Epistolare Narrationen. Margot Neger
gravissimam feci…decessit Corellius Rufus…quod dolorem meum exulcerat; 7,30,1Plinius der JüngereEpist. 7.30.1: torqueor, quod discipulum…amisisti; 8,23,1Plinius der JüngereEpist. 8.23.1: …dolor, quem ex morte Iuni Aviti gravissimum cepi). Erfreut zeigt sich Plinius etwa über die Freundschaft zwischen Saturninus und Priscus (7,7,1Plinius der JüngereEpist. 7.7.1: …est enim mihi periucundum; 7,8,1Plinius der JüngereEpist. 7.8.1: exprimere non possum, quam iucundum est mihi), von Sehnsucht gequält präsentiert er sich in einem Brief an seine Gattin Calpurnia, die in Kampanien weilt (7,5,1Plinius der JüngereEpist. 7.5.1: incredibile est, quanto desiderio tui tenear). Eine Art Schadenfreude scheint der Sprecher in Epist. 1,5 gegenüber Regulus zu empfinden, der sich nach dem Tod Domitians ängstlich und kriecherisch verhält (1,5,1Plinius der JüngereEpist. 1.5.1: vidistine quemquam M. Regulo timidiorem, humiliorem post Domitiani mortem?). Verächtlich und zugleich verärgert zeigt sich Plinius, als er über die Ehreninschrift für Pallas, den Freigelassenen des Kaisers Claudius, berichtet (7,29,1Plinius der JüngereEpist. 7.29.1: ridebis, deinde indignaberis, deinde ridebis; vgl. 8,6).
In denjenigen Briefen, die stärker dem Prinzip des narrare verpflichtet sind und in denen handelnde Figuren auftreten, wird mitunter auf die Perspektive dieser Figuren fokalisiert – sei es, dass Plinius selbst als handelnde Person in Erscheinung tritt, sei es, dass andere Figuren betroffen sind. So schildert Plinius etwa in Epist. 2,11Plinius der JüngereEpist. 2.11.11 seinePlinius der JüngereEpist. 2.11.11 Aufregung vor seinem Auftritt als Redner vor Kaiser und Senat im Prozess gegen Marius Priscus (11): imaginare, quae sollicitudo nobis, qui metus…tunc me tamen ut nova omnia novo metu permovebant.14 In Epist. 9,13Plinius der JüngereEpist. 9.13 gewinnen wir Einblick in die Gedanken des Plinius vor der Anklage des Publicius Certus im Senat.15 Ein schlechter Traum sucht den jungen Plinius in Epist. 1,18Plinius der JüngereEpist. 1.18 vor einem Prozess heim, in dem er einen gewissen Iunius Pastor vertritt. In Epist. 1,5Plinius der JüngereEpist. 1.5 wird die Furcht des M. Aquilius Regulus vor Plinius nach dem Tode Domitians durch direkte und indirekte Rede zum Ausdruck gebracht.16 Der Brief 2,20Plinius der JüngereEpist. 2.20 wiederum charakterisiert Regulus als üblen Erbschleicher und gibt in diesem Zusammenhang dessen Gedanken und Überredungsversuche wieder. Epist. 6,16Plinius der JüngereEpist. 6.16 schildert die Beweggründe des älteren Plinius, den Vesuvausbruch näher zu untersuchen, zum Teil aus dessen Perspektive.17
Ein Mittel, durch das immer wieder stärker auf die Perspektive einer handelnden Figur fokalisiert wird und Plinius als Erzähler-Instanz in den Hintergrund tritt, ist das der indirekten und direkten Rede. Insbesondere die direkte Rede verleiht der Darstellung einen stärker mimetischen Charakter, und Plinius macht in mehreren seiner Briefe ausführlich davon Gebrauch, wenn er Dialoge zwischen handelnden Figuren, zu denen auch er selbst gehört, in einen epistolaren Rahmen integriert.18 Der Brief 1,5Plinius der JüngereEpist. 1.5 etwa enthält einen Wortwechsel zwischen Plinius und seinem Kontrahenten Regulus vor Gericht (5‒7), sowie weitere Dialoge zwischen Regulus und Spurinna (8), Plinius und Spurinna (9‒10) und abermals Plinius und Regulus (11‒14); die beiden Dialoge zwischen Plinius und Regulus stehen einander diametral gegenüber, der erste Wortwechsel spielt in der Zeit Domitians und illustriert die Gefährlichkeit des Regulus als Ankläger, der zweite fällt in die Zeit nach dem Tod des Kaisers und zeigt Regulus voll Angst vor dem Zorn des Plinius. Zudem werden in diesem Brief die mündlichen Reden durch Zitate aus Schriftstücken ergänzt, einmal aus einem liber des Regulus, wo dieser über Arulenus Rusticus herzieht (2: Stoicorum simiam…Vitelliana cicatrice stigmosum), und als Gegenstück dazu aus einem Brief des Mettius Modestus, der Regulus als omnium bipedum nequissimus bezeichnet (14).19
