Arbeits- und Organisationspsychologie. Annette Kluge

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Arbeitsverausgabung die Akkordschraube angezogen wurde (die Produktionsziele wurden weiter hoch gesetzt) und sie somit um die Erhöhung ihres Verdienstes betrogen wurde. Wenn die Arbeiter/innen darauf mit »Bremsen« reagierten, war das in Taylors Augen zwar verständlich, aber für das Gesamtwohl sehr schädlich (Volpert, 1995). »Hat erst ein Arbeiter erlebt, dass der Lohn pro Stück zwei- oder dreimal herabgesetzt wurde als Folge davon, dass er angestrengter gearbeitet und seine tägliche Produktion erhöht hatte, so wird er wahrscheinlich jedes Verständnis für den Standpunkt des Arbeitgebers verlieren und den festen Vorsatz fassen, keine weiteren Lohnniedrigungen mehr zuzulassen, wenn er sie irgendwie durch Zurückhalten der Arbeit verhindern kann« (Taylor, 1913, reprint 1995, S. 23). Es brauchte daher eine gemeinsame Vorstellung darüber, was eine angemessene Tagesleistung bei einer bestimmten Arbeit ist.

      2. Diese Harmonie und das gemeinsame Verständnis entstehen nach Taylor durch das Vertrauen beider Seiten auf eine neue Wissenschaft, welche die Erfordernisse und Bedingungen der Arbeitstätigkeit unparteiisch und unanzweifelbar festlegt (Volpert, 1995).

      Für Taylor ist das ideale System ein Kraftsparsystem, bei dem mehr getan wird als beim »Bremsen« und der unterstellten Drückebergerei, und eine Leistung erzielt wird, bei der eine Verschwendung und Verausgabung von Arbeitskraft in Folge überflüssiger Bewegungen, ungeeigneter Werkzeuge u. ä. entfällt. Das System würde dementsprechend keine Antreiberei beinhalten und die von Taylor definierte Tagesleistung könne von einer geeigneten Person über lange Jahre ohne physische und psychische Schäden ausgeführt werden (Volpert, 1995). Zusammengefasst heißt das in Taylors Vorstellung: »Kostensenkung durch Steigerung der Arbeitsleistung ohne Erhöhung der Belastung« (Volpert, 1995, S. XXVIII).

      Die Methoden und Instrumente der wissenschaftlichen Betriebsführung beinhalten

      • die Festlegung jeder Arbeitstätigkeit hinsichtlich der Bewegungsfolge und des Zeitbedarfs als Ergebnis von Bewegungs- und Zeitstudien: »Die Leiter entwickeln ein System, eine Wissenschaft für jedes einzelne Arbeitselement, die an die Stelle der alten Faustregel-Methode tritt« (Taylor, 1913/1995, S. 38). Die Faustregel-Methoden wendeten die Arbeiter/innen auf der Basis ihrer Erfahrungen an (Kieser, 1999a).

      • das sorgfältige Auslesen und Anlernen der Arbeitenden unmittelbar am Arbeitsplatz: »Auf Grund eines wissenschaftlichen Studiums wählen sie die passendsten Leute aus, schulen sie, lehren sie und bilden sie weiter, anstatt, wie früher, den Arbeitern selbst die Wahl ihrer Tätigkeit und ihre Weiterbildung zu überlassen« (Taylor, 1913/1995, S. 38).

      • die Herstellung der Arbeitsmotivation und -zufriedenheit durch das System der Leistungsentlohnung (Volpert, 1995). »Der Durchschnittsarbeiter wir da zur größten eigenen Zufriedenheit wie zu der seines Arbeitgebers arbeiten, wenn er täglich eine bestimmte Arbeit, die ein richtiges Tagewerk für einen guten Arbeiter darstellt, zugewiesen bekommt. Dies gibt dem Arbeiter einen ›Maßstab‹, mit Hilfe dessen er selbst seinen Fortschritt feststellen kann, und dessen Einhaltung ihm die größte Genugtuung bietet« (Taylor, 1913, reprint 1995, S. 129). Es genügte nach Taylor (1913) aber nicht, das tägliche Pensum für jeden Arbeiter festzusetzen, sondern er müsse auch eine erhebliche Belohnung – eine Prämie – ausgezahlt bekommen, so oft er sein Pensum in der ihm zugemessenen Zeit erledigt, das sog. »Pensum und Bonus-System« (Taylor, 1913; Kieser 1999a).

      Für Taylor war die bewusste Leistungszurückhaltung der Arbeiter/innen (»das Bremsen«) der Antrieb vieler Überlegungen. Die Arbeiter/innen leisteten freiwillig weniger und verausgabten sich (zur Zielerreichung der Organisation) nicht und nähmen sogar größere Anstrengungen auf sich, um einen niedrigen Leistungsstandard durchzusetzen.

