Die Selbstzerstörung der Demokratie. Baal Müller

Die Selbstzerstörung der Demokratie - Baal Müller


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verzeichneten, trotz der allgegenwärtigen Panikmache, seit dem Spätsommer wachsenden Zulauf, worauf Politiker der etablierten Parteien mit dem Ruf nach strengeren Auflagen und Verboten reagierten. Anders als die PEGIDA-Veranstaltungen stießen diese Demonstrationen auch in Westdeutschland auf Zuspruch, und die Teilnehmer ließen sich nicht mehr in das traditionelle Rechts-Links-Schema einfügen, was ihre Diskreditierung durch die herrschenden Parteien erschwerte. Kampfbegriffe wie »Corona-Leugner« oder »Covidiot« wirken unbeholfen und haben nicht dieselbe stigmatisierende Wirkung wie »Rechtspopulist«, »Rechtsextremist« oder gar »Neonazi«. Ob sich dieser außerparlamentarische Widerstand verstetigt oder bald in sich zusammenfällt und durch Verbote unterdrückt wird, bleibt abzuwarten.

      Parallel zu den enormen politischen Veränderungen der Ära Merkel hat sich auch die Medienlandschaft gewandelt. Während die traditionellen Presseorgane von Jahr zu Jahr Umsatzeinbußen erleiden und der öffentlich-rechtliche Rundfunk von vielen (Zwangs-)Gebührenzahlern verachtet wird, schießen neue Zeitschriften und Online-Nachrichtenportale aus dem Boden und versorgen immer mehr Menschen mit Informationen, die ihnen die etablierten Medien vorenthalten. Natürlich sind auch unzählige »Fake News« darunter, aber das gilt für die selbsternannte »Qualitätspresse« ebenso. Auch bekannte Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller und Journalisten melden sich kritisch zu Wort, und manche prominenten Publizisten wechselten die Seiten und wurden dafür von ihren früheren Kollegen mit Verleumdung und Feindseligkeit bedacht.

      Tiefe Gräben verlaufen heute durch unser Land, zuweilen mitten durch Familien, und es ist fraglich, ob sie je überbrückt werden können. Die Entfremdung der politischen Lager vollzieht sich quer durch kulturelle, religiöse und soziale Milieus und erscheint tiefer als die Mauer, die bis 1989 die deutschen Teilstaaten trennte. Beiden Seiten geht es buchstäblich um alles oder nichts: der einen um die endgültige Durchsetzung ihrer Vorstellung von einer »offenen«, »bunten« und »toleranten« Gesellschaft, der anderen um nichts weniger als den Fortbestand Deutschlands und des deutschen Volkes. Es ist seit 1945 bislang kaum vorgekommen, dass Politiker, Wissenschaftler oder Bestsellerautoren vom drohenden Untergang unseres Landes und unserer Kultur sprechen. – Und in jüngster Zeit werden ihre Warnungen sogar noch von den apokalyptischen Ängsten einer Jugend übertroffen, die fürchtet, dass nicht nur sie, sondern weite Teile der Menschheit den Wandel des Weltklimas nicht überleben werden. Die früher oft beklagte Politikverdrossenheit gehört der Vergangenheit an; unsere Gesellschaft ist heute politisiert wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

      Vor diesem Hintergrund habe ich dieses Buch geschrieben, um mir selbst und anderen Klarheit darüber zu verschaffen, wie es zu diesen katastrophalen Entwicklungen kommen konnte. Offenkundig handelt es sich nicht nur um Probleme, die durch einen Regierungswechsel, einige Reformen und ein besseres Polit-Marketing in den Griff zu bekommen wären. Schuld sind nicht einzelne Politiker aufgrund von Inkompetenz, Machtgier oder Korruption, sondern wir haben es möglicherweise mit einer Selbstabschaffung des Systems insgesamt zu tun. Da dieses aber unsere für erfolgreich und bewährt gehaltene parlamentarische Demokratie ist, stellt sich die beunruhigende Frage, ob und inwiefern diese selbst eine gefährliche Verfallstendenz aufweist, die uns in ein neuartiges, »postdemokratisches« Zeitalter eintreten lassen könnte. Zerstört die Demokratie in Deutschland sich vor unseren Augen selbst?

      Diese Frage führte mich zu dem zweiten, so umstrittenen wie verpönten Thema dieses Buches: der politischen Identität der Deutschen. Was kennzeichnet diese, und wie hängt sie mit der fraglichen Auflösung der Demokratie zusammen? Meines Erachtens muss deren eventuelle Selbstzerstörung gemeinsam mit dem pathologischen Verhältnis der Deutschen zu ihrer nationalen und kulturellen Identität betrachtet werden. Dies habe ich im vorliegenden Buch versucht, und ich hoffe, eine wesentliche Tendenz unserer Zeit nachvollziehbar beschrieben zu haben.

