An heiligen Wassern. Jakob Christoph Heer

An heiligen Wassern - Jakob Christoph Heer


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Presi und Bärenwirt, der den rauhen untersetzten Garden um Kopfeslänge überragte und neben ihm wie ein rechter Bauernaristokrat erschien, lächelte verlegen und rückte auf dem Stuhl.

      »Wollt Ihr lieber das Los entscheiden lassen?« fragte er lauernd.

      Der Garde knurrte wieder, nach einer Weile fragte er aufs neue: »War Seppi nüchtern?«

      »Man macht keinen Handel, es ist ein Glas Wein zur Ermutigung dabei. Ich war grad in guter Laune, ich ließ ein paar Flaschen Hospeler fließen, Seppi aber war ziemlich nüchtern.«

      Der Garde schüttelte bedächtig den Kopf, in den starken Furchen seines breiten Gesichtes spiegelte sich Mißbilligung und Sorge, erst nach einer Weile sagte er: »Das Ding ist nichts.«

      Dem Presi lag augenscheinlich daran, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, lachend rief er: »Zum Wohl, Garde!« Und als nun die Gläser zusammenklingelten, fuhr er fort: »Warum ich gestern so hellauf war, Seppi Blatter, Bälzi und dem Bäliälpler ein Glas vom guten Hospeler schenkte, will ich Euch verraten. Es ist eine Ueberraschung —. Ich führe wieder eine Wirtin in den Bären.«

      Da sprang der schwerfällige Garde auf: »Was Ihr meldet, Presi! Wer ists?« Die ehrliche Neugier stand ihm im Gesicht.

      »Unter vier Augen und nur zu Euch — Frau Cresenz, die Schwester des Kreuzwirtes in Hospel. Wir haben die Angelegenheit gestern ins reine gebracht.«

      »Ich wünsche Euch Glück,« sprach der Garde feierlich und schüttelte dem Wirt kräftig die Hand. Dann setzte er sich und knurrte in einem Ton vor sich hin, der nicht entscheiden ließ, ob darin eine Zustimmung oder Mißbilligung liege.

      »Was sagt Ihr dazu?« fragte der Presi.

      »Cresenz wird dem Bären schon wohl anstehen, sie hat sich als Witwe gut erhalten, ist mit ihren fünfunddreißig Jahren eine hübsche Frau, sauber und flink, sie versteht das Wirten und den Umgang mit den Leuten wie keine andere, hat einen tadellosen Ruf, kurz, ich meine, Ihr führt eine geschickte Frau ins Haus. Aber —«

      Der Garde stockte.

      »Aber?« — wiederholte der Presi.

      »Cresenz ist aus einem so großen Gasthof und an das Fremdenleben so gewöhnt, daß es ihr hier bei uns hinten, wo doch nur Bauern und Alpleute sind, langweilig wird.«

      Der Bärenwirt lachte: »Falsch, Garde, falsch! — Dafür ist gesorgt. Ein schönes Stück wird schon sein, Bini zu ziehen. Das Kind ist verwildert; denkt nur, gestern kam sie mir barfuß bis nach Tremis entgegen, es hat mich geschämt vor den Leuten. Ich habe keine Zeit, mich mit ihr abzugeben, die kropfige Susi, das Keifweib, wird nicht Herr über sie, fahre ich aber einmal mit einem Donnerwetter dazwischen, so schilt sie mich frank einen Rabenvater.«

      Die beiden Männer lachten herzlich — es schien, der Streit von vorhin sei in lauter Freundschaft aufgelöst.

      Da räusperte sich der Garde: »Haltet, wenn Ihr jetzt eine frische, hübsche Frau bekommt, nur die Beth selig in Ehren und gutem Andenken.«

      Das Gesicht des Bärenwirts verfinsterte sich.

      »Aber das gebt Ihr doch zu,« sagte er mürrisch, »Frau Cresenz wird eine bessere Wirtin als die arme selige Beth.«

      »Alle Leute im Dorf haben sie geliebt und verehrt, nur Ihr nicht. Sie war eine Frau wie ein Engel, sie hat nur das Unglück gehabt, da sie Euern hochfahrenden Plänen nicht hat folgen können und nicht hat wollen. Sie war eine, wie wir alle im Dorfe sind: einfach und fromm, stets auf den Frieden im Leben und die Seligkeit im Himmel bedacht, Ihr aber gleicht von jeher mehr den Leuten draußen in der Welt, hastig und unruhig seid Ihr immer voll Pläne, habt Ihr immer eine ganze Menge Dinge umzutreiben. Da wird Euch allerdings Cresenz besser verstehen als Beth!«

      Der Presi lächelte überlegen: »Handel und Wandel, mein' ich, giebt dem Leben das Salz und« — er klopfte dabei auf den Tisch — »mit Frau Cresenz wage ich es. Der Bären soll ein Fremdengasthof werden, ich nehm's mit dem Pfarrer und euch allen auf.«

      »Presi!« Das Blut war dem Garden in den Kopf geschossen. »Presi, das thut Ihr nicht!«

      »Ihr werdet's schon erleben.« Die Augen des Bärenwirtes blitzten übermütig und unternehmungslustig.

