Ravenhurst. Sandra Bäumler

Ravenhurst - Sandra Bäumler


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Eleonore, ich habe Anne einen Zettel gegeben, auf dem meine neue Adresse steht. Es würde mich freuen, wenn Sie mir schreiben könnten, um mich auf dem Laufenden zu halten. Das würde mich besser schlafen lassen«, sagte er.

      »Ich verspreche es Ihnen, lieber Cummings«, erwiderte ich, konnte kaum noch die Tränen zurückhalten, die in meinen Augen brannten. Am liebsten wäre ich zu ihm gelaufen und hätte mich an ihn geklammert, um sein Fortgehen zu verhindern, doch stattdessen blieb ich stehen, angewurzelt wie eine knorrige, alte Eiche und bewahrte Haltung, wie man es von mir erwartete. »Leben Sie wohl, alter Freund.«

      »Passen Sie auf sich auf Lady Eleonore. Sie können mich jederzeit kontaktieren. Meine Adresse hat Anne, wie schon erwähnt.« Damit verließ er ebenfalls die Halle. Als befände ich mich unter Hypnose, starrte ich zur Tür. Nun lebten nur noch Anne und ich in dem großen Haus, das wir in sieben Tagen ebenfalls verlassen mussten. Die Gläubiger meines Vaters hatten Mister Spaulding vier Wochen Zeit gegeben, alle Angelegenheit zu regeln. Achtundzwanzig Tage, um die Welt aufzulösen, die bisher mein Leben gewesen war. Laut Spaulding wollte eine Firma diese Räumlichkeiten anmieten, die keine Bediensteten brauchte. Der neue Besitzer plante hierfür bereits Umbauten im großen Stil. Schon die Vorstellung, dass in diesem Haus, in dem ich geboren wurde und meine Eltern gestorben waren, wildfremde Menschen herumliefen, es nicht wertschätzten, alles herausrissen und es zu weiß Gott was machten, ließ mich verzweifeln. Zu meinem Unterkunftsproblem kamen noch die beruflichen Aussichten, die nicht gerade rosig erschienen. Meine Annonce, mittels derer ich eine Stellung als Gouvernante suchte, war bisher unbeantwortet geblieben. Wer wollte schon einer verarmten Adligen, deren Vater das ganze Vermögen verspielt hatte, die Erziehung der wertvollen Nachkommen anvertrauen? Auch sämtliche Heiratswillige die mir den Hof gemacht hatten, bevor der Skandal publik wurde, waren wie vom Erdboden verschluckt, nachdem sie von meiner finanziellen Situation erfahren hatten. Die grausame Wahrheit lautete, in sieben Tagen würde ich kein Zuhause mehr haben. Mir wurde schlecht, ich wankte. Anne stützte mich.

      »Sie sehen nicht gut aus. Vielleicht sollten Sie sich hinlegen«, schlug sie vor. In diesem Moment läutete jemand an der Vordertür.

      »Geht es wieder?« Anne sah mich besorgt an, ich nickte. Sie nahm ihre Hände von mir. »Ich werde die Tür öffnen.«

      »Nein, ich öffne selbst. Ich werde mich daran gewöhnen müssen.« Damit drückte ich ihr die Schatulle in die Hände und ging zur Tür, die ich aufmachte. Ein junger Mann stand davor, einfach gekleidet.

      »Tut mir leid, dass ich hier geläutet habe, aber an der Dienstbotenpforte hat keiner geöffnet. Ich habe einen Brief.« Er reichte mir das Schreiben, sah mich dabei erwartungsvoll an. Sicherlich hoffte er auf eine kleine Entlohnung.

      »Ich danke Ihnen«, erwiderte ich höflich. Mehr als Höflichkeit konnte ich dem armen Mann nicht bieten. Ich schloss die Tür, besah nachdenklich das Kuvert. Der Brief kam von Spaulding. Sogleich öffnete ich den Umschlag, der eine kurze Nachricht enthielt. Er lud mich für den morgigen Tag um neun Uhr vormittags in seine Kanzlei ein, weil er eine wichtige Angelegenheit mit mir besprechen wollte, wie er sich in dem Schreiben wage ausdrückte. Wahrscheinlich ging es wieder darum, wo ich in Zukunft leben sollte. Wenn ich ihm nicht bald einen Arbeitgeber präsentierte, würde ich zu meinem einzigen in Frage kommenden Verwandten, einem Vetter fünften Grades, der in Bristol lebte, ziehen müssen. Dort wäre ich dann die unliebsame Verwandte, die er mit durchfüttern musste, weil sie nicht in der Lage war selbst für sich zu sorgen.

      2. KAPITEL

      Anne begleitete mich zur Kanzlei. Ich hatte mich dazu entschlossen zu Fuß zu gehen. Mittels einer Droschke wäre der Weg leichter zu bewältigen gewesen, vor allem bei den eisigen Temperaturen, die London fest im Griff hatten. Aber wenn Geld knapp war, hieß die Devise laufen. Es lag nicht in meiner Natur, Spaulding um mehr Geld zu bitten als zwingend notwendig war. Daher brachen wir zeitig auf. In London waren um diese Stunde und Jahreszeit mehr Menschen unterwegs als ich gedacht hatte. Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen. Neben uns holperte lautstark ein Fuhrwerk über das schneematschbedeckte Kopfsteinpflaster.

