Todesrunen. Corina C. Klengel

Todesrunen - Corina C. Klengel


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in unser Haus. Meine Brüder und ich bekamen nicht nur eine wundervolle Nanny, wir bekamen in Hedera eine Schwester, die beste Schwester, die man sich nur wünschen kann … meine Seelenschwester.«

      Tilla lauschte Astrids Worten, die so voller Liebe daherkamen. Ohne das Pathos der Trauer erzählte Astrid Anekdoten und kleine Begebenheiten, die Hedera besser darstellten, als es jede Beschreibung vermocht hätte. Es gelang es ihr sogar, die Gegensätze zwischen Tilla und ihrer Mutter so versöhnlich zu schildern, dass sich selbst in Tillas verquollene Augen ein Lächeln verlief. Hörte man Astrid zu, gerieten Tillas Rebellentum und Hederas gutmütige Ignoranz desselben geradezu zu einer ergötzlichen Geschichte, auf deren Fortsetzung man förmlich brannte. Astrid kam nun auf Hederas Arbeit zu sprechen. Sie erwähnte einige der Menschen, die gekommen waren, um ihr das letzte Geleit zu geben. Mit glänzenden Augen und ausgebreiteten Armen wünschte Astrid Hedera auf ihrem weiteren Weg, dass all die Liebe der Anwesenden sie begleiten möge.

      Tilla schaute sich leicht verunsichert um. Doch die Leute störten sich offenbar nicht an dem ungewöhnlichen Ende einer Trauerrede, die wirkte, als würde man eine Reisende mit besten Wünschen auf seine langersehnte Tour schicken. Die, die gekommen waren, wussten, wer und was Hedera gewesen war. Dass einige Trauergäste aufgeschnittene Äpfel nach vorne streckten, das Zeichen der Wicca, während sie Astrids Wunsch wiederholten, empfand Tilla als wohltuend. Sie trat nach vorn und nahm Äpfel sowie liebevolle Blicke entgegen. Es sollte für lange Zeit das letzte Mal sein, dass Tilla von so viel Toleranz gegenüber ihrem glaubensbedingten Anderssein umgeben war.

      Kapitel 8

      Die Druiden benutzten die Schrift, um die Ewigkeit zu beeinflussen. Obwohl die Schrift einen magischen Aspekt hatte, war den Kelten das gesprochene Wort am wichtigsten.

      – Jean Makale 238 –

      Tilla stand vor Empörung der Mund offen, als die Staatsanwältin mit theaterreifem Timbre und wohldosierten Gesten aus den E-Mails vorlas, die Tilla seinerzeit an Nina geschickt hatte. Die Zitate waren aus dem Zusammenhang gerissen und beschworen ein so unheilvolles Bild herauf, dass Tilla zu einer religiös verklärten Terroristin mutierte, bevor die Verhandlung richtig begonnen hatte.

      Belästigung und Bedrohung einer Minderjährigen lautete die Anklage, in deren Verlesung die Staatsanwältin Begriffe wie Stalking, Sektierertum und den Verdacht der Förderung von Prostitution einer Minderjährigen zwischen die spröden Paragraphenreihen eingearbeitet hatte. Natürlich hatte Tilla in der für sie so typisch temperamentvollen Art sofort zu einem energischen Protest angesetzt, woraufhin Dr. Bleibtreu jene unseligen E-Mails hervorgezogen hatte. Die Staatsanwältin drehte sich nun um und ließ die Prozessakte mit den Mails auf den Tisch fallen, als ekele sie sich davor.

      »Haben Sie das geschrieben?«, fragte sie und bedachte Tilla mit einem vernichtenden Blick.

      Genau in diesem Moment verstand Tilla, warum keltische Druiden dem geschriebenen Wort nicht trauten. Unschlüssig irrte ihr Blick zwischen der Staatsanwältin und dem unbeugsam dreinschauenden Richter hin und her. »Ja schon … aber nicht so, die Zitate sind völlig aus dem …«

      »Ah«, fiel Dr. Bleibtreu ihr ins Wort. »Und dann wollen Sie immer noch behaupten, Sie hätten der Tochter meines geschätzten Kollegen Dr. Achim von Steinfeld nicht schaden wollen?«

      Tilla erstarrte förmlich, wobei Zorn und Verwirrtheit sich die Waage hielten. »Ich würde Nina nie schaden!«

      »Gut«, ließ Richter Konrad Jürgens in sonorem Bass hören. Er schenkte seiner Kollegin von der Anklage ein zufriedenes Nicken. »Vielen Dank, Frau Staatsanwältin. Die Angeklagte bestreitet offenbar sämtliche Vorwürfe und ich denke, dann können wir auch mit der Beweisaufnahme und der Zeugenvernehmung beginnen.«

      Die Haartracht des Richters erinnerte wegen der Stirnfransen an die römischer Imperatoren. Ein paar Mal bildete sich Tilla tatsächlich ein, er würde mit einem plötzlichen Hochziehen der linken Schulter und rascher Bewegung der linken Hand eine unsichtbare Toga zurückwerfen.

