Hoch Hinaus. Raphael Röttgen
anderem die Haupttriebwerke des Space Shuttles gebaut haben), Boeing und Lockheed. Heute haben sich neuere Weltraumfirmen hinzugesellt, meist entweder in Long Beach, wie zum Beispiel VirginOrbit und SpinLaunch, oder in der Region des internationalen Flughafens, wie eben SpaceX. Wer den Freeway 105 vom Flughafen Richtung Downtown LA nimmt, dem wird vielleicht irgendwann auf dem Weg auf der rechten Seite eine zylindrische Struktur hinter einigen Gebäuden auffallen, die auf den ersten Blick fast wie ein Schornstein aussieht. Dabei handelt es sich allerdings um die ungefähr fünfzig Meter hohe erste Stufe einer Falcon-9-Rakete, welche SpaceX vor seinem Hauptquartier aufgestellt hat.
Von all den oben genannten Weltraumfirmen in Kalifornien werden wir später in diesem Buch hören. Zuerst aber unternehmen wir eine Reise in die Vergangenheit Kaliforniens, in das Jahr 1850. Kalifornien wurde im September 1850 zum 31. Bundesstaat der Vereinigten Staaten, nachdem es bis zum Mexikanisch-Amerikanischen Krieg zu Mexiko gehört hatte. Laut der ersten Volkszählung im Jahr 1850 hatte Kalifornien damals etwas über 90.000 Einwohner5. Wildwest-Siedler, wie sie im Buche standen, waren es oft, gekommen mit Pferden und Planwagen, viele durch den Goldrausch einige Jahre zuvor angezogen. Einfach war das Leben nicht, das sie erwartete. Man konnte nicht viel mitbringen und musste von dem leben, was der Boden hergab. Aber das große, weite und weitgehend unbesiedelte Land lockte mit neuen Möglichkeiten, die die Siedler in den Städten der Ostküste nicht mehr sahen.
Von St. Louis in Missouri, in der Mitte der USA, verkehrte ab 1858 regelmäßig eine Kutsche zum über 2.000 Meilen entfernten San Francisco an der Westküste. Die Fahrt dauerte 25 Tage und man riskierte unter anderem, auf dem langen Weg gelegentlich überfallen zu werden6 . Dann kamen die Eisenbahnen. 1869 war die erste Verbindung zwischen Ost und West fertig. Die Teile für die Schienenstrecke kamen aus dem Osten der USA, per Schiff über Kap Hoorn. Über die nächsten Jahrzehnte folgten unzählige weitere Verbindungen und die Schienenkapazität wuchs stark7. Natürlich war die Eisenbahn schneller und bequemer, sie bot mehr Platz und war viel billiger als Kutschen. Nach einigen Schätzungen fielen die Transportkosten in den Westen um fünfundachtzig Prozent8.
Die Auswirkungen waren dramatisch, wie schon das Zitat am Anfang dieses Kapitels vermuten lässt. Im Jahr 1900 war die Bevölkerung Kaliforniens auf fast anderthalb Millionen gewachsen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich das amerikanische Bruttoinlandsprodukt um mehr als das Achtfache9. Auch an der Börse schlug sich der Erfolg der Eisenbahnen deutlich nieder: Der Wert der Transportaktien machte zeitweise fast zwei Drittel des Wertes der gesamten Börse aus10. Die Eisenbahnbarone wurden sagenhaft reich. Leland Stanford, ein Mitgründer der Central Pacific Railroad (die erste Eisenbahngesellschaft, welche eine Verbindung in den Osten baute), gründete gemeinsam mit seiner Frau die heute berühmte Eliteuniversität im Gedenken an ihren einzigen früh verstorbenen Sohn. Auch Nicht-Eisenbahner wurden durch den Boom im Westen reich: James Lick, welcher aus seiner Heimat in Pennsylvania über Buenos Aires nach San Francisco kam, machte zum Beispiel ein Vermögen mit Immobiliengeschäften. Er stiftete der Universität von Kalifornien ein Observatorium, welches noch heute existiert, und damit sind wir zurück beim Weltraum, dem Thema dieses Buches.