Besonders in Briefe, die über Prozesse berichten, streut Plinius häufig direkte Reden ein, insbesondere seine eigenen Worte, die seine rhetorische Schlagfertigkeit illustrieren: So etwa in Epist. 3,9Plinius der JüngereEpist. 3.9 über den Fall des Caecilius Classicus, wo Plinius neben einem Ausspruch der Baetiker (3: dedi malum et accepi) und einem virtuellen Dialog aus seiner Rede (21: dicet aliquis ‘iudicas ergo?’; ego vero non iudico, memini tamen me advocatum ex iudicibus datum) seine Antwort auf den Einwand eines Richters (25) sowie die Worte des Adressaten als Interlokutor (27) wiedergibt.20 Auch Epist. 5,1Plinius der JüngereEpist. 5.1, wo es um eine Erbschaft und einen Prozess vor dem Zentumviralgericht geht, ist durch mehrere direkte Reden angereichert, die vor allem Gespräche zwischen Plinius und dem von seiner Mutter enterbten Asudius Curianus betreffen, wobei wir hier in erster Linie die Worte des Plinius vernehmen (4‒6; 9‒10).21 In Epist. 7,6Plinius der JüngereEpist. 7.6 über die Verteidigung des Varenus gegen die Bithynier streut Plinius seinen Wortwechsel mit dem gegnerischen Anwalt Nigrinus ein, wobei hier in direkter Rede ausgerechnet die Gründe des Plinius, sich im Prozess in Schweigen zu hüllen, vorgetragen werden (4‒5). In den Brief über die Verhandlung des Varenus ist außerdem eine Digression über einen früheren Prozess eingelegt (8‒13), bei dem Plinius ebenfalls durch Schweigen triumphieren konnte. Auch diese Narration enthält neben einem Bonmot des Passienus Crispus (11) direkte Reden des Anwalts Iulius Africanus und des Plinius (11‒12).22 Wie ein kleines Gerichts-Drama liest sich auch Epist. 7,33Plinius der JüngereEpist. 7.33, wo Plinius von seinem gemeinsamen Auftritt mit Herennius Senecio gegen den Delator Baebius Massa während der Herrschaft Domitians berichtet: Auf einen Dialog des Senecio mit Plinius (4‒6) folgt ein Wortwechsel in indirekter Rede zwischen Plinius, Senecio und Massa, in dem Senecio von Massa wegen impietas belangt wird (7). Dies ruft allgemeines Entsetzen hervor, doch Plinius hebt sich davon durch eine schlagfertige Antwort ab, die im Brief wieder in direkter Rede erfolgt. Auch hier werden die mündlichen Figurenreden durch ein Zitat aus einem Schriftstück ergänzt, diesmal ist es der schon in anderem Zusammenhang erwähnte Brief Nervas (9).23 Dramatische Elemente weist auch Epist. 9,13Plinius der JüngereEpist. 9.13 auf, wo Plinius die Hintergründe zu seiner Rede De Helvidi ultione erläutert:24 Zunächst erfolgt ein Dialog des Plinius mit der Witwe des Helvidius, Anteia, die er über seinen Entschluss informiert, den Tod des Helvidius zu rächen (4‒5). Wir vernehmen hier lediglich die Worte des Plinius in direkter Rede, während Anteia stumm bleibt. Abgesehen von Plinius selbst kommen auch mehrere Senatoren in direkter Rede zu Wort, als Plinius im Senat andeutet, Publicius Certus belangen zu wollen und sich mit protestierenden Zwischenrufen konfrontiert sieht (7). Nach einem kurzen Dialog des Plinius mit dem Konsul (8‒9) treten mehrere Warner auf, die Plinius von seinem Vorhaben abzubringen versuchen (10‒12) – ihre Worte sowie die Antworten des Plinius stehen erneut in direkter Rede, auch ein Zitat aus der Aeneis gehört dazu.25 Aus der Diskussion während der Abstimmung über die Frage, ob eine Klage gegen Publicius Certus zugelassen werden soll (13‒17), gibt Plinius lediglich die Worte des Satrius Rufus wieder, der sich für Certus ausspricht (17). Nachdem Plinius seine Rede gehalten und alle auf seine Seite gezogen hat (18), versucht nur noch Veiento, ihm zu antworten, wird aber von den restlichen Senatoren übertönt – den Wortwechsel zwischen Veiento und dem Tribun Murena sowie das anschließende Homer-Zitat,26 mit dem Veiento seine Niederlage eingesteht, lesen wir in direkter Rede (19‒20). Am Ende seiner langen Narration zitiert sich der Autor und Erzähler Plinius abermals selbst, wenn er im Brief die Schlussworte seiner oratio einstreut (23).Plinius der JüngereEpist. 9.13
Es dürfte deutlich geworden sein, dass Plinius insbesondere in Briefen, die seine Leistungen als Anwalt und Redner ins Zentrum stellen, häufig seine eigenen Worte als handelnde Figur wiedergibt und somit seine rhetorischen Fähigkeiten nicht nur im narrativen, sondern auch mimetischen Modus inszeniert. Abgesehen vom Schauplatz Gericht gibt es noch andere Kontexte, in denen wir Plinius in direkter Rede sprechen hören: So etwa in Epist. 2,6Plinius der JüngereEpist. 2.6, wo er sich bei einer cena mit einem anderen Teilnehmer über die unterschiedliche Behandlung von Gästen je nach sozialem Status unterhält und seine eigenen, dem Prinzip der humanitas verpflichteten Gewohnheiten erläutert (3‒4).27 Seinen Dialog mit einem Vater und dessen Sohn aus Comum, der wegen Lehrermangels zum Studieren nach Mailand reisen muss, streut Plinius in Epist. 4,13Plinius der JüngereEpist. 4.13 an Tacitus ein (3‒9), wobei wir hauptsächlich ihn selbst sprechen hören, wenn er seine Beweggründe für die finanzielle Unterstützung bei der Anstellung von Lehrern in Comum ausführt.28 Im Rahmen dieser langen direkten Rede charakterisiert sich Plinius als Freund der Bildung und Wohltäter seiner Heimat. Mehrere direkte Reden enthält auch der Vesuv-Brief 6,20Plinius