sie siehst, bevor das entsprechende Ereignis eingetreten ist. Durch das nochmalige Nachzeichnen legst du fest, dass es ein Zeiteintrag ist, den ich in der Zeit zurückschicken muss.“

      Keyra war verwirrt. „Aber das mache ich doch erst, wenn ich sie eigentlich schon geschrieben habe? Oder wie? Das ist verwirrend.“

      „Das ist es.“ Leo kniff die Lippen zusammen. „Einige unserer Fachleute meinen, dass auf diese Weise ein Paradoxon verhindert werden soll, falls sich in der Zeit etwas ändert.“

      „Und einmal ist die Schrift verschwunden, weil ich sie nicht nachgezeichnet habe.“

      „Tatsächlich? Das ist seltsam. Welche Worte waren es?“

      Keyra wollte antworten, stutzte jedoch. „Ich weiß es nicht mehr …“

      „Dann hat es diesen Eintrag vielleicht nie gegeben. Oder etwas ist tatsächlich anders gelaufen und deine Erinnerung hat sich korrigiert. Ich kann es dir nicht beantworten.“

      Keyra überlief eine Gänsehaut. „Krass. Wie funktioniert das?“

      „Um ehrlich zu sein: keine Ahnung. Keiner weiß das. Es ist entweder eine Technik, die der unseren weit überlegen ist, oder es ist Magie.“ Leo grinste. „Übrigens werden weit fortgeschrittene Technologien von primitiven Kulturen oft als Magie angesehen.“

      Während Leo den Wagen durch die Innenstadt lenkte, verdaute Keyra diese Informationen. Ist ja witzig, dass selbst der Orden nicht auf alles eine Antwort hat. Ich dachte, die hätten die ultimative Einsicht oder so.

      „Aber die ersten Einträge kamen bereits, ehe wir beide uns kannten“, sagte sie zweifelnd.

      „Denk nicht zu linear, schließlich bist du eine Zeitreisende“, sagte Leo. „Ich habe die Einträge natürlich später vorgenommen Du bist doch immer nur ein paar Sekunden weg, wie sollte ich in dieser kurzen Zeit so viele Informationen recherchieren und aufschreiben?“

      Keyra stülpte die Unterlippe vor. „Das habe ich mich auch gefragt!“

      „Auch das ist einer der Punkte, die schwierig zu beantworten sind. Sobald du eine Zeitreise antrittst, bekomme ich das mit. Und dann … wird es kompliziert.“

      Keyra prustete. „Als ob hier etwas nicht kompliziert wäre.“ Dann stutzte sie. „Hey, wenn ich auch Einträge machen kann und wir unsere Einträge gegenseitig sehen können, dann müsste doch direkte Kommunikation miteinander möglich sein.“

      Leo runzelte die Stirn. „Theoretisch ja. Das haben wir, glaube ich, nie versucht.“

      Die beiden diskutierten diese neue Möglichkeit, bis Leo den Wagen in der Nähe der Zeil in der Töngesgasse vor einem imposanten Sandsteingebäude stoppte. Er griff an Keyras Knien vorbei in das Handschuhfach, holte eine verblichene, hellblaue Parkkarte hervor und warf sie auf das Armaturenbrett.

      „Wir sind da.“

      „Das ist es? Eindrucksvoll – was ist das für ein Gebäude?“

      „Früher war es Teil eines Ordenshauses der Antoniter. Daher kommt der Name der Straße: Tönges leitet sich von Antonius ab.“ Leo stieg aus, und Keyra öffnete die Tür und schwang die Beine hinaus. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah an der Fassade empor.

      „Die meisten Gebäude sind abgerissen oder im zweiten Weltkrieg zerstört worden, aber dieses wurde erhalten.“ Leo half ihr beim Aussteigen, was Keyra gleichzeitig charmant und altmodisch vorkam. „Der Eingang befindet sich dort vorne.“

      Keyra folgte ihm zu einer kleinen Sandsteintreppe, die zu einer massiven Holztür führte. Über der Tür prangte ein Zeichen, das Keyra bereits gesehen hatte: eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biss. Darüber, bogenförmig, waren drei Worte eingemeißelt: Hen to pan.

