Epistolare Narrationen. Margot Neger

Epistolare Narrationen - Margot Neger


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hortor, cum in urbem proxime veneris…illi te…permittas).8 Die Stadt Rom wird in Epist. 1,10 nicht nur als Ort, an dem die freien Künste erblühen, charakterisiert, sondern auch als Ort der negotia, die Plinius, der gerade das Amt des praefectus aerarii Saturni innezuhaben zu scheint,9 an einem intensiveren Kontakt mit Euphrates hindern (9: nam distringor officio ut maximo sic molestissimo). Somit ist die Stadt Rom im Briefkorpus auch ein symbolisch aufgeladener Raum10 der negotia, der den Villen bzw. secessus auf dem Land als otium-Raum gegenübersteht.11 Dies geht ex negativo etwa aus Epist. 9,6Plinius der JüngereEpist. 9.6 hervor, die beginnt mit den Worten omne hoc tempus inter pugillares ac libellos iucundissima quiete transmisi. ‘quemadmodum’ inquis, ‘in urbe potuisti?’ (1). Nur wegen der gerade stattfindenden Zirkusspiele (1: circenses erant), für die sich Plinius nicht im geringsten Maße zu interessieren vorgibt, ist literarisches otium in der Hauptstadt möglich.12

      Lediglich aus indirekten Anhaltspunkten lässt sich etwa in Epist. 2,3Plinius der JüngereEpist. 2.3 erschließen, dass Plinius seinen Brief von Rom aus sendet: Mit seinem Lob auf den Rhetor Isaeus bildet der Brief ein Pendant zu Epist. 1,1013 und variiert das Thema der in Rom florierenden Wissenschaften;14 auch hier fordert Plinius seinen Adressaten Nepos15 dazu auf, zu kommen, um Isaeus zu hören (8: proinde…veni!), wobei uns der Aufenthaltsort des Nepos vorenthalten wird. Eine Anekdote über einen Mann aus Gades, der einst ab ultimo orbe terrarum (8) gekommen sei, um Titus Livius „live“ zu erleben, und anschließend gleich wieder zurückkehrte, soll den Adressaten motivieren.16 In anderen Briefen wiederum wird die räumliche Distanz zwischen Plinius und seinen Adressaten nur durch deiktische Pronomen oder Adverbien wie hic und istic angedeutet (vgl. Epist. 8,17,1)Plinius der JüngereEpist. 8.17.1.

      Neben der räumlichen Dimension der brieflichen Kommunikation an sich sind noch die Räume zu berücksichtigen, die eine bestimmte Funktion im Text des Briefes erfüllen, etwa indem sie als Schauplatz einer Handlung dienen, wie z. B. der Senat oder das Zentumviralgericht in mehreren Prozess-Berichten,17 der Golf von Neapel in den beiden Vesuv-Briefen (6,16; 20Plinius der JüngereEpist. 6.16/20),18 Athen in der Gespenster-Geschichte in Epist. 7,27,5‒11Plinius der JüngereEpist. 7.27,19 die Kolonie Hippo in Afrika in Epist. 9,33Plinius der JüngereEpist. 9.33,20 Sizilien, Rom und Domitians Villa Albana in Epist. 4,11Plinius der JüngereEpist. 4.11 oder das Landgut des Larcius Macedo in Formiae sowie ein öffentliches Bad in Rom in Epist. 3,14Plinius der JüngereEpist. 3.14. In Epist. 7,27,2‒3 fungiert die Provinz Africa nicht nur als Schauplatz für eine unheimliche Begegnung sondern auch als Personifikation und somit handelnde Figur. Zusammenhängende Darstellungen von Räumen liefert Plinius insbesondere in seinen Villen-Ekphraseis (Epist. 2,17Plinius der JüngereEpist. 2.17/5.6; 5,6; 9,7Plinius der JüngereEpist. 9.7) und Natur-Beschreibungen (4,30; 8,8; 8,17; 8,20Plinius der JüngereEpist. 4.30/8.8/8.17/8.20; 9,33), wohingegen die Hinweise auf das räumliche Setting in Briefen, die eher handlungsorientiert sind, oft nur sehr kurz erfolgen. So ist in vielen narrativen Briefen der Fokus stärker auf die handelnden Charaktere, ihre Aussprüche und Gedanken als auf ihre räumliche Umgebung gerichtet, wie v.a. in solchen Erzählungen, die im Senat oder im Zentumviralgericht spielen. Räumliche Aspekte werden in diesen Prozess-Briefen etwa dann thematisiert, wenn Plinius von der großen Anzahl der Personen berichtet, die sich im Gerichtssaal drängen (Epist. 4,16Plinius der JüngereEpist. 4.16; 6,33Plinius der JüngereEpist. 6.33).21

