Wir reden, noch. Norbert Philipp

Wir reden, noch - Norbert Philipp


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Oft kriegt man noch ein paar einfühlsame Worte in der Beschreibung dazu. Wie etwa von der App „Moment“, die uns gleich zu verstehen gibt, dass wir jetzt ganz stark sein müssen. „Wir verstehen, dass dein Handy dein Leben ist“, liest man dort. Damit man leise für sich selbst ergänzt: „Aber es macht dich depressiv und einsam. Sorry.“ Mit „Moment“ soll genau dieser wieder einem mehr selbst gehören als den Interessen einer Datenindustrie. Die App zeichnet einfach die Häufigkeit und Dauer der Handynutzung auf. Dabei gibt es auch Ansätze von analogen Lösungen, sich dem Sog der digitalen Kommunikation zu entziehen. Einen Vorschlag dafür hat etwa der Wiener Designer Klemens Schillinger entwickelt. Ursprünglich als künstlerische Position im Rahmen einer Ausstellung für die Vienna Design Week, das „Substitute Phone“. Die einzige Funktion, die es in sich trägt: Man kann es in der Hand halten. Es fühlt sich so an wie ein Smartphone und es ist auch genauso schwer. Ah ja: Man kann auch über Steinkugeln streichen, die statt eines Displays auf dem Gerät angeordnet sind. Ein analoger Gegenvorschlag zum digitalen Wischen. „Stein ist für mich auch das analogste Material, das es gibt“, sagt Schillinger. Und das „Substitute Phone“ tut, was es tun soll: Es beruhigt. Zwar nur den „User“, nicht die Experten, die sich um ihn und die Gesellschaft als Ganzes Sorgen machen. Ein Besuch in Japan hatte den Gestalter zur Idee geführt. Dort hatte Schillinger eine Beobachtung beeindruckt und verstört zugleich: die stumme, dystopische Choreographie, mit der die Menschen in der U-Bahn über ihre Handydisplays wischen – Telefonieren ist in Tokio in der U-Bahn verboten. Und noch etwas sei ihm aufgefallen, wie Schillinger erzählt. Dass Umberto Eco „ständig an einem Holzstaberl kaute, als er sich das Rauchen abgewöhnen wollte“. Ein beruhigendes Substitut muss her, dachte sich der Designer.

      Der digitalen Nähe-Distanz-Paradoxie hat etwa auch die amerikanische Soziologin Sherry Turkle nachgespürt, in einigen Büchern, die man am Ende nicht unbedingt optimistischer zuschlägt. Allein „Alone together“27 erzählt davon, wie Jugendliche zusehends verarmen, in ihren sozialen, realen Beziehungen. Und auch in ihren sozialen Kompetenzen. Turkle traut den Jugendlichen nicht einmal mehr zu, dass sie sich an einer Konversation sinnvoll beteiligen könnten, wenn sie zufällig doch in eine geraten. Die Aufmerksamkeitsspannen seien dafür einfach schon zu kurz.

      Aber schön doch, dass die Gehirne so anpassungsfähig sind. Ohnehin haben sie sich schon an eine Menge gewöhnen müssen. Jedes neue Medium mischt wie selbstverständlich die Nutzungskultur neu ab. Ein wenig verflucht und gefürchtet zu werden, gehört einfach zum Auftritt auf der Bühne der Gesellschaft dazu. Auch dem Roman im 18. Jahrhundert ist das so ergangen, wie auch der Zeitung im 19. Jahrhundert. Und im 20. waren schließlich die technischen Geräte die Vorboten des Untergangs. Denn bewährt hat sich: Sich etwas nicht so schlimmzureden, indem man es zunächst möglichst schlechtredet. Dafür haben Kommunikationswissenschaftler die Defizit-Hypothese parat. Diese meint, dass Innovationen in den Kommunikationstechnologien vor allem eines im Schilde führen: Irgendwie zu versuchen, ihre Nachteile und Schwächen gegenüber der Face-to-Face-Kommunikation zu kompensieren. Etwa so: Das mit der nüchternen Informationsübertragung, das klappte ja schnell schon ganz gut in der digitalen Sphäre. Aber die Emotionen, die schafften kaum den Sprung. Dafür sind dann eben die Emoticons, später die Emojis, kurzerhand eingesprungen.

      Irgendwann hat jedes Medium seine Nische gefunden. Auch damit die Menschen später wieder darauf zurückkommen dürfen, aus nostalgischen Gründen oder weil man plötzlich Qualitäten vermisst, die sich vielleicht doch nicht so leicht digital kompensieren lassen. Bei vielen liegt ja inzwischen auch die Füllfeder wieder neben der Computertastatur am Schreibtisch, wie man aus Lifestyle-Medien so hört. Und auf „Face-to-Face“ kommt man scheinbar ohnehin ständig wieder zurück, wenn online gar nichts mehr geht. Während man sich gerade damit abfindet, dass etwas wie FoMO (Fear of Missing Out) die jüngere Generation beschäftigt, scheint die Zeitgeistkurve ansatzweise ohnehin wieder in die entgegengesetzte Richtung abgebogen: hin zur demonstrativen Freude daran, eben nicht alles mitzukriegen: „The Joy of Missing Out“ heißt das dann.28 Die Vorlieben der Menschen bewegen sich in Loopings. Irgendwann kommen sie ohnehin wieder zurück auf das, was ursprünglich ganz selbstverständlich war: wie saisonal zu essen, was vor der Haustür wächst. Oder etwa in Überschwemmungsgebieten keine Häuser zu bauen. Beim miteinander Reden wird das genauso sein, malen die Optimisten die Zukunft der Kommunikation hell und zartrosa. Solange Face-to-Face-Kommunikation auch besser schmeckt und länger satt macht, sind viele digitale Chats dabei wahrscheinlich nicht mehr als die Mise en Place des späteren, eigentlichen Showdowns: Wenn man sich dann schließlich tatsächlich gegenübersitzt und dabei so viel Spaß hat, dass man ziemlich viele Smileys bräuchte, um das Gefühl auch digital zu „sharen“.