      Die Holztür öffnete sich knarrend, und ein breitschultriger Mann in einem eleganten Anzug kam heraus. Er hatte lange blonde Haare, die ihm auf die Schultern fielen, und freundliche braune Augen. „Da seid ihr endlich. Es war wohl viel Verkehr?“

      Leopold nickte und drehte sich dann zu Keyra um. „Keyra, das ist Christopher Custos, der Schlüssel-Hüter.“

      Der Mann reichte Keyra die Hand. „Herzlich willkommen, Keyra – Willkommen im Ordenshaus der Zeitwächter!“

      2. Das Ordenshaus

      Staunend sah Keyra sich um, während sie Leo und Christopher in eine Eingangshalle mit hohen Decken folgte. Die Decke war mit Stuck verziert, mehrere Säulen hatten wohl eher einen dekorativen als stützenden Zweck. Vier Türen gingen von der Halle ab, eine breite Freitreppe führte ins nächste Stockwerk.

      „Kommen Sie, Keyra – ich darf Sie doch Keyra nennen?“ Christopher winkte ihr zu, ihm zu folgen. „Ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen.“

      „Ich freue mich auch, hier zu sein.“ Keyra ging hinter Christopher die Treppe hinauf, Leo blieb dicht hinter ihr. „Ehrlich gesagt, habe ich geglaubt, der Orden interessiere sich nicht sonderlich für mich, bis Leo aufgetaucht ist.“

      „Da haben Sie einen völlig falschen Eindruck bekommen.“ Sie erreichten den ersten Stock und standen in einem langen, geraden Gang. Er war weiß getüncht, und an den Wänden hingen zahlreiche Rahmen. Während sie weitergingen, betrachtete Keyra fasziniert die vielen Urkunden, Stammbäume, historische Dokumente und alte Karten. Christopher fuhr fort: „Ich muss zugeben, dass es eigentlich so war, dass wir von Ihrer Existenz nichts wussten, bis Ihre Großmutter Clara uns kontaktiert hat.“

      „Das verstehe ich nicht. Es muss dem Orden doch bekannt gewesen sein, dass meine Mutter verheiratet war und ein Kind hatte.“

      „Das war es. Ich will es Ihnen gerne erklären.“ Christopher hielt vor einer massiven Holztür an, öffnete sie und machte eine einladende Geste. „Hier ist mein Büro. Bitte, kommen Sie herein.“

      Das Zimmer, das Keyra nun betrat, war eines der bemerkenswertesten, in denen sie je gewesen war. Ein riesiger Eichenschreibtisch dominierte den Raum von der Mitte aus. Die polierte Arbeitsfläche war über und über mit ledergebundenen Büchern, Folianten und losen Pergamentschriftstücken bedeckt, sodass der Laptop, der auf der Tischplatte stand, wie ein kleiner, aggressiver Eindringling aus der Moderne wirkte. Die Wände waren ausnahmslos mit Regalen zugestellt. In den meisten davon standen Bücher – nicht nur alte Exemplare, auch neuere Bände. Keyra erkannte geschichtliche Fachliteratur, physikalische Abhandlungen und klassische Romane.

      Andere Regale waren mit merkwürdigen Apparaturen verschiedenster Zwecke gefüllt. Keyra erkannte unter anderem einen Sextanten, ein urtümliches Mikroskop, eine Laterna Magica, eine kleine Truhe und eine Porzellanpuppe in einem Biedermeierkleidchen. Vor einem zweiflügeligen Fenster stand ein Globus, der Keyra bis zur Brust reichte und in einem Holzgestell befestigte war. Von der Decke hingen ein hölzerner Käfig mit einem ausgestopften Vogel und das Modell von Leonardo da Vincis Flugmaschine. Über dem Schreibtisch war an der Decke die Schnitzerei der sich in den Schwanz beißenden Schlange in die Holzdecke eingelassen. Keyra kam sich vor wie in einem Antiquitätenladen.

      „Setzt euch bitte“, sagte Christopher und wies auf zwei Ledersessel vor dem Schreibtisch. Er ging zu einem Teewagen und nahm eine Kanne und eine Tasse in die Hand. „Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten, Keyra?“

      „Nein, danke, ich trinke keinen Kaffee“, sagte sie und ließ sich auf


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