Will haunt you - Dieses Buch wird dich verfolgen. Brian Kirk

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aus Schwärze, auf die Sterne, die von der Lichtverschmutzung aus Atlanta erstickt wurden. Wir tauschten unsere Aussicht auf den Kosmos gegen die Möglichkeit ein, bis tief in die Nacht zu arbeiten, und Sterngucker wie ich gehen leer aus.

      Eine Auto rauschte auf dem abgelegenen Highway vorbei, als ich Caspian in den Sportsitz meines Toyota Camry hievte und die Tür schloss. Die Werbetafel des Full Moon Saloon war immer noch beleuchtet. RISING DEAD REUNION. Show beginnt um 20 Uhr. Bier 2 $.

      Klar, Bier. Eher Pisse.

      Aber jetzt rockten wir im großen Buch der Weltgeschichte an diesem verschlafenen Samstagabend für immer den Full Moon Saloon. Und das brachte mich zum Lächeln.

      Der Camry sprang beim ersten Versuch an, was fast schon ein Wunder war. Er hatte schon mehr als 180.000 Meilen hinter sich, und ich wartete auf seinen unvermeidlichen Zusammenbruch, was ein neues Auto bedeuten würde. Oder ein altes, wenn man es genau nahm. Allerdings neue Raten. Was mehr Reklamearbeit voraussetzte. Mit sechsundvierzig stehe ich nicht mehr ganz oben auf der Anrufliste.

      Aber wir würden schon eine Möglichkeit finden. Cassie und ich. Hatten wir immer. Manche One-Night-Stands halten ewig.

      Früher war ich besessen von dem Leben, das ich für sie aufgegeben hatte. Die Freiheit, die Jahre auf der Straße. Rückblickend aber weiß ich, wer den besseren Schnitt gemacht hat.

      Caspian nickte bereits im Sitz ein und schnaufte wie ein Greis mit Emphysem. Das hätte genauso gut ich sein können.

      Er kam allerdings wieder zu Atem, als wir auf den Highway fuhren, setzte sich auf, schaltete das Radio ein und drehte die Lautstärke voll auf. »Die Sender hier draußen sind echt scheiße«, sagte er.

      Es lief »Beds are Burning« von Midnight Oil. Ich mochte das Lied.

      »Dann dreh leiser.«

      Das tat er. Ein bisschen. Ich drehte noch leiser.

      »Verfickte Prinzessin«, lallte Caspian.

      Stimmt, genau da wäre ich jetzt, wenn ich Cassie nicht geschwängert hätte. Im Vollrausch vor mich hinsabbern. Zehn, fünfzehn Jahre älter aussehen, als ich bin. Aber wo wäre sie? Als wir uns kennenlernten, arbeitete Cassie als Grafikdesignerin für ein Musiklabel. Sie wurde beschissen bezahlt, liebte aber ihre Arbeit. Und sie machte gute Arbeit. Sie hatte Talent. Hat es immer noch. Nutzt es jetzt eben für dekorative Umschläge für unsere Fotoalben. Ein bisschen freiberufliche Arbeit, wenn sie drankommt. Meistens Hochzeitseinladungen und so ein Zeug. Sie hörte beim Label auf, als es zu dem »Unfall« kam.

      Ich nenne es immer noch so: »den Unfall«. Zumindest in Gedanken. Mein wehrhaftes Ego. Aber immer in Anführungszeichen. »Der Unfall«.

      Okay, los geht’s. Ich war nach einer Doppelschicht bei Best Buy was trinken gegangen. Ich hasste diesen beschissenen Job, brauchte aber das Geld, um unser Baby zu ernähren – unsere Große Überraschung (großes G, das kannst du mir glauben). Ich gab nebenbei Gitarrenstunden und versoff das Geld, das ich dafür bekam. Stammkunde sein half; manchmal musste ich meinen Deckel nicht bezahlen. Außerdem spielte ich ab und an zur Happy Hour. »Sweet Child of Mine« und so einen Scheiß.

      Razz, der Barmanager von diesem Laden namens The Mule Kick, probierte ein neues Getränke-Special aus. Zwei Long Island Ice Teas zum Preis von einem. Frisch gemixt, keine Fertigmischung. Alk bis zum Rand. Ein paar davon, und die Bar machte ihrem Namen alle Ehre. Ein paar mehr, dann wurde die Nacht dunkel und trüb. Ich hab’ keine Ahnung, wie viele ich an jenem Abend gehoben hatte. Mein Deckel lag nie über zehn Mäusen.

      Nachts kümmerten Cassie und ich uns abwechselnd um unseren Sohn Rox, wobei sie das Kommando übernahm. Sie schubste mich immer aus dem Bett, wenn ich dran war. Sie war damals immer noch süchtig, aber nicht so sehr wie ich. In dieser Nacht musste sie allerdings mehr als sonst intus gehabt haben, denn sie war völlig weggetreten. Immer noch angezogen, ließ ich mich neben ihr aufs Bett fallen und wachte Stunden später in der schlimmsten Stille auf, die ich je gehört hatte. Die Wohnung war nie still, Mann. Rox hatte ein Organ, das Caspians in den Schatten stellte.