      Überhaupt geht Plinius bei der Beschreibung von Orten, die außerhalb der Stadt Rom liegen, stärker ins Detail, während Rom selbst weniger in seiner Materialität durch topographische und architektonische Elemente als durch seine politischen und sozialen Institutionen wie Senat oder Zentumviralgericht und andere mit dem Bereich negotium verbundene Tätigkeiten evoziert wird. Die Darstellung der Stadt Rom durch Plinius erfolgt nach dem Muster, das Fuhrer, Mundt und Stenger (2015) am „Cityscaping“ in Kunst, Film und Literatur beobachten: „…for the most part all that is used is a selection of urban ‘props’, or reductions.“22 Der Epistolograph präsentiert uns lediglich Fragmente der Stadt, sozusagen „Räume im Raum“,23 was natürlich auch für andere Regionen und Orte innerhalb der Geographie der Briefsammlung zutrifft. Nur wenige Male finden wir explizite Erwähnungen der Topographie Roms, wie etwa der Basilika Julia (5,9,3)Plinius der JüngereEpist. 5.9.3, des Esquilin (3,21,5)Plinius der JüngereEpist. 3.21.5 und Palatin (1,13,3)Plinius der JüngereEpist. 1.13.3, der Säulenhalle der Livia (1,5,9)Plinius der JüngereEpist. 1.5.9, des Concordia-Tempels (5,1,9)Plinius der JüngereEpist. 5.1.9 und der Regia (4,11,6Plinius der JüngereEpist. 4.11.6).24 Im Zusammenhang mit Szenen im römischen Senat nennt Plinius zudem mehrmals die Curia Julia auf dem Forum Romanum als Versammlungsort des Gremiums (5,13,2Plinius der JüngereEpist. 5.13.2; 8,6,5Plinius der JüngereEpist. 8.6.5; 8,14,5.8Plinius der JüngereEpist. 8.14). Vergleicht man die Briefe des Plinius mit den Epigrammen seines älteren Zeitgenossen Martial, die häufig auf Roms Topographie rekurrieren,25 sticht die Sparsamkeit des Plinius in dieser Hinsicht noch deutlicher ins Auge. Es ist auch bezeichnend, dass Plinius in Epist. 3,21Plinius der JüngereEpist. 3.21, wo er Martials Epigramm 10,20[19]Martial10.20[19] auf ihn zitiert, die erste Hälfte dieses Gedichts mit der Wegbeschreibung zu seinem Haus auf dem Esquilin auslässt.26

      Betrachtet man die Räume, die im Briefkorpus explizit thematisiert werden, dann fällt auf, dass es sich beim ersten konkret genannten Ort um Comum handelt, wo Caninius Rufus, der Adressat der Epist. 1,3Plinius der JüngereEpist. 1.3, sein Landgut hat.27 Die Ekphrasis dieses locus amoenus erfolgt im Rahmen einer Reihe von durch quid eingeleiteten Fragen (1), die gleichsam einen imaginären Spaziergang durch das Anwesen nachzeichnen (1: Comum…suburbanum…porticus…platanon…euripus…lacus…gestatio…balineum…triclinia…cubicula), das von Plinius als Ort des otium und der studia charakterisiert wird (3‒4). Einen metaphorischen Spaziergang unternimmt Plinius auch in Epist. 1,2Plinius der JüngereEpist. 1.2 in einem stilistischen Zusammenhang, wo das Bild des Abschweifens vom Weg aufgrund von Annehmlichkeiten (4: paulum itinere decedere non intempestivis amoenitatibus) die Nachahmung des ciceronischen Redestils illustriert.28 Schließlich suggeriert die Nennung mehrerer Ortschaften in Epist. 1,4Plinius der JüngereEpist. 1.4 eine Reise an einen weiteren für Plinius wichtigen Ort der Muße: Der Epistolograph lobt die Landgüter seiner Schwiegermutter Pompeia Celerina in Ocriculum, Narnia, Carsulae und Perusia (1), die alle auf dem Weg nach Tifernum Tiberinum lagen, wo Plinius selbst seine Villa hatte29 – sie wird in diesem Brief allerdings nicht explizit erwähnt. Beim letzten Ort, den das Briefkorpus thematisiert, handelt es sich mit dem Laurentinum abermals um eine otium-Villa (9,40)Plinius der JüngereEpist. 9.40, wobei hier der zeitliche Aspekt im Vordergrund steht, wenn Plinius seinen Tagesablauf im Winter schildert.30 Während, wie zuvor betrachtet, Domitians Tod als zeitlicher Marker das Korpus der neun Briefbücher rahmt, sind es auf räumlicher Ebene Mußeorte, die Plinius an Anfang und Ende der Sammlung imaginiert. Dies erinnert an die literarische Praxis Ciceros, seine Dialoge an ähnlichen Mußeorten zu lokalisieren,31 und stellt möglicherweise eine bewusste Reminiszenz an das Vorbild Cicero und den Dialog als „Schwestergattung“ der Epistolographie dar.

      Unter den Ländern und Regionen, die eine Rolle in den Briefbüchern 1‒9 spielen – seien sie Schauplätze von Handlungen und Ereignissen, Gegenstand einer Beschreibung oder Aufenthaltsort der Briefpartner während der Kommunikation – hat zweifellos Italien die Spitzenstellung inne.32 Die Geographie der Episteln wird ergänzt durch Griechenland und einige griechische Inseln33 sowie die Provinzen Africa,34 Ägypten,35 Asia,36 Bithynien,37 Syrien,38 Gallia Narbonensis,39 Germanien,40 Spanien41 und Dakien.42 Lediglich einmal werden die Provinzen Illyricum, Pannonien und Sizilien erwähnt.43 Neben dem geographischen Raum der Briefe sind noch weitere Aspekte der Räumlichkeit zu berücksichtigen, wie etwa die Unterscheidung von Außen- und Innenräumen sowie die Funktion von Objekten bzw. Requisiten im Rahmen einer Narration. Auch lassen sich von Räumen, die als Schauplätze von Handlungen und Ereignissen fungieren („spaces“), solche unterscheiden, die in Träumen, Gedanken und Erinnerungen auftauchen („frames“).44 Im Folgenden seien die epistolaren Konstruktionen von Räumen sowie ihre Funktionen am Beispiel von Buch 5 der Plinius-Briefe betrachtet.

      2.3.1 Raumkonstruktionen in Buch 5

      Das


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