An heiligen Wassern. Jakob Christoph Heer

An heiligen Wassern - Jakob Christoph Heer


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ich selbst, wie's in meiner Pflicht liegt, und was von uns aus zu Euerm Dienste gethan werden kann, wird treulich und gewissenhaft besorgt. Und so Gott und die Heiligen wollen, Seppi Blatter, daß Ihr gesund zurückkommt, so gehen also der Gardenhut, Schwert und Binde in Eure Hand. Es sind Ehrenzeichen, die ich nicht jedem abtreten würde. Euch aber schon und gern. Vierzehn Jahre war ich auf dem Posten, fast zu lange, und ich habe Arbeit genug auf Acker und Maiensäße und im Weinberg.«

      [15] Balm bedeutet eine Stelle, wo der Felsen des Gebirgs überhängt.

      Seppi Blatter errötete. Als Garde war er und sein Haushalt jeder Not überhoben, aber bescheiden sagte er: »Ich werde das Amt wohl nicht versehen können, ich habe schon die Hände, aber nicht den Kopf dafür.«

      »Der findet sich schon, wenn Ihr einmal dabei seid — im übrigen ist's im Gemeinderat gut gegangen. Es wäre ungeschickt gewesen, wenn der Vertrag der Losgemeinde hätte vorgelegt werden müssen. So sieht es besser aus, auch für Euch, noch mehr für den Presi und dient dem allgemeinen Frieden. Der Presi hat sich mit Euch einfach verrannt, aber, wie er ist, wenn die vorderen Räder des Wagens in den Kot gefahren sind, so hat er die Gnade nicht, 'Hüst' zu rufen. Nein, wenn die heilige Jungfrau mit der ewigen Seligkeit auf dem Wagen säße, die Hinterräder müssen auch hinein. Aber gewohlt hat's ihm, wie ein anderer an die Deichsel gestanden ist und kehrt gemacht hat.«

      »Ihr, Garde!«

      »Mich haben die hundertachtzig Franken nicht gereut. Nur eins. Ueber diese Vertragsgeschichte muß Gras wachsen. Es ist wegen des Presi. Wenn sie bekannt würde, so wäre sie ein Fleck auf seiner Ehre. Ihr werdet, wenn Ihr einmal als Garde mit ihm zu verkehren habt, sehen, daß er gar nicht so ungrad, nicht so hart ist, wie er scheint, obgleich ihn von Zeit zu Zeit der Teufel reitet und dann nichts mit ihm anzufangen ist.«

      Der Garde stand auf: »Also um ein Uhr.«

      Als Seppi und Fränzi Blatter ihm das Geleit unter die Hausthüre gaben, blies der Senn auf der Fenkenalp durch seinen Milchtrichter den Heligen-Wasser-Segen:

      »Die heligen Wasser behüte uns, Gott,

       Behütet sie, ihr lieben Heiligen!

      Sankt Peter nimm den Schlüssel zur Hand,

       Thu' auf dem Seppi Blatter die Wand,

       Führ' den Seppi auf dem bösen Weg,

       Schließ' seinen Fuß fest an den Steg,

       Du hast den Schlüssel und Gottes Gewalt,

       Sorg', daß der Seppi Blatter nit fallt!

       Die heligen Wasser behüte uns Gott,

       Und ihr liebe Heilige alle!«

      Das klang und wogte durch die geröteten Berge, die den Wiederhall zurückwarfen, als sängen Himmel und Erde. Und Fränzi umarmte ihren Mann.

      Rückblickend sagte der Garde, der schon einige Schritte gegangen: »Wenn Ihr ein paar Stunden schlafen könnt, Blatter, so thut es!«

      Und als er den anderen aus Hörweite gegangen war, knurrte er: »Das Wetter ist entsetzlich schön, kein Wölkchen am Himmel.« — —

      Mitternacht! Das Glöckchen von St. Peter läutet. Jetzt wissen die Bewohner, die vom Schrecken des Tages ausruhen, daß der Pfarrer und der Mesner mit den Sakramenten zu Seppi Blatter gehen. Nichts drängt die Gefahr, die an den Weißen Brettern lauert, so brennend vor die Augen, wie die Thatsache, daß selbst die allbarmherzige hoffnungsreiche Kirche den halb verloren giebt, der an die Felsen steigt.

      Sie reicht ihm ihre Tröstungen.

