Arbeits- und Organisationspsychologie. Annette Kluge

Arbeits- und Organisationspsychologie - Annette Kluge


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auch über E-Mail, Aktennotizen oder Formulare. Fragen und vor allem die getroffenen Entscheidungen sind schriftlich festzuhalten und müssen in Akten aufbewahrt werden. Damit entstehen eine Kontrollierbarkeit der Regeleinhaltung und ein kontinuierlicher Fortlauf der Geschäfte selbst bei einem Wechsel der Amtsinhaber/innen.

      Heutige Betrachtung der dysfunktionalen Wirkungen bürokratischer Strukturen

      Wie auch beim Taylorismus bilden sich in bürokratischen Verwaltungen dysfunktionale Wirkungen heraus. Aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht fallen z. B. Teufelskreise der Art, dass Versuche, Dysfunktionen zu beseitigen, diese ggf. noch verstärken, da weitere Regelungen eingeführt werden müssen, um Regelungen zu spezifizieren (Kieser, 1999c). Weitere Dysfunktionen (Merton, 1968) sind z. B. die unzureichende Flexibilität, eine Entpersönlichung der Beziehungen zwischen den Mitarbeiter/innen in der Verwaltung und den Bürger/innen und damit die Verschiebung der Aufmerksamkeit von den Zielen der Organisation auf die Regeln, die zum Selbstzweck werden. Eine effektive Bürokratie erfordert Verlässlichkeit und strikte Befolgung der Regeln. Eine absolute Regeltreue führt jedoch zu einer Umformung in absolute Werte. Die strikte Regelbefolgung verhindert damit eine rasche Anpassung des Systems an Bedingungen, die zum Zeitpunkt der Regeldefinition nicht vorgesehen waren und beinhaltet somit das Risiko der Ineffektivität.

      Weber heute: New Public Management

      Heute ist der/die Bürger/in nicht mehr Bittsteller/in, sondern »Kund/in«, und auch Verwaltungen mussten sich durch hohen Kostendruck der Städte und Gemeinden mit dem Thema Effizienz auseinandersetzen. Die Konzepte des New Public Management (NPM) entwickelten sich in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren (Gruening, 2001). Anders als beim Bürokratiemodell handelt es sich nicht um ein neues einheitliches Modell. NPM steht eher als Sammelbegriff für eine weltweite Reformbewegung von Staat und Verwaltung und der damit verbundenen Vielzahl von Reformelementen und Reformtrends (Proeller & Krause, 2016). Unter NPM werden solche Bestrebungen verstanden, die postulieren, dass der öffentliche Sektor so reorganisiert werden sollte, dass sein Management, das Berichtswesen (reporting) und das Finanzmanagement stärker an Wirtschaftsmethoden ausgerichtet und damit effizienter werden sollen (Dunleavy & Hood, 1994).

      Die zentralen Beschreibungsmerkmale sind nach Gruening (2001) als äußerer Einflussfaktor vorgenommene Budgetkürzungen und damit verbunden das Leistungsprinzip, Leistungs-Audits, Privatisierung von Angeboten (wie z. B. der Energiebetriebe oder der Müllabfuhr/Recyclingbetriebe), die Betrachtung der Bürger/innen als »Kund/innen«, eine Dezentralisation, strategische Planung und Management, das Prinzip des Wettbewerbs (z. B. zwischen Krankenhäusern), Leistungmessungen, »contracting out«, verbesserte Buchhaltung, Nutzung von Informationstechnologien und mehr Flexibilität.

      Die NPM-Bewegung lässt sich durch folgende Merkmale beschreiben:

      a) eine Markt- und Wettbewerbsorientierung,

      b) eine ziel- und ergebnisorientierte Steuerung (Outcome- und Outputorientierung),

      c) dezentrale Grundstrukturen und

      d) eine instrumentelle und verfahrensmäßige Orientierung am Unternehmensmodell und Wandel von der Binnenorientierung öffentlicher Verwaltungen hin zu Kund/innen- bzw. Bürger/innenorientierung (Proeller & Krause, 2016).

      Damit endet das Kapitel zur Industrialisierung, zum economic man und den Organisationstheorien und Verwaltungsleitlinien, die den Anfang des 20. Jhd. prägten und noch bis heute nachwirken. Wir wenden uns nun den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den 1920er und 1930er Jahren zu und den daraus resultierenden Theorien rund um das Menschenbild des »social man«.