      Taylors Grundannahmen der wissenschaftlichen Betriebsführung können nach Greif (1995) durch die folgenden vier Prinzipien zusammengefasst werden:

      1. Die Teilung der Arbeitsaufgabe in einzelne Arbeitselemente, Analyse und Rationalisierung mit Hilfe von Zeit- und Bewegungsstudien.

      Für diese Studien sollte man laut Taylor (1913, reprint 1995, S. 126) zehn bis 15 in ihrer speziellen Arbeit besonders guten Arbeiter/innen auswählen und ihre Vorgehensweise bei der Ausführung der Tätigkeit analysieren. Im Fokus stünden hierbei die Reihenfolge und Dauer der einzelnen Arbeitsschritte sowie die dafür verwendeten Werkzeuge. Auf dieser Grundlage könne man ineffiziente Bewegungen beseitigen und sodann eine Abfolge der schnellsten und besten Bewegungen zusammenstellen.

      2. Auswahl und Schulung der bestgeeigneten Arbeitskräfte.

      Wenn Taylor eine angemessene Tagesleistung festlegte, so galt diese stets für den »first class man«, also für den-/diejenige/n, der/die für die jeweilige Arbeit gut geeignet war. Wer diese Tagesleistung trotz Anstrengung nicht erreichte, galt als nicht geeignet und war vom Arbeitsplatz zu entfernen (Volpert, 1995). Man würde für diese/n Arbeiter/in eine andere first class man-Tätigkeit finden und für jede/n Arbeiter/i würde sich eine solche finden lassen – davon war Taylor überzeugt (Volpert, 1995). War ein Arbeitsplatz mit einem first class man besetzt, so hatte diese/r seine/ihre Aufgabe durch das Befolgen von genauen Instruktionen zu erlernen: »Detailliertes Kommandieren ist so für Taylor der wesentliche Weg, in welchem das Wissen über die Arbeitstätigkeit in den Kopf des Arbeiters kommt.« (Volpert, 1995, S. XLII)

      3. Trennung von Kopf- und Handarbeit

      Das Management übernimmt die Planungs- und Überwachungsaufgaben, der/die Arbeiter/in die praktische Ausführung. »Arbeit und Verantwortung verteilen sich fast gleichmäßig auf Leitung und Arbeiter. Die Leitung nimmt alle Arbeit, für die sie sich besser eignet als der Arbeiter, auf ihre Schulter, während bisher fast die ganze Arbeit und der größte Teil der Verantwortung auf die Arbeiter gewälzt wurde« (Taylor, 1913/1995, S. 39). Dies führte allerdings dazu, dass in Taylors eigener »Musterfabrik« 45 Arbeiter/innen von 28 Angestellten überwacht und unterwiesen wurden (Greif, 1995; image Abb. 1.4)

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      4. Harmonie und herzliches Einvernehmen zwischen Fabrikbesitzern und Arbeiter/innen.

      Die Rationalisierungsmaßnahmen sollten beiden Seiten Vorteile bringen: höhere Löhne für die Beschäftigten und höhere Leistungen für die Arbeitgeber (Greif, 1995).

      Das alles erforderte allerdings im tayloristischen System die »erfolgreiche Anwendung fast aller übrigen Teile des Getriebes: wie z. B. ein Arbeitsverteilungsbureau, sorgfältige Zeitstudien, Normalisierung der Arbeitsmethoden und Werkzeuge, die Zerlegung jeder Arbeit in ihre Einzelbestandteile (Routingsystem), das Anlernen der Spezial(Funktions-)meister und Lehrer und in vielen Fällen Instruktionszettel, Rechenschieber etc.«(Taylor, 1913/1995, S. 130 ff).

      Taylor und Fayol heute: Lean Production, Total Quality Management und »Toyotismus«

      Die meisten Managementtheorien und Systeme der Betriebswirtschaftslehre in der klassischen Produktion beinhalten immer noch die Methoden und Verfahren der wissenschaftlichen Betriebsorganisation. Wenn Sie ein Smartphone besitzen, Sportschuhe tragen, Kleidungsstücke oder auch Fertigpizza kaufen, alle diese Produkte wurden in einer Fließfertigung hergestellt.

      Am Beispiel der Lean Production und des Total Quality Managements soll die Aktualität von Taylors Scientific Management im Folgenden aufgezeigt werden. Lean Production transferiert das tayloristische Prinzip der Optimierung der Arbeitsleistung des Einzelnen auf die Organisation der gesamten Unternehmung (Forza, 1996). Die Entwicklung vollzog sich von dem one best way der individuellen Leistung hin zu einem one best way des gesamten Produktionsprozesses. Lean Production integriert die komplexe Pluralität der produktiven Fertigungssegmente in einen synchronen Fluss (»synchronic flow«, Forza, 1996).

      Lean Production, auch Lean Thinking genannt (Wormack et al., 1990; Dahlgaard & Dahlgaard-Park, 2006; Bhamu & Singh Sangwan, 2014), hat seine Ursprünge in der »Philosophie« des Erreichens von Verbesserung auf dem ökonomischen


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