Was hat die Erschließung Kaliforniens mit dem Weltraum zu tun? Das Kalifornien von damals, oder auch der gesamte Westen der USA, ist eine Analogie für den Weltraum heute. Das All scheint wie das Territorium seinerzeit noch sehr weit weg zu sein, praktisch unbewohnbar und nur mit höchsten Mühen, Kosten und vielen Risiken zu erreichen. Und doch können wir davon ausgehen, dass wir jetzt gerade anfangen, das Äquivalent einer Eisenbahn in den Weltraum zu bauen. Mit neuen, großen Trägerraketen werden wir die Transportkapazität ins All über die nächsten Jahre vervielfachen, sodass es physisch möglich sein wird, genug Material mitzunehmen, um bedeutende Strukturen im Weltraum aufzubauen. Enorm wichtig ist dabei der zu erwartende Kostenverfall bei dieser Transportkapazität. Hat die Eisenbahn im 19. Jahrhundert die Kosten im Vergleich zur Kutsche um zirka fünfundachtzig Prozent gesenkt, werden wir im folgenden Kapitel sehen, dass ein ähnlicher Kostenverfall bei Raketen schon angefangen hat, und er könnte noch erheblich radikaler ausfallen als der historische Vergleich. Parallel dazu – und auch das werden wir in den folgenden Kapiteln thematisieren – sinken die Kosten bei weiteren Komponenten der Weltraumfahrt, wie zum Beispiel bei Satelliten. Dadurch werden verschiedenste Projekte im Weltraum nicht nur technisch, sondern auch ökonomisch möglich. Niemand hat es früher für möglich gehalten, eine große Zahl an Weltraumtouristen ins All zu fliegen, die ganze Erde in Echtzeit konstant zu beobachten, industrielle Materialien im Weltraum herzustellen oder Rohstoffe auf dem Mond abzubauen. All dies sind indes Vorhaben, an deren Realisierung einige Firmen bereits arbeiten. Am aufregendsten wird aber vielleicht das Potenzial der vielen Projekte sein, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können, die der Kostenverfall im Weltraum aber möglich machen wird. Ein anderer Vergleich aus der jüngeren Vergangenheit mag dies veranschaulichen: In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre begann der Siegeszug des Internets. Einige Grundanwendungen waren vielen bereits geläufig, zum Beispiel E-Mails und E-Commerce (Amazon hatte gerade angefangen, Bücher online zu verkaufen). Kaum jemand konnte sich zu dieser Zeit aber Geschäftsmodelle vorstellen wie Facebook, Airbnb, Uber oder Tinder. All diese Unternehmen, heute Milliarden wert, wurden durch das Internet ermöglicht und entwickelten sich über die Jahre. Alles, was es dafür brauchte, außer dem Internet selbst, waren kreative und risikofreudige Unternehmer, die das Potenzial des Internets verstanden und für ihre Ideen nutzten.
Was könnten solche kreativen Unternehmer mit der neuen Eisenbahn in den Weltraum erschaffen? Zunächst einmal müssen Unternehmer die wirtschaftlichen Chancen, die der Weltraum bietet, erkennen. Dafür habe ich dieses Buch geschrieben. Ich möchte die großen Trends zeigen und wie diese schon jetzt von Unternehmern im Weltraumsektor genutzt werden. Mit diesem Buch möchte ich informieren und hoffentlich auch inspirieren. Daran orientiert sich der Aufbau: Im ersten Teil erfahren Sie alles über die wichtigsten Trends, die neue Perspektiven ermöglichen – den starken Kostenverfall und den zunehmenden Eintritt von privatem Kapital in den Weltraumsektor. Im zweiten Teil stelle ich Ihnen spezifische Subsektoren der Weltraumwirtschaft vor, inklusive einiger ihrer Teilnehmer. Der letzte Teil will inspirieren, indem er zeigt, wie unsere Zukunft im Weltraum aussehen könnte und wie jeder und jede von uns daran teilhaben kann.
Alle Systeme sind bereit. Wir sind startklar!
4 White, Richard. Railroaded : The Transcontinentals And The Making Of Modern America. New York ; London, W.W. Norton & Co, 2012. Die Übersetzung von Zitaten stammt vom Autor, wenn nicht anders angegeben.
5 https://guides.library.ucla.edu/c.php?g=180339&p=1191251
6 https://www.parks.ca.gov/?page_id=25066
7 https://www.railswest.com/history/californiabeginnings.html
8 https://www.history.com/news/transcontinental-railroad-changed-america
9 Louis Johnston and Samuel H. Williamson, “What Was the U.S. GDP Then?” MeasuringWorth, 2020
10 http://econintersect.com/pages/infographics/infographic.php?post=201902010511
Kapitel 1
Der Weltraum wird günstiger
„Es ist der Unterschied zwischen Flugzeugen, die man nach jedem Flug weggeworfen hat, und solchen, die man viele Male wiederbenutzt.“
(Elon Musk11)
Was ist das Teuerste, das man sich als gelangweilter Milliardär theoretisch kaufen könnte? Eine Superyacht? Die meisten kosten nicht mehr als ein paar Hundert Millionen Dollar. Ein Privatjet? Selbst der als „fliegender Palast“ umgebaute Airbus A380 vom saudischen Prinzen Walid bin Talal kostet angeblich nicht mehr als 500 Millionen12. Aber was, wenn man nun