Im freien Feld. Группа авторов
Sommer hindurch und bis in den Spätherbst singt er mit heiserer Stimme; dann bezeichnen ihn die Leute aus dem niederen Volk mit anderen Namen, »Wurmfresser« zum Beispiel. Ich finde das bedauerlich und seltsam. Wenn es sich um gewöhnliche Vögel wie Spatzen handeln würde, hätte ich nicht viel dagegen einzuwenden. Aber weil der Buschsänger nur im Frühling schön singt, rühmt man ihn in Liedern und Gedichten mit poetischen Worten wie in dem Vers »Wenn das Jahr sich wendet«. Würde er ausschließlich zur Frühlingszeit singen, wie würde man ihn dann erst lieben! Würde man denn einen Menschen, der nach Verlust seiner Stellung in den Augen der Öffentlichkeit beginnt, an Ansehen einzubüßen, gleich derartig schmähen? Es gibt gewiss keinen Menschen auf der Welt, der sich nach Habichten oder Krähen umdrehen oder ihrem Geschrei lauschen möchte. Deshalb wünschte ich mir, der Buschsänger würde immerzu wunderbar singen, denn mit solch einer Geringschätzung kann ich mich einfach nicht abfinden.
Als ich den Wagen vor den Palästen Urin-In und Chisoktu-In halten ließ, um mir die Rückkehr der Schreinprinzessin anzusehen, schlug gerade eine Nachtigall an, die den Sommer wohl nicht erwarten konnte. Gleich darauf antwortete der Buschsänger, ihren Ruf geschickt imitierend. Es war wirklich faszinierend, beide Vögel in ihren hohen Bäumen gleichzeitig singen zu hören.
Wie schön die Nachtigall klingt, brauche ich nicht eigens zu betonen. Wenn sie schlägt, hört es sich immer so an, als sei sie sich ihrer Kunstfertigkeit durchaus bewusst. Sie hält sich bevorzugt zwischen Deutzien- und Mandarinenblüten auf, und es ist geradezu ärgerlich, wie gut es ihr dabei gelingt, sich zu verstecken. Wenn ich in den kurzen Nächten der Regenzeit wach bleibe und lausche, um ihr Lied als Allererste zu vernehmen, und sie dann, tief in der Nacht, tatsächlich ruft, rührt ihr melodischer, liebreizender Gesang mit unfassbarer Gewalt zutiefst an mein Herz. Überflüssig, eigens zu erwähnen, dass ihr Ruf im 6. Monat wieder verstummt.
Alles, was zur Nachtzeit ertönt und ruft, liebe ich sehr. Mit einer einzigen Ausnahme: plärrende Säuglinge.
Bruno Schulz (1892–1942)
Es begann mit dem Ausbrüten von Vogeleiern.
Mit großem Aufwand an Mühe und Geld ließ sich mein Vater aus Hamburg, aus Holland, aus afrikanischen zoologischen Stationen befruchtete Vogeleier kommen, die er riesigen belgischen Hühnern zum Ausbrüten unterlegte. Es war dies auch für mich eine höchst spannende Prozedur – dieses Ausschlüpfen der kleinen Vögel, wahrer Scheusale an Gestalt und Gefieder. Man konnte in diesen Monstren mit den riesigen, phantastischen Schnäbeln, die sie sofort nach ihrer Geburt weit aufrissen, um in den Tiefen ihrer Schlünde gefräßig zu zischen, in diesen Echsen mit den schwächlichen, nackten Körpern von Buckligen keine zukünftigen Pfauen, Fasanen, Häher und Kondore erkennen. In Körben und in Watte untergebracht, reckte diese Drachenbrut auf dünnen Hälsen die blinden, mit dünnem Flaum bedeckten Köpfe und quakte lautlos aus stummen Kehlen. Mein Vater ging in einer grünen Schürze an den Regalen entlang wie ein Gärtner an seinen Kakteenbeeten und erlöste diese blinden, von Leben pulsierenden Bälge, diese unbeholfenen und unersättlichen Bäuche, welche die Außenwelt nur in der Form von Futter aufnahmen, diese Auswüchse des Lebens, die sich im Finstern tappend ans Licht drängten, aus ihrem Elend. Ein paar Wochen später, als diese blinden Knospen des Lebens ins Licht geborsten waren, füllten sich die Zimmer mit der bunten Geschwätzigkeit und dem flirrenden Zwitschern ihrer neuen Bewohner. Sie besetzten die Vorhangstangen der Fenster, die Gesimse der Schränke und nisteten im Dickicht der zinnernen Zweige und Arabesken der vielarmigen Hängelampen.