      Bei seiner Niederschrift haben mich Freunde, Kollegen und Mitstreiter ermutigt und unterstützt. Vor allem danke ich meinen Freunden Thomas Barthélemy, Abraham Göbel, Heiko Luge, Christoph Neubarth und Gunnar Porikys für unzählige Gespräche und Anregungen. Wichtige Hinweise verdanke ich Frank Böckelmann, dem Herausgeber des Magazins »Tumult – Vierteljahresschrift für Konsensstörung«, wofür ich ihm herzlich danke. Besonderen Dank schulde ich meinem Verleger Jan Karl Fischer, der diese Arbeit angeregt und über manche Höhen und Tiefen hinweg mit großem Interesse begleitet hat. Meinem Vater Horst Müller gilt mein großer Dank für vielerlei Rat und Hilfe sowie seine rege Anteilnahme an allen meinen Projekten und Betätigungen. Und schließlich danke ich meiner Frau Christine Müller-Mey, die auch in politischen und publizistischen Angelegenheiten meine Mitstreiterin ist, für ihre Liebe, nimmermüde Geduld und ausgleichende Gutmütigkeit, mit der sie mein unruhiges, launisches und sprunghaftes Wesen immer wieder »erdet«.

      Treuenbrietzen, im August 2020

      Dr. Baal Müller

      Einleitung

      Wenn wir die unser Land betreffenden Nachrichten, die Tag für Tag auf uns einprasseln, auf einen gemeinsamen Nenner bringen wollen, bietet sich das Wort »Selbstzerstörung« an. Von einer bloßen Krise kann kaum noch die Rede sein, wenn wir – oder zumindest die noch zu politischem Urteil Befähigten unter uns – die Verheerungen betrachten, von denen Politik und Wirtschaft, Kultur und Bildungssystem, öffentliche Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt betroffen sind, darunter:

      • die sogenannte Eurorettung und die »Corona-Hilfen« für angeblich besonders betroffene Länder, die Deutschlands Sparer Hunderte Milliarden Euro kosteten bzw. noch kosten werden;

      • eine Energie- und Mobilitätswende, die unsere Schlüsselindustrien opfert und die Stromversorgung gefährdet;

      • die »Flüchtlingskrise« als Teilaspekt einer umfassenden Migrationsagenda, die in wenigen Jahren Millionen bildungsferne Einwanderer aus fremden Kulturkreisen ins Land spülte und fortwährend weiter betrieben wird;

      • die Verfestigung muslimischer Parallelgesellschaften und über diese hin­aus ein Vordringen islamischer Sitten, auf die auch Nichtmuslime – unter Verzicht auf eigene Traditionen – »Rücksicht« nehmen sollen;

      • eine demographische Entwicklung, die Deutsche in absehbarer Zeit zu Fremden im einstmals eigenen Land machen wird und in vielen Städten bereits gemacht hat;

      • wachsende Gewaltkriminalität junger Männer mit Migrationshintergrund gegen Einheimische und die ständige Gefahr von Terroranschlägen;

      • die Enteignung des Bürgers durch immer höhere Steuern und Abgaben, für die er eine marode Infrastruktur und immer weniger staatliche Leistungen erhält;

      • ein Bildungssystem, das Millionen Analphabeten produziert;

      • ein jährlicher hunderttausendfacher Brain Drain bzw. die Abwanderung gutausgebildeter Leistungsträger in Länder, in denen ihre Fähigkeiten höher geschätzt werden;

      • und eine Regulierung der öffentlichen Meinung durch Tabus, Sprechverbote, Formulierungsvorgaben, Gesinnungsschnüffelei, Überwachung, Bespitzelung, Versammlungsverbote, »Cancel Culture« und andere Formen der Repression – zuletzt besonders unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung –, die man früher nur von totalitären Staaten kannte.

      Gegen all diese Tendenzen regt sich zwar Widerstand, aber noch immer werden die für diese Entwicklungen politisch verantwortlichen Parteien von breiten Mehrheiten gewählt. Der Vorwurf, die politische Klasse habe eine Art Diktatur etabliert, greift also zu kurz; stattdessen hat sich der Begriff »Postdemokratie« für das höchst beunruhigende Phänomen eingebürgert, dass zahlreiche Bürger offenbar freiwillig eine Politik unterstützen, die ihnen objektiv schadet. Diskussionen darüber sind nur schwer möglich, da oft bereits die Benennung der soeben aufgezählten Tatsachen empört zurückgewiesen und mit begrifflichen Tabus belegt wird. Während der Totalitarismus klassischer Diktaturen von nahezu der gesamten Bevölkerung als unerträglicher Zwang und Unterdrückung empfunden wurde, gilt dies für seine »sanfte«, spät- oder postdemokratische Variante nicht mehr. Im Gegenteil: Viele Bürger glauben sogar, sich mutig für die Demokratie zu engagieren, wenn sie an Demonstrationen teilnehmen, zu denen die Regierung selbst aufgerufen hat, und beteiligen sich an der Denunziation Andersdenkender, die sie als »Zivilcourage«


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