Epistolare Narrationen. Margot Neger

Epistolare Narrationen - Margot Neger


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quam voles brevi epistula…scribe…; si erraro, longissimam para!). Analog zu einer Rede kann auch ein Brief dieser Logik zufolge besser überzeugen, je ausführlich er ist. Epist. 2,5Plinius der JüngereEpist. 2.5.13 ist ebenfalls einem rhetorischen Thema gewidmet, denn hier kommentiert Plinius eine Rede, die er seinem Adressaten zusammen mit dem Brief geschickt hat.65 Sein Schreiben beschließt Plinius mit der Feststellung, dass ihn die Freude an der Unterhaltung mit seinem Freund schon zu weit geführt habe (13: longius me provexit dulcedo quaedam tecum loquendi)66 und er nun eine Ende setzen werde, um den Brief nicht länger auszudehnen als die Rede (13: ne modum, quem etiam orationi adhibendum puto, in epistula excedam). Auch Epist. 4,5Plinius der JüngereEpist. 4.5.3‒4 gibt sich als Begleitschreiben zu einer Rede aus, deren Umfang es nicht gestatte, dass sich auch der Brief in die Länge ziehe (3: non sinit me longiore epistula praeloqui), da die Möglichkeit zur brevitas auch ihre Notwendigkeit mit sich bringe (4: oportet enim nos in hac certe, in qua possumus, breves esse). Ein Begleitbrief bringe zudem die Gefahr mit sich, dass er bei allzu großer Geschwätzigkeit die Neugier auf die oratio mindere (5,20,8Plinius der JüngereEpist. 5.20.8: ne gratiam novitatis et florem…epistulae loquacitate praecerpam).67 Wenn es sich noch dazu um Gedichte handle, dann sei eine lange Vorrede in Form eines Briefes ohnehin überflüssig (4,14,8Plinius der JüngereEpist. 4.14.8: nam longa praefatione vel excusare vel commendare ineptias ineptissimum est). Die Hintergründe zu seiner Rede De Helvidi ultione schildert Plinius in der langen Epistel 9,13Plinius der JüngereEpist. 9.13.26, an deren Ende er bemerkt, dass der Brief nun beinahe gleich umfangreich geworden sei wie die Rede selbst (26: habes epistulam, si modum epistulae cogites, libris, quos legisti, non minorem).68 In der didaktischen Epist. 7,9Plinius der JüngereEpist. 7.9.16 behauptet Plinius am Ende seiner Ausführungen, er habe den Brief bereits zu sehr ausgedehnt (16: immodice epistulam extendi) und dadurch seinem Adressaten wertvolle Studienzeit geraubt (16: ut…studendi tempus abstulerim). Der Empfänger kann wiederum selbst schuld daran sein, wenn der betreffende Brief etwas länger ausfällt, nachdem um die Darstellung eines bestimmten Sachverhalts gebeten worden ist (9,13,1Plinius der JüngereEpist. 9.13; 26: postulas, ut perscribam tibi…; sed imputabis tibi).69 Sowohl die Länge einer Rede als auch eines Briefes lässt sich mitunter durch die Größe bzw. Bedeutung des darin thematisierten Gegenstandes rechtfertigen – dies gilt etwa für die in Epist. 4,5Plinius der JüngereEpist. 4.5.4 beschriebene oratio (4: non tamen ultra causae amplitudinem), den Prozess-Bericht in Epist. 3,9Plinius der JüngereEpist. 3.9.27 (27: memento non esse epistulam longam, quae tot dies, tot cognitiones…complexa sit) oder die Villen-Ekphrasis in Epist. 5,6, dem längsten Brief innerhalb des Korpus (5,6,44Plinius der JüngereEpist. 5.6.44): non epistula, quae describit, sed villa, quae describitur, magna est.70 Abgesehen vom Thema sind auch Emotionen des Briefschreibers, wie z. B. Freude, mögliche Gründe für die Ausdehnung einer epistula (Epist. 5,14,7Plinius der JüngereEpist. 5.14.7: in infinitum epistulam extendam, si gaudio meo indulgeam).71 Es zeuge überdies von größter Zuneigung, wenn man von seinen Freunden lange Brief erwartet (9,2,5Plinius der JüngereEpist. 9.2.5: est enim summi amoris negare veniam brevibus epistulis amicorum).72

      Bisweilen lässt Plinius auch sein Gegenüber als interlocutor zu Wort kommen und sich über den Umfang eines Briefes beschweren; so etwa in der langen Epistel 3,9Plinius der JüngereEpist. 3.9.27 über den Prozess gegen Caecilius Classicus,73 wo folgende Leserreaktion inszeniert wird (27): Dices ‘non fuit tanti; quid enim mihi cum tam longa epistula?’ Durch die (antizipierte) direkte Rede des Adressaten verschwimmen die Grenzen zwischen Brief und Dialog; zudem konstruiert Plinius hier den Typus des „faulen“ Lesers, wie wir ihn insbesondere aus den Epigrammen Martials kennen.74 Auch dort stoßen wir häufig auf negative Reaktionen von Lesern,75 vor allem wenn sie es mit längeren Gedichten zu tun haben oder mit einer Vorrede konfrontiert werden. Plinius scheint in seinem Brief auf die Prosaepistel zu Martials Buch 2 anzuspielen, deren Adressat Decianus heftig gegen die Kombination von Epigrammbüchern mit Prosavorreden protestiert (Mart. 2 praef. 1Martial2 praef.: ‘Quid nobis’ inquis ‘cum epistola?’) und dadurch angeblich verhindert, dass der Brief zu lange wird (14‒15: Debebunt tibi si qui in hunc librum inciderint, quod ad primam paginam non lassi pervenient).76 Eine Variation des Motivs vom faulen Leser findet sich bei Plinius in Epist. 7,2Plinius der JüngereEpist. 7.2, deren Adressat zwar nicht so unwillig reagiert wie die zuvor betrachteten Charaktere – ganz im Gegenteil fordert er sogar die Schriften des Plinius zur Lektüre –, jedoch von so vielen Verpflichtungen eingenommen wird (7,2,1: adsiduis occupationibus impediri), dass Plinius ihm lieber nur kurze Briefe schreiben will (7,2,3: interim abunde est, si epistulae non sunt molestae; sunt autem, et ideo breviores erunt).