      Tilla wechselte einen zornigen Blick mit Peter Ehlers. Auch er war am Morgen zuversichtlich in diesen Gerichtssaal gekommen. Nun verdüsterte sich sein Blick zusehends.

      »Die Geschädigte, Nina von Steinfels, wird als Jugendliche später allein im Richterzimmer vernommen werden. Ich rufe Dr. Achim von Steinfels auf«, tönte der Richter in ein Mikrofon.

      Tillas Expartner betrat den Saal mit beschwingtem Schritt, um am Zeugentisch Platz zu nehmen. Während Richter Jürgens seine Belehrungsformeln herunterleierte, die von Steinfels natürlich bestens bekannt waren, beobachtete Tilla ihn. Über seine zur Schau getragene Mischung von anbetender Bewunderung für den Richter, dem hochachtungsvollen Nicken, das sich an die Staatsanwältin richtete, und seiner rechtschaffenen Zufriedenheit wunderte sie sich nicht im Mindesten. Hier geschah alles in seinem Sinne.

      »Herr von Steinfels, bitte erzählen Sie uns doch, wie Sie die Lebensgemeinschaft mit Frau Leinwig erlebten«, bat die Staatsanwältin und schenkte dem Zeugen ein strahlendes Lächeln.

      »Lebensgemeinschaft, nun ja, das Wort Gemeinschaft scheint Frau Leinwig doch so ganz anders zu interpretieren als sonst in unserer Gesellschaft üblich. Sagen wir es mal so: Ich hatte zuweilen den Eindruck, dass der Freundeskreis meiner Expartnerin eine Kleinstadt zu füllen vermochte.«

      Heiterkeit brandete auf und Tilla schlug die Hände vor das Gesicht, um ihre Umwelt vor den Unflätigkeiten zu schützen, die ihr zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervorquollen. Als wäre sie gar nicht anwesend, erörterten ihr Expartner, die Staatsanwältin und der Richter in geschäftsmäßigem Ton Tillas angebliche Liebschaften und sexuelle Fehltritte unter dem Aspekt der schädigenden Auswirkungen auf Ninas Seelenleben. Dem argumentierte ausgerechnet Peter Ehlers, ihr Exliebhaber, nach besten Kräften entgegen, ohne jedoch etwas ausrichten zu können. Geschickt ließ Achim von Steinfels Schlagworte wie ausuferndes Sexualverhalten und Hexenrituale in seine Rede einfließen, dass sie in den Köpfen der Anwesenden eine untrennbare Einheit ergaben. Tilla fragte sich sogar einen Augenblick lang selbst, ob sie eine völlig entfesselte Nymphomanin war. Ihre glaubensbedingte Zuwendung zu Gefühlen brachte es tatsächlich mit sich, dass eine als angenehm empfundene Zweisamkeit recht oft und zuweilen auch etwas übermütig körperliche Nähe erreichte. Als Altgläubige war Tilla die aus dem Christentum resultierende Prüderie völlig fremd. Aber war sie deswegen gleich ein sexsüchtiges Monster, vor dem man ein junges Mädchen wie Nina schützen musste? Mit mühsam verhaltenem Zorn beobachtete Tilla das Trio infernal. Die kühle Staatsanwältin und der Richter waren ein eingespieltes Team, und Achim fügte sich ein, als arbeiteten die drei eine perfekt choreographierte Drehbuchszene ab. Tilla fluchte leise. Natürlich. Wieso wurde ihr jetzt erst klar, dass sich ihr Expartner, diese inquisitorische Schnepfe und dieser Richter kannten, vermutlich gut kannten. Ernüchtert stellte sie fest, hier war alles verloren. Würde sie womöglich im Gefängnis landen?

      Tilla war in diesen Gerichtssaal gekommen, um ein Missverständnis aufzuklären. Doch nun reihte man Vergehen über Vergehen aneinander und machte sie zu einer sexsüchtigen, emotional unausgereiften Sektiererin. Ihr Glaube wurde gerade zu ihrem Untergang.

      »Frau Leinwig, Sie haben die schweren Vorwürfe von Seiten des Antragstellers gehört. Was sagen Sie dazu?«, tönte es kühl vom Richtertisch.

      »Ich weiß gar nicht, was ich zu diesem Blödsinn sagen soll! Ich habe Achim abserviert und bekomme hier eine Retourkutsche«, ereiferte sich Tilla.

      Die Staatsanwältin hob die Brauen, warf ostentativ einen Blick in ihre Unterlagen und bemerkte süffisant: »Sie sind abserviert worden, Frau Leinwig. Es ist wohl eher Ihr Vergehen, das eine Retourkutsche darstellt.«

      »Das stimmt nicht!«, hielt Tilla zornig dagegen.

      »Frau Leinwig, keiner der hier Anwesenden ist taub«, maßregelte sie Richter Jürgens streng und verlangte dann: »Dann erklären Sie uns doch einfach mal, was Altgläubige so tun. Aber in einem gemäßigten Ton, wenn ich bitten darf!«

      Tilla atmete einmal tief durch, fing


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