Der Tod der blauen Wale. Joachim H. Peters

Der Tod der blauen Wale - Joachim H. Peters


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in dieser Art und Weise schon das ein oder andere Mal erlebt. »Ihr Sohn hat sich umgebracht und wir untersuchen den Fall. Auf dem Telefon Ihrer Frau befindet sich ein Video als eine Art Abschiedsgruß von ihm und das habe ich mir angesehen.«

      Herbers Blick wechselte kurz zu seiner Frau, Natalie bemerkte, dass ein böses Funkeln darin lag. Dann heftete sich sein Blick wieder auf Marx. »Geben Sie her!« Der hielt ihm das Telefon hin. Wenige Sekunden später wurde das Video erneut abgespielt. Natalie nutzte die Gelegenheit den Rechtsanwalt dabei aufmerksam zu beobachten. Bis auf ein leichtes Mahlen der Kieferknochen konnte sie keine Reaktion erkennen. Was für ein eiskaltes Arschloch.

      Nicole Herber war zu ihnen getreten, sie wirkte eingeschüchtert wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange, und doch konnte sie ihren Blick nicht vom Display des Handys abwenden. Erst als sie aufschluchzend zu weinen begann, nahm ihr Mann sie wahr. Die junge Polizeibeamtin hätte erwartet, dass er tröstend den Arm um sie legte, doch seine Reaktion war ganz anders.

      »Geh nach oben!«, forderte er sie mit einer Stimme auf, die darauf hindeutete, dass er gewohnt war, keinen Widerspruch zu hören. »Wir sprechen uns noch!« Nicole Herber zögerte nur eine Sekunde, dann blickte sie die beiden Polizeibeamten noch einmal aus verweinten Augen entschuldigend an, drehte sich um und verließ dann wortlos den Raum.

      »Warum quälen Sie meine Frau damit?« Mit dieser Frage warf Herber das Handy seiner Frau achtlos auf den Flügel.

      Natalie war vollkommen perplex. Sie stand da und wusste nicht, was sie auf diesen wie aus der Pistole geschossenen Vorwurf sagen sollte. Herbers arrogantes Verhalten hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht.

      Aber es hatte sogar Marx überrascht. Der hatte der trauernden Frau hinterhergesehen. Jetzt schnaufte er verärgert, weil ihm der Ton des Rechtsanwaltes nicht gefiel. Dementsprechend grob war nun auch sein Tonfall. »Ich sagte Ihnen bereits, wir ermitteln im Todesfall Ihres Sohnes. Ihre Frau hat uns von dem Video erzählt und ich habe es mir angesehen. Das ist alles.« Seine Stimme klang barsch, aber eine Sekunde später hatte er seine Fassung wiedergewonnen und er riss sich zusammen. »Ich habe Ihre Frau nicht gequält, ich bin sogar extra zur Seite gegangen, damit sie sich das Video nicht noch einmal anzusehen muss.«

      Herber wechselte das Thema. »Und was haben Sie gedacht, darauf zu finden? Eine Erklärung, warum mein Sohn sich umgebracht hat?«

      »Ja, zum Beispiel. Aber vor allen Dingen wollen wir ausschließen, dass es etwas anderes als ein Suizid sein könnte.« Wie immer in solchen Fällen bemühte Marx sich, das Wort Selbstmord nicht in den Mund zu nehmen.

      »Was sollte es denn anderes sein?«, brauste Herber auf. »Mein Sohn war immer schon ein Schwächling und ein Versager. Wundert mich nicht, dass er so geendet ist.«

      Natalie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. So äußerte sich ein Vater, der gerade vom Tod seines Sohnes erfahren hatte? Noch bevor sie etwas dazu sagen konnte, hörte sie einen leisen Aufschrei. Er kam von der Treppe, die ins Obergeschoss führte. Nicole Herber stand auf der obersten Stufe und hielt sich krampfhaft am Geländer fest. Sie hatte alles mit angehört.

      »Du sollst nach oben gehen, habe ich dir gesagt!«, fauchte Herber seine Frau an. Als sie nicht reagierte, lief er zu ihr hinauf. Oben auf der Treppe angekommen fasste er sie am Arm, zischte ihr etwas ins Ohr und führte sie dann in den Flur.

      Was für ein unfassbarer Widerling, dachte Natalie. Ihr Blick fiel auf das Handy, das immer noch auf dem Flügel lag. Sie vergewisserte sich, dass Herber noch nicht wieder da war, dann klickte sie auf den geschwungenen Pfeil neben dem Video und gab ihre eigene Handynummer als Empfänger ein. Marx sah sie fragend an.

      »Wer weiß, wofür wir es noch mal brauchen können? Sicher ist sicher.« Ihr Kollege zuckte mit den Schultern. Sie hatte es gerade wieder auf den Flügel zurückgelegt, als sie bereits hörte, dass die Nachricht mit dem Video auf ihrem Handy angekommen war.