      1.2.2 Der Zeitgeist der Human Relations-Bewegung (1920–1960)

      Die Hawthorne-Experimente als allgemein hin akzeptierter Startpunkt der Human Relations-Bewegung, starteten im Ursprung im Geiste der Methoden des Taylorismus, führten aber eher unbeabsichtigt zur Entdeckung der Bedeutung menschlicher Beziehung in der Arbeit (Kieser, 1999b). Mit den Methoden des Taylorismus sollte der Effekt der Beleuchtungsstärke auf die Arbeitsleistung gemessen werden – heraus kam allerdings die Entdeckung der sozialen Motive. Laut Kieser war die Bedeutung menschlicher Beziehung in der Arbeit auch schon vor der Human Relations-Bewegung bekannt und in der Unternehmensführung berücksichtigt; Die Hawthorne-Experimente lieftern jedoch eine Art von wissenschaftlich-fundierter Legitimation dieser Praxis (Kieser, 1999b), die im Zeitgeist der »wissenschaftlichen Betriebsführung« auf fruchtbaren Boden fiel.

      Die Human Relations-Bewegung versuchte zu korrigieren, was eine rein tayloristische Betriebsführung an Problemen aufwarf. Diese Probleme thematisierten auch bereits im 19. Jhd. die Arbeiterbewegung und die daraus hervorgegangenen Sozialdemokratie (Kieser, 1999b, 2014b). Weitere Probleme in den beginnenden 1920er Jahren waren eine hohe Fluktuation in den Betrieben, Qualitätsprobleme, eine spürbare Verknappung des Arbeitskräfteangebots, ein »Rückgang der Arbeitsfreude« und der »Zusammenbruch der Arbeitsmoral« (Management Zeitschrift, 1920). Die Verknappung des Arbeitskräfteangebots führt auch dazu, dass die Arbeiter/innen an Selbstbewusstsein gewannen und die Unternehmer die Vorteile einer hohen Mitarbeiter/innenbindung erkennen lies (heute würde man wahrscheinlich von Commitment sprechen, image Kap. 7).

      Gleichsam kam es nach dem ersten Weltkrieg zu einer starken Geldentwertung, sodass auch monetäre Anreize (die in der wissenschaftlichen Betriebsführung zentral verankert sind) ihren Anreizcharakter verloren.

      In den USA sahen sich viele Unternehmer in dieser Zeit mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert. In einer Manager Zeitschrift aus dem Jahr 1920 findet sich unter dem Titel »wie man den Bolschewismus bekämpft« die Beschreibung, dass der Zusammenbruch der Arbeitsmoral, die sie ihn die USA derzeit (also 1920) erleidet eine Gefahr für die gesamte Nation darstelle. Nur wenige wollten heute noch mehr arbeiten als absolut erforderlich. Es gäbe in Amerika eine gewisse Entschlossenheit, nicht mehr zu arbeiten oder zumindest so wenig wie irgendmöglich zu leisten. Das sei für die amerikanische Nation eine größere Gefahr als »die Roten« es jeweils sein könnten. Kieser (1999c) kommentiert, dass die Taylorisierung und Fordisierung wohl nicht zu der erhofften dauerhaften Disziplinierung der Arbeiter/innen geführt habe.

      Es entwickelt sich zu dieser Zeit ein anderes Bild von den Arbeiter/innen, welches ebenso eine andere Art der Führung erforderte. So wurde ein neuer Typ des Managers gefordert, der z. B. der Autorität würdig sein sollte, bereit sein müsse, Neues aufzunehmen und von den Mitarbeiter/innen zu lernen und ernstlich darauf bedacht sein sollte, seine Mitarbeiter/innen sich entfalten zu lassen (Kieser, 1999c/2014b). Dabei wurde betont, dass solche Führungsstile nicht angeboren seien, sondern erlernbar. Aus diesem neuen Denkansatz heraus entstanden neue Schulungsarten wie die Schulung von Dale Carnegie, dessen Bücher auch heute noch in hoher Zahl verkauft werden.

      Das sich damals entwickelnde Menschenbild des social man gilt als eine Reaktion auf die rationale, individuelle Nutzenorientierung des economic man (Kirchler et al., 2004). Der social man ist Mitglied eines sozialen Gefüges, hat soziale Bedürfnisse, welche auch am Arbeitsplatz befriedigt werden (sollen) und die »wichtiger« sind als monetäre Anreize (allein). Im Menschenbild des social man sind sozialpsychologische Annahmen der 1930er, 1940er und 1950er Jahre wiederzufinden. Es lässt sich folgendermaßen beschreiben:

      • Der arbeitende Mensch wird von sozialen Motiven geleitet, nicht (nur) von materieller Be- und Entlohnung.

      • Er/sie erhält seine Zugehörigkeit zur Organisation, seine/ihre Identität und den Willen zur Integration in die Organisationen durch seine/ihre sozialen Beziehungen.

      • Er/sie handelt eher nach informellen Regeln und Normen, die sich in einer informellen Gruppe herausgebildet haben, als nach dem offiziellen Kontrollsystem.

      • In dem Ausmaß, in dem die persönlichen Bedürfnisse am Arbeitsplatz befriedigt werden, reagiert er/sie auf die Erwartungen der Leitung.

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