      Cassie und ich wachten ungefähr gleichzeitig auf. Sahen auf die Uhr und merkten, dass die verschwommenen Ziffern vier Uhr irgendwas zeigten. Weit über meine nächtliche Schicht hinaus. Sie stand auf, und ich blieb liegen, teils wegen des einsetzenden Katers, aber auch aus irgendeiner warnenden Angst. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Konnte es fühlen wie einen stummen Alarm.

      Dann hörte ich sie schreien. Als hätte ich es herbeigerufen. Ein Kreischen, das wie ein elektrischer Schlag durch mein Hirn fuhr. Ich sprang aus dem Bett und rannte ins Wohnzimmer, wo Rox’ Gitterbett in einer Ecke stand. Der einzige Platz dafür in einer 40-Quadratmeter-Einzimmerwohnung. Ich sah, dass das Bett leer war, und mein erster Gedanke war, dass jemand meinen Sohn entführt hatte. Ein verrückt gewordener Fan oder eine sitzengelassene Geliebte. Wir mussten die Polizei rufen, das vermisste Kind melden. Dann bemerkte ich, wie Cassie dahockte und auf etwas am Boden starrte. Rox war nicht geraubt worden. Er war irgendwann in der Nacht aus seinem Bettchen gekrochen und auf dem Parkettboden aufgeschlagen. Ich werde den Anblick nicht näher beschreiben. Tatsächlich kann ich es nicht. Ich habe alles getan, um das Bild zu verdrängen.

      Er überlebte, aber seine Zukunft war zerstört. Ebenso meine Laufbahn als Rockstar, eine gerechte Strafe für mein fahrlässiges Verhalten. Nichts, was geschehen ist, ist gerecht.

      Cassie kündigte ihren Job, um zu Hause zu bleiben. Gut, dass sie eine so tolle Mutter ist. Rox braucht viel Pflege. In vielerlei Hinsicht ist er noch immer ein Säugling. Wo, ach wo wäre sie ohne mich?

      Der Sänger von Midnight Oil sang davon, die Zeche zu zahlen, seinen Teil zu leisten, während Caspian neben mir schnarchte.

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      Ich erinnere mich, dass ich gerade, als die Uhr Mitternacht zeigte, auf das Armaturenbrett schaute und froh war, einen weiteren Tag hinter mich gebracht zu haben. Eine Mischung aus Stolz und Scham darüber empfand, dass ich mich überhaupt in diese Lage gebracht hatte. Mich fragte, wo die Waage gekippt war, was Kompromisse anging. Was mein größter Fehler gewesen war. Der Lebensstil, oder dass ich andere mit reingezogen hatte. Wären die Dinge so schlecht gelaufen, wenn ich Cassie nie getroffen hätte? Wenn wir Rox niemals bekommen hätten?

      Hier stehe ich und denke über die vergangenen sieben Jahre nach, wie sehr ich mich in so kurzer Zeit verändert habe. Wünschte, ich könnte die beiden Versionen von mir zusammenführen, sie miteinander aussöhnen, eine Möglichkeit finden, mir selbst zu verzeihen und weiterzumachen. Die Nacht war bombig gewesen. Wieder auf der Bühne, wieder zusammen mit meinen alten Bandkumpels, wieder in einer schäbigen Bar mit lockeren Regeln und lockeren Frauen. Aber wie lange würde es dauern, bis sich die alten Muster wieder zeigten? Ich konnte es mir nicht leisten, das herauszufinden. Ich war gerade soweit, dass ich Rox überhaupt ansehen konnte, ohne zu schaudern. Dass ich in den Spiegel sehen konnte, ohne den Blick abzuwenden. Nichts war es wert, das jetzt aufzugeben. Ganz egal, wie viel Spaß es vielleicht gemacht hätte. Ich hatte das Gefühl, eine Art Prüfung bestanden zu haben, und es fühlte sich gut an.

      Ich blickte wieder auf die Uhr, und diese stand immer noch auf 00:00. Die längste Minute meines Lebens. Ich dachte, dass die Uhr vielleicht stehengeblieben war, also zählte ich in Gedanken bis sechzig und sah nochmal hin. Die rotglühenden Ziffern blieben bei 00:00.

      Na gut, was soll’s. Ich betrachtete die gelbe Linie, die die Straße in zwei Hälften teilte, wobei die pulsierenden Streifen wie Sekunden vorbeitickten. »Personal Jesus« von Depeche Mode lief gerade im Radio aus. Caspian hätte auch diesen Song gehasst, aber mich störte er nicht. Besser als »Coffin Dust«, so viel stand fest.

      Der Nacht-DJ sprach über das leiser werdende Stück, seine Stimme war leise und rau, als hätte man ihn gerade erst geweckt und ihm ein Mikro vor die Nase geschoben.

       »Willkommen bei The Midnight Hour. Wir haben eine lange Nacht vor uns und fangen gerade erst an. Heute Nacht ist es dunkel draußen. Ruhig. Die halbe Welt liegt im Delirium des Schlafs, während die andere


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