      »Er hat nur etwas von einer wichtigen Angelegenheit geschrieben, mehr nicht«, erklärte ich Anne. Kleine Wölkchen kondensierten Atems verließen meinen Mund. Obwohl ich den dicksten Mantel angezogen hatte, musste ich unaufhörlich zittern. Nur mit Mühe konnte ich meine Zähne daran hindern zu klappern, und mein Hut war zwar modisch, bedeckte aber die Ohren nicht, in welchen ich jetzt schon kein Gefühl mehr besaß. Auf einen Schleier, wie man ihn üblicherweise aus Trauergründen vor dem Gesicht trug, hatte ich verzichtet.

      »Es zeugt nicht unbedingt von Höflichkeit, sein Gegenüber so im Unklaren zu lassen«, meinte Anne.

      »Er ist Anwalt, die sind in den seltensten Fällen höflich, wie ich in letzter Zeit feststellen musste«, erwiderte ich bitter. Der Geruch von frisch Gebackenem umwehte meine Nase, erinnerte mich an mein karges Frühstück. Mein Magen gab ein undamenhaftes Knurren von sich.

      »Sie haben zu wenig gegessen, wir sollten eine Kleinigkeit kaufen, bevor wir weitergehen.« Die immer freundliche und gutmütige Anne sprach mit einer Strenge in der Stimme, die ich ihr niemals zugetraut hatte.

      »Auf dem Rückweg werden wir uns etwas mitnehmen, versprochen. Jetzt kann ich nichts essen.«

      »Ich werde Sie daran erinnern. Wenn Sie mir umkippen, nützt das keinem etwas.«

      Ich blieb stehen, drehte mich zu Anne und umrahmte ihr Gesicht mit beiden Händen.

      »Meine liebe gute Anne, was würde ich nur ohne Sie tun?«, sagte ich. Sie umgriff meine Hände, zog sie von ihrem Kopf und hielt sie fest.

      »Sie sind stark und zusammen sind wir noch stärker, vergessen Sie das niemals.«

      »Niemals werde ich das vergessen, was Sie für mich getan haben.« Ich schluckte, Tränen quollen aus meinen Augen. Die eisige Luft kannte kein Erbarmen, biss sofort in meine feuchte Haut. Anne ließ meine Hände los, holte ein Tuch aus ihrem Mantelärmel und tupfte mein Gesicht trocken.

      »Sie wollen doch nicht verheult bei dem Anwalt ankommen«, sagte sie.

      »Nein das will ich nicht«, stimmte ich ihr zu und wir setzten den Weg fort.

      Nach über einer halben Stunde erreichten wir die Kanzlei. Zumindest hatte das Laufen dafür gesorgt, dass mir etwas wärmer geworden war. Nur an den Füßen fror ich noch immer, meine Zehen waren schon ganz taub. Wirklich, ich brauchte unbedingt dickeres Schuhwerk.

      Ich betätigte die Glocke, die sich neben dem Schild befand, auf dem der Schriftzug Kanzlei Spaulding, Forrester und Bowe in goldenen Lettern prangte. Ein junger Mann mit Habichtsnase öffnete uns. Er musterte die gefallene Adlige und ihre Zofe mit hochgezogenen Brauen und überheblichem Blick. Wenn ich mich richtig erinnerte, war seine Name Mason. Ich kannte ihn nur vom Sehen, hatte bisher noch nicht viel mit ihm gesprochen. Er war Spauldings Sekretär, Butler, eben Mädchen für alle Belange, so wie es schien.

      »Guten Tag, ich habe einen Termin bei Mister Spaulding«, sagte ich, worauf er nickte und zurücktrat. »Bitte, Lady Warrington.« Er deutete in Richtung Empfangshalle.

      Ich kam seiner Aufforderung nach, Anne folgte mir.

      »Warten Sie bitte in der Bibliothek«, er führte uns in den angesprochenen Raum, dessen Wände mit Büchern gefüllte Regale einnahmen. Vor einem Kamin, in dem ein Feuer brannte, stand eine kleine Sitzgruppe.

      »Dürfte ich Ihnen die Mäntel abnehmen«, sagte der Mann.

      »Natürlich«, erwiderte ich. Er half mir beim Auskleiden, anschließend kümmerte er sich um Anne.

      »Wünschen Sie Tee?«, fragte er, während er die Mäntel ordentlich über seinen Arm legte. Ich wollte ablehnen, aber Anne kam mir zuvor.

      »Das wäre wundervoll«, sagte sie.

      »Gerne. Bitte nehmen Sie doch Platz, Mister Spaulding wird bald hier sein.« Damit ging der Mann.

      »Sie wollten den Tee ablehnen, ist es nicht so? Dabei brauchen Sie


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