Arbeits- und Organisationspsychologie. Annette Kluge

Arbeits- und Organisationspsychologie - Annette Kluge


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»Entfremdung« von der Arbeit bzw. die Sinnentleerung, treten die Bedürfnisse nach sozialen Beziehungen in der Organisation an die Stelle der sinnerfüllten Arbeit (vor der industriellen Revolution).

      Die für die Human-Relations-Bewegung zentralen Hawthrone-Studien

      Das amerikanische National Research Council (NRC), die Rockefeller Foundation und die Harvard Business School initiierten 1923 ein Forschungsprogramm, in dem die Zusammenhänge zwischen der Arbeitsplatzbeleuchtung und der Arbeitsleistung untersucht werden sollten (Kieser, 1999c; Roethlisberger & Dickson, 1939). Einige Experimente fanden dazu ab 1924 in den Hawthorne-Werken der Western Electric Company) statt (eine sehr anschauliche Dokumentation der Havard Business School findet sich unter: http://www.library.hbs.edu/hc/hawthorne/intro.html#i) Es zeigte sich überraschenderweise nicht der vermutete positive Zusammenhang zwischen Beleuchtungsstärke und Arbeitsleistung. Dieser ausbleibende erhoffte Zusammenhang, der – wenn er auftrat – meist negativ war (bei geringerer Beleuchtungsstärke höhere Arbeitsleistung), wurde dabei zurückgeführt auf nicht kontrollierte »psychische Störfaktoren« (Kieser, 1999c). Diese Vermutung erhärtete sich, als in einem Experiment die Beleuchtungsstärke auf Mondlicht-Helligkeit abgesenkt wurde, die Arbeiter/innen aber produktiver als vor der Variation der Beleuchtung arbeiteten. Schummrige Beleuchtung würde sie weniger ermüden als helle, gaben die Arbeiterinnen zur Erklärung ab (Kieser, 1999c; Roethlisberger & Dickson, 1939).

      In einer anderen Versuchsgruppe wurde angekündigt, dass die Lichtstärke sukzessive gesteigert würde. Die Techniker schraubten allerdings im Beisein der Mitarbeiterinnen Leuchtmittel identischer Lichtstärke ein. Die Arbeiterinnen hatten den Eindruck, dass es heller wurde und arbeiteten dementsprechend mehr. Die Versuchsleiter kündigten dann an, die Lichtstärke nun wieder zu reduzieren, schraubten vor den Augen der Arbeiterinnen Leuchtmittel gleicher Lichtstärke ein, mit dem Resultat, dass die Arbeiterinnen weniger leisteten, da es ja nun nach Wahrnehmung der Arbeiterinnen dunkler und die Arbeit damit beschwerlicher wurde.

      Objektive Bedingungen und Arbeitsleistung haben somit nicht unbedingt einen direkten und klaren Zusammenhang, wie Taylor das noch postulierte. Diese Ergebnisse bestärkten die Experimentatoren vielmehr darin, dass psychische Faktoren und nicht nur rein physikalische Faktoren wie die Lichtstärke einen Einfluss auf die Arbeitsleistung haben (Kieser, 1999c; Miner, 2015).

      Es schlossen sich weitere Experimente an, in denen die vermuteten psychischen Variablen kontrolliert oder gezielt untersucht werden sollten. Zunächst wurde die Länge der Arbeitspausen und Arbeitstage untersucht (Arbeiterinnen im Relais Assembly Room, Phase I, image Abb. 1.5). Um vermutete psychische Einflussgrößen zu eliminieren, waren die Versuchsleiter angehalten, eine Beziehung gegenseitigen Vertrauens aufzubauen, sodass die Veränderungen in der Leistung nicht durch das Misstrauen der beobachteten Mitarbeiterinnen beeinflusst werden konnten. Vertrauen sollte dabei dadurch aufgebaut werden, dass die Pausenzeiten mit den Arbeiterinnen abgesprochen wurden. Im Fall von dennoch aufkommendem Misstrauen, sollte diesem mit einem kooperativen Führungsstil begegnet werden (Kieser, 1999b). Es war ein Beobachter anwesend, zu dessen Aufgaben es auch gehört, eine freundliche Beziehung zu den Mitarbeiterinnen herzustellen und aufrechtzuerhalten.

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      Beispiele der freundlichen Beziehung und des partizipativen Führungsstils (Kieser, 1999b, S. 110)

      Als man feststellte, dass die Mitarbeiterinnen sich zunehmend gegen die regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen wehrten, lud man sie im Anschluss an die nächsten darauffolgenden Untersuchungen zu einem gemütlichen Zusammensein mit den Angestellten des werksärztlichen Dienstes ein. In diesem ersten Treffen kam die Anregung, das nächste Treffen zusätzlich mit Kaffee, Kuchen und Eis zu gestalten.