      Der Priester spricht zu Seppi Blatter: »Du hast gebeichtet und den Leib des Herrn gegessen. Du gehörst nicht mehr dieser Welt, lege ab die irdischen Gedanken und sinne auf deine Seligkeit. Giebt dich Gott in seiner grenzenlosen Güte der Erde zurück, so dank' es ihm ewiglich.«

      Da pocht es ans Fenster. Josi, der hinausblickt, sieht drei große gelbe Augen, die gegen das Haus leuchten, die Windlichter für den Marsch durch den dunklen Wald. Er sieht ein Trüppchen Männer.

      »Vater, ich will mit dir gehen!« fleht er.

      Da pocht es zum zweitenmal scheu wie vorhin, als fehle denen draußen der Mut, stark zu klopfen.

      Lautes Weinen erhebt sich in der Stube — unter der Thür erscheint der Garde, er zieht das dicke Nürnberger-Ei aus der Tasche. »Im Augenblick ist es eins!«

      Garde und Pfarrer ziehen sich zurück, die Haushaltung Blatter ist allein. Geduldig warten die Männer, da kommt vom Kirchturme herüber der schwere scharfe Einsschlag.

      Seppi Blatter tritt unter die Hausthüre: »Ich bin bereit!« Fest und mannhaft soll es klingen, aber es rasselt, daß es den Männern schier die Brust zerreißt. Die Windlichter verschwinden gegen den dunkeln, schauernden Alpenwald empor, sie sind nur noch winzige gelbe Punkte.

      Halberstickte Stimmen rufen in die Nacht: »Vater, behüt' dich Gott, Vater!« — Und hoch aus dem Wald kommt noch einmal seine Stimme zurück.

      »Er jauchzt, er hat Mut!« versetzt Josi mitten in Thränen.

      »Fränzi! hat er geschrieen — der Mutter hat er gerufen!« Vroni will's sagen, aber sie kann nicht sprechen vor Weh.

      Fränzi und die beiden Kinder sitzen in der Stube, gelähmt und stumm — sie weinen nicht mehr — sie starren vor sich hin.

      Der alte Pfarrer hockt auf der Bank nebenan, den Mesner hat er fortgeschickt. Der flackernde Kienspan beleuchtet die Strähnen weißen Haares und die hundert feinen Fältchen seines bäuerlich ehrwürdigen Gesichts. Er kann Fränzi jetzt nicht verlassen, aber er schweigt. Wozu reden?

      Mit gesenkten Lidern, die mageren Hände ineinander gekrampft, sinnt er. Indem er die Menge schwerer Gänge überdenkt, die ihm die Pflicht in vierzig Jahren überbunden, geht sein eigenes Leben in traumhaften Bildern an ihm vorbei. Er hat gekämpft und gelitten. Als er im Uebereifer des unerfahrenen Vikars den fremden Naturforscher für einen Abgesandten des Teufels genommen hatte, da regnete es Hohn auf ihn und bitter erkannte er, daß man, um als Pfarrer durchzukommen, von der Welt ebenso viel wissen muß, wie vom Himmel und der Hölle. Aus der Stadt, wo der Gelehrte hauste, der ihn mit einer übertriebenen Schilderung der Ankunft in St. Peter der Lächerlichkeit preisgab, ließ er Bücher kommen. Er las sie und wurde irre am Glauben. In der Verzweiflung verbrannte er die Schriften, bei dem alten Amtsbruder in Hospel suchte er Hilfe, kehrte in den Glauben zurück und seit dreißig Jahren war er von inneren Anfechtungen frei. Er pflegte sein Amt, wie ihm von oben geboten war, nur mit einem Zusatz: dem Teufel- und Dämonenglauben, der ihn so genarrt, war er abhold, ebenso dem Aberglauben. Wo gab es dessen mehr als im Glotterthal? Er kränkte sich, daß seine Herde fast stärker als an die Heilswahrheiten der christlichen Religion an Vorstellungen festhielt, die heidnischen Ursprungs waren, so an der hartnäckigen Einbildung, daß die Abgestorbenen zur Sündenreinigung nicht ins Fegefeuer, sondern in den Schnee der Gletscher kommen, er ärgerte sich am Totenkult, der zu St. Peter in tiefer Heimlichkeit blühte, und an Johannes, dem falschen Kaplan, der, indem er sich an die Weiber hielt, das Dorf in einen immer tieferen Aberglauben stieß.

      Das war sein Schmerz noch in alten Tagen, wo er doch gelernt hatte, Leute und Leben zu nehmen, wie sie sind, und, wenn ihm etwas über die Leber kroch, sich zu seinem Bienenstand zurückzuziehen.

      Vroni war mit einer Thräne an der Wimper eingeschlafen, die Schrecken der gestrigen und heutigen Nacht forderten Auslösung.


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