Während mein Vater große ornithologische Kompendien studierte und in bunten Tafeln blätterte, schienen die gefiederten Phantasmen aus ihnen zu entfliehen und das Zimmer mit buntem Geflatter, mit Purpurlappen, mit Scherben aus Saphir, Grünspan und Silber zu erfüllen. Während des Fütterns bildeten sie auf dem Fußboden ein buntes wogendes Beet, einen lebenden Teppich, der – wenn jemand unbedacht eintrat – zerfiel, in bewegliche Blumen zerstob, die in der Luft flatterten, um sich schließlich in den oberen Regionen des Zimmers niederzulassen. Im Gedächtnis blieb mir besonders ein Kondor, ein riesiger Vogel mit nacktem Hals, zerfurchtem Gesicht und üppigen Auswüchsen. Es war ein magerer Asket, ein buddhistischer Lama, voll unerschütterlicher Würde in seinem ganzen Verhalten, das sich nach dem eisernen Zeremoniell seines großen Geschlechts richtete. Wenn er meinem Vater gegenübersaß, reglos in der monumentalen Haltung uralter ägyptischer Gottheiten, das Auge mit einem weißen Häutchen überzogen, das er seitlich über die Pupillen schob, um sich ganz in die Kontemplation seiner vornehmen Einsamkeit zu versenken, schien er mit seinem steinernen Profil ein älterer Bruder meines Vaters zu sein. Die gleiche Materie des Körpers, der Sehnen und der gerunzelten harten Haut, das gleiche trockene und knochige Gesicht, die gleichen hornartigen, tiefen Augenhöhlen. Sogar die Hände, stark in den Gelenken, die langen mageren Hände des Vaters mit den runden Fingernägeln, hatten ihr Analogon in den Krallen des Kondors. Ich konnte mich, wenn er so schlief, nicht dem Eindruck entziehen, eine Mumie vor mir zu haben – die ausgetrocknete und deshalb kleiner gewordene Mumie meines Vaters. Ich glaube, daß auch der Aufmerksamkeit meiner Mutter diese sonderbare Ähnlichkeit nicht entgangen war, obwohl wir niemals dieses Thema berührten. Charakteristisch war, daß der Kondor das gleiche Nachtgeschirr wie mein Vater benutzte. Sich mit dem Ausbrüten immer neuer Exemplare nicht zufriedengebend, veranstaltete mein Vater auf dem Dachboden Vogelhochzeiten, schickte Brautwerber aus, band in den Luken und Löchern des Dachbodens anmutige und sehnsuchtsvolle Bräute fest und brachte es tatsächlich fertig, daß der Dachboden unseres Hauses – eine gewaltige schindelgedeckte Mansarde – eine richtige Vogelherberge, eine Arche Noah wurde, in die Geflügelte jeglicher Art aus fernen Ländern geflogen kamen. Noch lange nach der Liquidierung dieser Vogelwirtschaft wurde in der Vogelwelt die Tradition unseres Hauses aufrechterhalten, und zur Zeit der Frühlingszüge ließen sich manchmal auf unserem Dach ganze Schwärme Kraniche, Pelikane, Pfauen und allerhand anderer Vögel nieder.
Richard Powers (*1957)
Kraniche landen in der Dämmerung. Sie schweben in lockeren Ketten vom Himmel. Zu Dutzenden streben sie aus allen Richtungen herbei und sinken mit der Dunkelheit herab. Hunderte von Grus canadensis rasten an dem noch halb gefrorenen Fluss. Sie sammeln sich auf den Inseln im seichten Wasser, wo sie grasen und unter Flügelschlagen ihre Trompetenrufe ertönen lassen: die Vorhut einer gewaltigen Wanderung. Von Minute zu Minute werden es mehr, und die Luft färbt sich rot von ihren Schreien.
Ein Hals reckt sich lang, die Beine baumeln herab. Flügel wölben sich nach vorn, ihre Spannweite so groß wie ein Mensch. Die Schwungfedern wie Finger gespreizt, legt er sich schräg in den Wind. Der blutrote Kopf macht eine Verbeugung, und die Flügel berühren sich – ein lang gewandeter Priester spendet den Segen. Die Schwanzfedern richten sich auf, und der Leib sackt nach unten, dem plötzlich näher kommenden Boden entgegen. Beine strampeln; mit den nach hinten abgewinkelten Knien sehen sie aus wie das gebrochene Fahrgestell eines Flugzeugs. Ein weiterer Vogel im Sinkflug findet strauchelnd einen Platz auf der dicht bevölkerten Landebahn an diesem wenige Meilen langen Ufer, wo der Fluss noch sauber und breit genug ist, dass er ihnen Sicherheit bietet.
Die Dunkelheit kommt früh, und so wird es noch einige Wochen lang bleiben. Der Himmel, eisblau hinter den Wipfeln der Weiden und Pappeln, flammt für kurze Zeit rosenrot auf, dann verglüht er zu Indigo. Ende Februar am Platte River; der kalte Nachtdunst hängt über dem Fluss und überzieht die Stoppelfelder des vergangenen Herbsts mit weißem Raureif. Die aufgeregten Vögel, groß wie Kinder, stehen dicht gedrängt, Flügel an Flügel, an diesem Abschnitt des Flusses, den die Erinnerung sie zu finden gelehrt hat.
Wie seit Urzeiten versammeln sie sich zum Ende des Winters hier am Ufer, bedecken wie ein Teppich das Sumpfland. In diesem Licht erinnern sie fast noch an Saurier: die ältesten Flugtiere der Erde, nur einen zaghaften Schritt entfernt vom Pterodaktylus. Als es endgültig dunkel wird, ist es wieder eine Welt der Anfänge, der gleiche Abend wie damals, als vor sechzig Millionen Jahren diese Wanderung begann.
Eine halbe Million Vögel – vier Fünftel aller Kanadakraniche auf der Erde – versammeln sich an diesem Fluss. Sie folgen dem Central Flyway, der Zugroute, die sich einer riesigen Eieruhr gleich über den gesamten Kontinent legt. Sie kommen aus Neumexiko,