      Die Versuchsleiter stimmten zu, sodass im Folgenden nach den Untersuchungen regelmäßig derartige Kuchenpartys organisiert wurden.

      Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen gehörte auch eine Änderung der Berechnung des Wochenlohns fünf Wochen nach Beginn des Experiments. Der Wochenlohn bemaß sich anschließend direkt an der Anzahl der von der Gruppe gefertigten Relais und nicht an der im Gesamtwerk erbrachten Leistung. Den Arbeiterinnen wurden zudem garantiert, dass sie mindestens so viel wie vorher verdienen würden.

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      Abb. 1.6: Die Hawthorne-Experimente, AZ = Arbeitszeiten, A = Arbeit

      Die Arbeit der Arbeiterinnen in diesem Experiment war einfacher im Vergleich zu den anderen Relaismontiererinnen, da weniger unterschiedliche Relais-Typen gefertigt werden mussten. Die Arbeiterinnen erhielten zudem ihr Mittagessen auf Kosten der Unternehmung, über deren Zusammenstellung sich die Versuchsleiter ebenfalls mit den Mitarbeiterinnen abstimmten.

      Im April 1928 wurde Elton Mayo, ein Psychologie-Professor der Harvard University, zur wissenschaftlichen Begleitung und vor allem zur Interpretation der Ergebnisse hinzugezogen. Nach zwei Jahren war der Output der Gruppe um durchschnittlich 30 % gestiegen. Jedoch waren auf Grund der zeitgleichen Variation vieler Variablen (Arbeitsinhalt, Pausenzeiten, Führungsstil) die Rückschlüsse nicht einfach zu ziehen.

      Die Versuchsleiter konzentrierten sich in ihrer Ursachenzuschreibung anschließend vor allem auf das Lohnsystem und den Führungsstil. Um diese Annahme zu prüfen, wurden zwei weitere Experimente durchgeführt (Relais-Montage Phase II und die Mica Splitting-Gruppe Phase III). Phase II verfolgte das Ziel, die Testraumsituation mit Ausnahme der Entlohnungsmethode zu reproduzieren. Phase III verfolgte das Ziel, die Testraumsituation zu reproduzieren aber ohne ein Gruppenentlohnungsmodell einzuführen. Phase II zeigte Erfolge in Bezug auf die Leistung (12,6 % Leistungsverbesserung) führte aber zu Neidreaktionen der anderen Arbeiterinnen, die das gleiche Entlohnungssystem ebenfalls einforderten. Die damit verbundenen Unruhen führten dazu, dass das Experiment abgebrochen wurde, was zu einem Abfall der Leistung auf 96 % der »Baseline« (wie man heute sagen würde) führte. Phase III führte zu einer Leistungssteigerung von durchschnittlich ca. 15 % über 14 Monate, danach sank die Leistung über 12 Monate ab, bis das Experiment auch wegen der Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Entlassungen schließlich beendet werden musste (Kieser, 1999b).

      Ein valider Schluss zu den Auswirkungen der experimentellen Variation der Phasen I-II war allerdings nicht möglich, da auch hier mehr Bedingungen variiert wurden als einer klaren Schlussfolgerung dienlich war. So erhielten die Arbeiterinnen aus Phase II vorher Einzelakkordlohn, die Mica Splitting-Gruppe führte eine ganz andere Tätigkeit aus. Dennoch »schlossen« die Experimentatoren, dass man die Leistungssteigerung aus Phase I von 30 % nur dann erreicht, wenn beide Variablen (Gruppenlohn und Führungsstil) gleichsam variiert werden (Kieser, 1999b).

      In Bezug auf den Einfluss des Führungsstils stelle man sich anschließend folgende Frage: Wie sollte man die Führungskräfte dazu befähigen, diesen, in den Experimenten praktizierten, förderlichen Führungsstil zu praktizieren? Mayo schlug vor, die Führungskräfte in nicht-direktiver Gesprächsführung zu trainieren, damit sie dann in der Lage wären, zuzuhören, Verständnis für die Mitarbeiter/innen zu entwickeln und sich damit auch in ihrem Führungsstil anzupassen. Es wurde in diesem Sinne ein Interviewprogramm initiiert, an dem viele von Mayo und seinen Mitarbeiter/innen geschulte Interviewer teilnahmen. Zwischen 1928 und 1930 wurden über 21.000 Interviews geführt, die durchschnittlich 90 min dauerten. Die Interviews dienten als Material für die Schulung von Führungskräften, da in ihnen ebenfalls die nicht direktive Gesprächsführung praktiziert wurde (Kieser 1999b). Interviewprogramme


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