Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer. Tanja Bruske

Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer - Tanja Bruske


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Entschuldigen Sie uns, Keyra.“

      Verblüfft sah Keyra dem Schlüssel-Hüter und ihrem Mentor nach, die eilig das Büro verließen. Was ist denn in den gefahren? Habe ich einen wunden Punkt getroffen?

      Sie saß eine Weile da und nippte an ihrem Wasser. Dann stand sie auf und sah sich in dem Büro um. Sie betrachtete zunächst den Globus. Die Kontinente waren seltsam roh geformt, gelb und braun waren die vorherrschenden Farben. Es war ein wirklich beeindruckendes Stück, und Keyra fragte sich, ob es ein Original oder eine Reproduktion war.

      Das Regal mit den antiken Gegenständen zog sie magisch an. Vor jedem Gegenstand befand sich ein kleines Kärtchen, auf dem der Zweck und die Herkunft des Objektes beschrieben waren. „Porzellanpuppe von 1843 aus dem Besitz von Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern“, las Keyra und bekam große Augen. „Die Puppe gehörte Sissi! Witzig. Ob das Tempus-Objekte sind?“

      Sie nahm das Kärtchen, das vor einer kleinen hölzernen Truhe stand. Sie war sehr einfach gefertigt, aus dunkelbraunem Holz. „Truhe aus dem Antoniterkloster zu Roßdorf, circa 1500.“ Keyra schnalzte mit der Zunge. „In Roßdorf gab es ein Antoniterkloster?“

      Im nächsten Moment begann ihr Schlüssel zu vibrieren und das kirschkerngroße, silbrig-glänzende Schloss an der Truhe fing an zu singen.

      „Das ist nicht dein Ernst!“, stöhnte Keyra. „Jetzt? Ausgerechnet jetzt?“ Sie warf einen hilfesuchenden Blick zur Tür, doch natürlich tauchten Christopher und Leo in diesem Moment nicht wieder auf.

      Keyra wusste, dass sie keine Wahl hatte. Sie ergriff den Schlüssel, der sanft golden leuchtete. Sofort verwandelte er sich in ein kleines Schlüsselchen, das problemlos in das winzige Schloss der Truhe passen würde. „Na schön“, grummelte Keyra. „Also los.“

      Sie nahm die Truhe aus dem Regal und steckte den Schlüssel in das Schloss. In dem Moment, als das mittlerweile vertraute goldene Licht sie umfing, verlor sie die Besinnung.

      3. Die Hebamme und der Ordensbruder

      Als Keyra aufwachte, war es überhaupt nicht so, wie es immer in Filmen und Romanen beschrieben wurde. Es war kein langsames Auftauchen aus der Dunkelheit der Bewusstlosigkeit. Es gab keine verwaschenen Stimmen, die langsam deutlicher wurden. Keyra war mit einem Schlag hellwach.

      Sie riss die Augen auf und starrte an eine Holzdecke und lehmverputzte Wände. Ruckartig setzte sie sich auf – und bereute es sofort, denn ihr wurde schwindlig.

      „He, nicht so schnell!“ Eine junge Frau eilte an ihre Seite und stützte Keyra, sodass sie nicht mit einem satten Klatschen zurück auf ihr Lager fiel. Das wäre gewiss nicht angenehm gewesen, denn Keyras Bett bestand aus einer harten Pritsche mit einer strohgestopften, dünnen Matratze. Keyra blinzelte und bemühte sich, nicht allzu klischeemäßig zu klingen, als sie fragte: „Wo bin ich?“

       WANN bin ich?

      „Ganz ruhig, Mädchen, du bist in Sicherheit. Du bist im Kloster des Heiligen Antonius in Roßdorf.“

      Damit hatte ich fast gerechnet. „Und wie komme ich hierher?“ Keyra hoffte, dass es keine allzu dumme Frage war. Normalerweise wurde sie durch das Schloss gesogen und tauchte an der gleichen Stelle wieder auf. Da sich das Schloss dieses Mal in einer Truhe befunden hatte, ging sie davon aus, dass sich die Truhe irgendwo in der Nähe befand. Schließlich hatte sie – laut Infokärtchen – einst diesem Kloster gehört.

      „Ich habe dich hierher gebracht.“ Die junge Frau lächelte Keyra beruhigend an. Sie war ein paar Jahre älter als Keyra, vielleicht Anfang 20, hatte weizenblonde Haare und eine helle Haut mit Sommersprossen. Am auffälligsten waren ihre leuchtend grünen Augen. „Mein Name ist Martha. Ich bin die Hebamme des Ortes und helfe den Antonitern hin und wieder im Spital aus. Als ich auf dem Weg hierher war, habe ich dich bewusstlos im Feld gefunden, am Rande der Straße, die nach Hanau führt. Bist du überfallen worden?“

      „Ich weiß es nicht.“ Ah, die gute alte Amnesie-Lüge. „Ich … äh … hatte ich etwas bei mir?“ Eine Truhe zum Beispiel?