      »Der Pfarrer wird Euch von der Kanzel angreifen und alle werden mit ihm gegen Euch sein!«

      »Der hochwürdige Herr soll das Geistliche besorgen, das Weltliche besorgen wir schon.« Der Presi lachte und fuhr dann fort: »Ich will Euch verraten, warum er keine Fremden will. Es sind jetzt vierzig Jahre, daß er nach St. Peter gekommen ist. Da stieg über die Schneelücke herunter der erste Fremde, ein berühmter Naturforscher, der mit seinen Führern die Krone erklettert hatte. Die Leute von St. Peter erstaunten darüber so sehr, daß sie den Pfarrer riefen. 'Vielleicht sind's Gespenster!' sagte er und ordnete eine Prozession an, damit man ihnen entgegenziehe. Als der Bergsteiger, seine Führer und Träger kamen, spritzte er ihnen Weihwasser entgegen und schrie: 'Apage, apage, Satanas!' Auf dieses Zeichen trieben die von St. Peter die Fremden um das Dorf herum und jagten sie den Stutz abwärts. Glaubt, Garde, wegen der Schande von damals will der Pfarrer nichts von Fremden wissen, er fürchtet, die Geschichte, wegen der wir von St. Peter in den Büchern als ein rauhes und dummes Volk verschrieen sind, werde dadurch frisch!«

      Der Garde hatte sich beruhigt: »Der Pfarrer ist gegen den Fremdenverkehr, weil er von ihm das Verderben des Dorfes fürchtet. Er hat recht. In Grenseln, wo jetzt auch zwei Gasthöfe sind, hat erst diesen Frühling ein Mädchen, das im einen diente, ein Uneheliches bekommen. Denkt die Schande!«

      »Ja, aber die Forellen aus meiner Fischenz in der Glotter und den Hospeler aus meinen Bergen würde ich gern etwas besser verkaufen, als es bis jetzt geschehen ist.«

      »Werdet nicht zum Fluch von St. Peter, Presi, dafür hat Euch wahrlich die Gemeinde Euer Amt nicht gegeben. — Ich muß jetzt von etwas sprechen, wovon man eigentlich nicht reden soll, so wunderbar heilig ist es. Hat je eine Lawine das Dorf St. Peter getroffen? Nie! Und doch wohnen wir unter den Firnfeldern der Krone und sie hätten freien Weg.«

      »Ich weiß schon, wohin Ihr zielt, aber ich bin nicht abergläubisch; die armen Seelen kommen in die Hölle, nicht auf die Gletscher. Das sagt ja der Pfarrer selbst,« höhnte der Wirt, »der wird's wissen!«

      In diesem Augenblick schaute ein etwa fünfzehnjähriger Junge blöd durch die halbgeöffnete Thüre.

      »Nur hinein, Eusebi!« Lustig schob Binia den ungelenken schwächlichen Burschen mit beiden Händen vom Flur in die Stube.

      »Was willst, Eusebi?« fragte der Garde freundlich.

      »S—s—sollst h—h—heim—k—k—ommen, V—v—vater. Ei— ein R—rind ist k—k—kr—rank auf d—d—er Alp.«

      Der Stotterer schämte sich seines Uebels, er wußte nicht wohin blicken.

      »Sei nur ruhig, Eusebi, ich komme!« Der Garde stand auf und der Presi gab ihm bis auf die Freitreppe das Geleit.

      Dort säumten die Männer noch einen Augenblick.

      »Also wir müssen auf alles gefaßt sein, die Wildleutlaue kann jede Stunde gehen,« sagte der Presi ernst.

      [5] Wassertröstungen nennt man die Gemeindeversammlungen, in denen Beschlüsse über die Wasserleitungen gefaßt werden.

      »Das nicht, das nicht; über Seppi Blatter aber reden wir im Gemeinderat.«

      Die Männer schüttelten sich die Hände.

      »Nichts


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