      Die in den Büchern 1‒9 gesammelten Briefe an verschiedene Adressaten bilden ein Konglomerat an unterschiedlichen Narrationen epistolarer Korrespondenz zwischen Plinius und seinen Zeitgenossen.77 Zwar sind uns, abgesehen von den Briefen Trajans in Buch 10, keine Antwortschreiben erhalten, doch verweist Plinius sehr oft am Beginn eines Briefes auf die vorausgehende Korrespondenz, deren Inhalt er häufig auch kurz paraphrasiert, oder er kündigt am Ende eine Fortsetzung des Briefwechsels an. So kann der Leser bei jedem Adressaten, dem er im Zuge der Lektüre begegnet, eine Geschichte der Interaktion zwischen Plinius und der betreffenden Figur rekonstruieren. Dies beginnt schon im allerersten BriefPlinius der JüngereEpist. 1.1 des Korpus, der mit den Worten frequenter hortatus es, ut epistulas…colligerem publicaremque beginnt (Epist. 1,1,1). Der Leser des ersten Buches taucht also in eine bereits laufende Konversation zwischen Plinius und Septicius Clarus78 ein, der Plinius schon oftmals (frequenter) aufgefordert haben soll, seine Briefe zu sammeln und zu publizieren. Das Adverb frequenter weist dabei nicht nur auf die Intensität der Kommunikation zwischen den beiden Briefpartnern hin, sondern dürfte zu Beginn des Werkes auch das literarische Programm der Briefsammlung ankündigen, indem es eine lateinische Übersetzung des griechischen πολλάκι liefert, das wir am Anfang des kallimacheischen Aitien-Prologs (Kall. fr. 1,1 Pf.)KallimachosAet. fr. 1.1‒3 Pf. finden.79 Während der hellenistische Dichter seine Aitia gegen Neider, die von den Telchinen verkörpert werden, verteidigen muss (fr. 1,1 Pf.: Πολλάκι μοι Τελχῖνες ἐπιτρύζουσιν ἀοιδῇ), ist bei Plinius das invidia-Motiv in einen Diskurs der Zustimmung und Ermunterung verwandelt. Der Epistolograph muss nicht erst gegen den Widerstand von Kritikern ankämpfen, sondern publiziert sein Werk nach mehrfacher Aufmunterung durch einen Freund. Der von Kallimachus geprägte recusatio-Topos, bei dem die poetische Kleinform mit dem ἓν ἄεισμα διηνεκές (fr. 1,3 Pf.) kontrastiert wird,80 findet sich in abgewandelter Form auch bei Plinius, der seine angeblich aufs Geratewohl und nicht chronologisch zusammengestellten Briefe von der Historiographie abgrenzt (Epist. 1,1,1)Plinius der JüngereEpist. 1.1: collegi non servato temporis ordine – neque enim historiam componebam –, sed ut quaeque in manus venerat. Gerade diese recusatio der Historiographie zu Beginn der Briefsammlung animiert den Leser dazu, über das Verhältnis der beiden Gattungen nachzudenken. So bemerkt Tzounakas (2007: 46‒7) in seiner Analyse von Epist. 1,1 treffend:

      „By drawing attention to the fact that his work differs from that of historiography only in that ist lacks chronological order, Pliny is implying that in all other aspects there is not much difference.“

      Plinius bietet mit seiner Briefsammlung also eine Art Alternativ-Projekt zu einem historiographischen Werk, und die Briefe erfüllen damit vielleicht eine ähnliche Funktion wie Ciceros Dialoge, die man Gildenhard (2013) zufolge als „Historiography Manqué“ lesen könne.81 Die Reflexionen über Briefsammlung und Historie in Plinius’ Epist. 1,1 berühren sich außerdem mit ähnlichen Aussagen in der zeitgenössischen Biographie und Buntschriftstellerei. So begegnen wir etwa in PlutarchsPlutarchAlex. 1 Alexander-Vita82 einer ganz ähnlichen Ankündigung, die auch in ihrem Wortlaut derjenigen bei Plinius verblüffend ähnlich ist (1): οὔτε γὰρ ἱστορίας γράφομεν ἀλλὰ βίους. Plutarch rechtfertigt sich am Beginn dieser Vita, dass er das Leben Alexanders nicht umfassend schildert und nicht alle militärischen Taten des berühmten Makedonen berücksichtigt, sondern vieles davon auslässt (1: ἐπιτέμνοντες


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