      Martha griff nach einer Leinentasche, die neben dem Bett auf einem Schemel lag. „Diese Tasche.“

      „Danke!“ Keyra griff nach der einfachen, sackähnlichen Tasche, die tatsächlich wie diejenige aussah, die sie bereits einige Male in der Vergangenheit bei sich gehabt hatte. Ich habe immer noch nicht gefragt, wer mich eigentlich umzieht und ausstattet. Sie spähte in die Tasche hinein. Zu ihrer Erleichterung sah sie ihr Wächterbuch, außerdem einen Brief und ein paar Wäschestücke. Eine Geldbörse konnte sie nicht entdecken.

      „Was hatte ich denn an?“, fragte sie und sah an sich hinab. Momentan trug sie nur ein langes Unterkleid, das man Chemise nannte.

      „Ich habe deine Sachen hier hingelegt“, sagte Martha. Ihre sanfte Stimme beruhigte Keyra, die sich orientierungslos und unwohl fühlte. „Weißt du deinen Namen?“

      „Hm … Clara?“ Keyra hatte sich bereits daran gewöhnt, dass der Name ihrer Großmutter häufig ihren Tarnnamen darstellte.

      Martha lachte. „Das klingt wie eine Frage, du bist dir also nicht ganz sicher, was? Na, Kopf hoch! Deine Erinnerung wird bald wiederkommen.“

      Die Tür öffnete sich und ein junger Mann in einer schwarzen Kutte kam herein. Als er sich Keyra zuwandte, sah sie ein blaues, t-förmiges Kreuz, das im Brustbereich der Kutte aufgenäht war. „Ich sehe, dein Schützling ist aufgewacht“, sagte er und lächelte. Auch er war wohl nicht viel älter als Keyra, vielleicht in Marthas Alter. Er trug eine Tonsur in seinen braunen Haaren und hatte ein freundliches, rundes Gesicht, in dem fröhliche dunkle Augen blitzten.

      „Gerade eben“, bestätigte Martha. „Das ist Severin, der Hospitalarius des Klosters. Er ist für alle Kranken im Hospital verantwortlich.“

      „Das sind momentan nicht viele, dem Herrgott und dem Heiligen Antonius sei gedankt“, sagte Severin und schlug ein Kreuz. Diese Geste kam Keyra keineswegs übertrieben oder betont fromm vor – es geschah eher nebenbei und wirkte wie eine liebgewonnene Gewohnheit. „Deswegen haben wir genug Platz, um dir einen eigenen Raum zu geben, Mädchen. Wir wollten dich nicht zu den Siechen legen, denn krank bist du offenbar nicht. Was ist dir zugestoßen?“

      „Sie glaubt, sie heißt Clara, aber sie kann sich nicht an viel erinnern“, antwortete Martha für sie.

      „Hat sie vielleicht einen Schlag auf den Kopf bekommen?“ Severin zog fragend die Augenbrauen nach oben.

      „Das ist möglich, sie hat jedoch keine schweren Kopfverletzungen, die darauf hindeuten. Ich würde sagen, sie hatte so etwas wie einen Schwächeanfall.“

      Keyra mochte es nicht, dass die beiden so über sie redeten, als sei sie gar nicht da. „Ich glaube, es geht mir schon wieder ganz gut“, sagte sie. „Vielleicht brauche ich nur etwas Schlaf – ich fühle mich sehr erschöpft.“

      „Natürlich, Mädchen“, sagte Martha sofort. „Du solltest dich etwas ausruhen.“

      „Dann lassen wir dich jetzt alleine“, kündigte Severin an. „Martha, ich wollte dich ohnehin holen, weil du nach unserem Gast Mathis sehen sollst. Sein Fieber ist gestiegen.“

      Martha runzelte die Stirn. „Das sollte nicht geschehen. Ich habe ihm extra …“ Während die beiden redeten, schienen sie Keyra völlig zu vergessen und verließen den Raum. Keyra wartete einen Moment, ehe sie nach der Tasche griff und das Wächterbuch hervorholte. Nach etwas Wühlen fand sie zudem ein Stück Kohle, das sie zum Schreiben benutzen konnte – Federkiel und Tinte hatte sie derzeit nicht zur Hand.

      Kaum hatte Keyra das Buch aufgeschlagen, erschien Leopold von Wachtbergs akkurate Schrift: Der Antoniter-Orden, auch Antoniusorden, Antonier oder Antonianer, war ein christlicher Hospitalorden. Er wurde 1095 als Laienbruderschaft in St.-Didier-la-Mothe in der Dauphiné in Südostfrankreich gegründet und ist nach Antonius dem Großen benannt. Dies war ein christlicher ägyptischer Mönch, Asket und Einsiedler. Er wird


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