      Außerdem haben Forscher die Face-to-Face-Kommunikation ohnehin noch rechtzeitig als unersetzbar einzementiert, bevor sie zu arg ins Wanken geraten hätte können. Wie etwa mit jenen Aussagen von Gebhard Rusch von der Universität Siegen, Institut für Medienforschung, der die „Unverzichtbarkeit und Nichtsubstituierbarkeit der Face-to-Face-Kommunikation“ festgestellt hatte. Das war allerdings lange vor Facebook, Instagram und sinnvollen Video-Online-Konferenzsystemen. „Selbst für die Kommunikation im Cyberspace bleibt die regenerative Erfahrung der Face-to-face-Kommunikation als Basis menschlicher Verständigung und Kreativität notwendig“, meinte Rusch.29 Gut, dann hat man das einmal fixiert fürs Erste. Die Face-to-Face-Kommunikation bleibt unantastbar. Wie beruhigend. Aber wie verlässlich Prognosen sind, weiß man ja spätestens seit Kaiser Wilhelm, Bill Gates und Matthias Horx. Auf eines haben wir uns zumindest eine Zeit lang, ein paar tausend Jahre, verlassen können: dass wir wissen, wie man miteinander redet. Und was man dafür benutzen kann. Wir wussten, wie Gespräche funktionieren und dass da ein Gegenüber war, selbst wenn wir es irgendwann nur noch hörten, statt es zu sehen. Sogar wie man ein Gespräch anbahnt und ordentlich beendet, hat man sich abgeschaut, bei Mama, Papa, Lehrer, Peergroup. Mit den Zeichen, die längst ausverhandelt waren, bevor wir sie selbst mit Bedeutungen belasten konnten, wussten wir genau, was wir damit anrichten können. Mit Lesen- und Schreibenlernen, glaubte man schon, hätte man das Wichtigste erledigt. Für den Rest sind manche in die Tanzschule gegangen oder haben sich ein bisschen auf Gefühl und das, was man gern Hausverstand nennt, verlassen. Oder man hat es sich von Menschen erklären lassen, die einem vertrauenswürdig schienen. Wie etwa Adolph Freiherr Knigge. Schon er gab dankenswerterweise ein paar Hinweise für Situationen, in denen sich Mensch und Mensch in Ruf- und Sichtweite voneinander durch die Welt bewegen. Knigge hat manches formuliert, was heute als anachronistisch oder inzwischen ganz selbstverständlich gilt. Sätze, die man auch heute am eigenen Leib nachfühlen kann. Wie etwa: „Umarme nicht jeden. Drücke nicht jeden an dein Herz.“30 Denn das würde ja die Umarmung irgendwie auch entwerten, meinte er. Was hebt man sich auf für jene, auf die man sich wirklich das ganze letzte Jahr gefreut hat? Jedenfalls hat man ziemlich viele Übereinkünfte in der Kommunikation allein dadurch unterschrieben, dass man einfach in ihre Kultur hineingeboren wurde.

       Lesen, schreiben, digital kommunizieren

      Umgangsformen regeln, wie man Zeichen miteinander austauscht. Dabei sind nur ein kleiner Teil davon die sprachlichen. Der Begriff „Konversation“ hat früher überhaupt den Umgang miteinander beschrieben, nicht nur jenen, den man durch ein Gespräch pflegt. Inzwischen machen sich kleine Unsicherheiten breit, nicht nur darüber, ob die Zeichen, die man sendet, überhaupt ankommen. Sondern auch darüber, was es für den anderen bedeutet, wenn man sie sendet. Vor allem wenn man sie nun quer durch alle Uhrzeiten des Tages und Kontinente des Planeten verschicken kann. Schneller, als man denkt, ist man beim letzten Update wieder zum kommunikativen Analphabeten geraten. Zum Glück will da auch manche offizielle, staatlichen Stelle entgegenwirken: Indem sie etwa „Digital Literacy“ großspurig als Ziel der Volks- und Allgemeinbildung ausgibt – also die Kompetenz, Informationen adäquat über digitale Plattformen zu verfassen, zu senden, zu finden und zu bewerten.31

      Die Digitalisierung der Kommunikation, sie ist nun mal ohne Gebrauchsanweisung eingerauscht. Und so drastisch und so schnell, dass man gar nicht sanft überleiten konnte, von der einen in die andere Ära. Netterweise haben viele der digitalen Kanäle zumindest eine ganz typische Designstrategie verwendet, um das Neue nicht ganz so furchterregend wirken zu lassen. Man tat einfach so, als wäre man irgendwie ohnehin noch analog.


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