      Im selben Augenblick erschien Herber wieder auf dem Treppenabsatz. Wie ein Kapitän auf der Brücke eines alten Segelschiffs blieb er mit den Händen auf das Geländer gestützt stehen und blickte finster auf sie hinab. »Ich finde, Sie haben schon genug Unheil angerichtet, und ich kann nicht glauben, dass Ihr Verhalten im Sinne Ihrer Vorgesetzten ist. Das werde ich natürlich überprüfen lassen, und nun fordere ich Sie umgehend auf, mein Haus zu verlassen.« Er deutete zur Tür.

      Mein Haus, nicht unseres, schoss es Natalie durch den Sinn. Nicole Herber hatte hier nichts zu melden. Auch sie war hier nur eine Art Dekoration.

      Obwohl sie wütend war, hielt sie Herbers Blick noch eine Sekunde lang stand, bevor sie sich provozierend langsam umdrehte und zusammen mit Marx die Stufen zum Essbereich hinaufstieg. Herber folgte ihnen auf dem Fuße. Im Hinausgehen drehte Marx sich noch einmal um. »Es kann sein, dass wir in dieser Sache noch ein paar Fragen haben, dann …«

      Der Rechtsanwalt fiel ihm barsch ins Wort. »In diesem Falle wenden Sie sich an meine Kanzlei. Guten Tag.«

      Der Kriminalbeamte wollte darauf noch etwas erwidern, doch kaum war er vor die Tür getreten, wurde diese bereits hinter ihm zugeschlagen. Wieder einmal bestätigte sich seine Meinung, die er sich über Herber gebildet hatte. Er spürte, wie die Wut langsam in ihm hochkochte und Natalie ihm eine Hand auf den Arm legte. In ihren Augen sah er, dass sie genau dasselbe dachte wie er und das beruhigte ihn wieder. Wenn Herbers Verhältnis zu seinem Sohn genauso war, wie zu seiner Frau, dann war es kein Wunder, dass der Junge Selbstmord begangen hatte.

      Kapitel 8

      Als sich die eiserne Grundstückstür wieder hinter Natalie und Marx schloss, verließ Kleekamp gerade seine Wohnung und staunte. Die Tür gegenüber stand weit offen, sodass er in einen leeren Flur blicken konnte. Eigentlich hatte er erwartet dort die alte Eichengarderobe, den abgetretenen roten Teppichläufer und die Tapete mit dem Muster aus den siebziger Jahren zu sehen. Doch stattdessen blickte er auf kahle Wände, den blanken Estrich, eine hölzerne Malerleiter und diverses Werkzeug. Entweder war die alte Kreienhorst ausgezogen oder ihre Bude wurde endlich mal renoviert. Kleekamp wunderte sich, dass er davon nichts mitbekommen hatte, was aber sicherlich daran lag, dass er in letzter Zeit kaum vor die Tür gegangen war. Außer zum Saufen.

      Er stieg die fünf Stufen zur Haustür hinunter, wo ihm ein junger Mann mit dunklem Teint und schwarzen Haaren entgegenkam. Der Türke von oben. Kleekamp kannte nicht mal seinen Namen. Der leere Abfalleimer in seiner Hand ließ jedoch darauf schließen, wo er gerade gewesen war.

      »Hallo, Herr Kleekamp, lange nicht gesehen.«

      »Tach«, knurrte Kleekamp einsilbig und wollte schon an ihm vorbei gehen, als der ihm den Weg versperrte. Er deutete mit dem Kopf zur offen stehenden Wohnungstür und grinste. »Na, was sagen Sie dazu, dass wir so schnell eine neue Mitbewohnerin bekommen?«

      Kleekamp sah ihn mäßig interessiert an. »Ist die alte Kreienhorst endlich ausgezogen? Ins Altersheim?«

      Der junge Mann sah ihn mit erstauntem Gesichtsausdruck an. »Wissen Sie das denn nicht? Die ist doch letzte Woche gestorben. Wir waren doch alle auf der Beerdigung«, er stutzte kurz, »na ja, alle bis auf Sie!«

      »Und wieso hat mir keiner Bescheid gesagt?«, blaffte Kleekamp ihn an.

      Der Mann fuhr erschrocken zurück. »Aber es haben doch alle eine Karte bekommen. Ich habe sie doch persönlich in den …« Sein Blick ging zur Haustür hinunter, neben der die Briefkästen montiert waren. Man musste nicht einmal genau hinsehen, um festzustellen, dass der von Kleekamp vollgestopft war, nicht einmal die Klappe ließ sich noch schließen.

      Kleekamp war seinem Blick gefolgt und schluckte. Verdammt, wie lange hatte er da nicht mehr reingesehen? Der letzte Brief, den er bekommen hatte, war ihm als Einschreiben persönlich zugestellt worden und auch der Grund, warum er heute das Haus verließ. Er warf seinem Mitbewohner einen letzten Blick zu, zuckte nur mit den Achseln und ließ ihn dann ohne jedes weitere Wort im Treppenhaus stehen.

      »Auf jeden Fall kommt jetzt Farbe ins Haus«, rief sein Nachbar ihm hinterher, doch Kleekamp reagierte nicht darauf.

      Wäre er dem jungen Mann in letzter Zeit häufiger begegnet, dann wäre ihm aufgefallen, dass


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