Todesrunen. Corina C. Klengel

Todesrunen - Corina C. Klengel


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die keltische Kultur zurück.«

      Peter Ehlers griff nach einigen bedruckten Dokumenten. »Herr Vorsitzender, darf ich mir an dieser Stelle erlauben zu erwähnen, dass der sogenannte ›alte Glaube‹ mittlerweile als Religion anerkannt wird. In den USA erfährt der Wicca-Glaube sogar beachtlichen Zulauf. Ich habe hier einige, dies belegende Quellen, die …«

      »In Amerika, ja?«, unterbrach ihn der Richter. »Wo Darwins Evolutionslehre abgelehnt wird und wo sich Anhänger der Scientology-Sekte in Talk-Shows verbreiten?« Natürlich erntete er beflissene Heiterkeit. Selbst gegen das Kichern über seinen gelungenen Witz kämpfend, gluckste Richter Konrad Jürgens: »Verzeihen Sie mir diese Auflockerung, werter Kollege Ehlers. Ich wollte Ihnen damit nur deutlich machen, dass wir in Deutschland andere Maßstäbe setzen als unsere Cowboyfreunde jenseits des Großen Teiches.« Dann wandte er sich wieder Tilla zu. »Frau Leinwig, im Zuge der Beweisaufnahme muss geklärt werden, ob ihr Glaube eine schädigende Auswirkung auf Nina von Steinfels gehabt hat. Also beschreiben Sie uns Ihren Glauben!«

      Tilla bemühte sich, ihre Stimme auf eine tiefere Frequenz zu bringen, um ihre brodelnde Wut zu übertünchen.

      »Altgläubige streben danach, rechtschaffene, gute Menschen zu werden. Unsere Religion praktizieren wir im Gegensatz zu der von Ihnen erwähnten Scientology-Sekte im Stillen. Wir benötigen keine Vermittler zu unseren … zu unserem Gott.« Bewusst umschiffte Tilla den Umstand, dass Altgläubige noch an ein Konglomerat verschiedenster Götter glaubten, ein Umstand, der von der christlichen Kirche so gar nicht akzeptiert wurde. »Wir haben also keinen Pastor und dementsprechend keine Kirchenhierarchie, die sich mit der Verbreitung des Glaubens beschäftigt. Wir missionieren nicht. Hin und wieder gehen auch wir Altgläubigen in eine christliche Kirche und suchen dort Inspiration, doch die meisten von uns finden diese eher in der Natur, denn unser Glaube ist an die alte Naturreligion angelehnt«, erklärte Tilla mit mühsam gleichförmig gehaltener Stimme.

      »Sie beten also in der Natur?«, fragte Staatsanwältin Bleibtreu in unschuldigem Ton.

      »Ja, ich persönlich gehe am liebsten in den Wald, an einen einzelnen Felsen, einen See oder an einen anderen schönen Ort, an dem ich die Natur und Jahreszeiten deutlich spüren kann.«

      »Nackt?«, fragte Dr. Bleibtreu, wobei ihr wohlgeformter Mund vor Vergnügen darüber zuckte, dass Tilla ihr in die Falle gegangen war.

      Tilla sog scharf die Luft ein. »Nein, natürlich nicht, ich …«

      »Aber es gibt Altgläubige, die ihre Zeremonien nackt durchführen?«

      »Ja schon, aber …«

      »Gibt es auch männliche Altgläubige?«

      »Ja …«

      »Und die beten auch nackt?«

      »So was kommt vor, aber …«

      »Sind Sie bei ihren Öko-Bet-Aktionen immer allein? Oder gesellen sich auch andere Neuzeithexen und Hexer dazu?« Letzteres betonte Staatsanwältin Bleibtreu in besonders abfälligem Ton.

      Dieses Mal erkannte Tilla die Falle und sprang auf. »Verdammt noch mal …«, begann sie aufgebracht, doch Peter Ehlers fasste Tilla am Arm.

      »Verehrte Frau Kollegin«, sagte er an die Staatsanwältin gewandt, »Ihr polemischer und provokanter Fragestil ist vielleicht bei dem Verhör eines Schwerverbrechers angebracht, doch hier sind wir in einer Gerichtsverhandlung. Behalten Sie diesen vorverurteilenden Fragestil bei, so werden wir uns in der nächsten Instanz wiedersehen!«

      Die Staatsanwältin verzog deutlich ernüchtert den Mund. »Ich werde meine Frage umformulieren. Frau Leinwig, haben Sie Nina von Steinfels je zu einem Ihrer Rituale mitgenommen?«

      »Nein.«

      »Aber Sie sind viel mit ihr spazieren gegangen?«

      »Ja ... angezogen«, knurrte Tilla und rief damit ein Kichern bei den Zuschauern hervor.

      Die Staatsanwältin zeigte sich dagegen unbeeindruckt. »Ich hörte, dass jeder Besuch in der Natur für Sie etwas Religiöses hat?«

      Zögernd gab Tilla zu: »Ja, schon … «

      Tilla wurde nun von der zur Hochform auflaufenden Staatsanwältin gefragt, ob sie einer Wicca-Vereinigung angehörte, wo dieser Coven praktizierte, wer ihm angehörte und ob Nina Kontakt zu diesen Personen gehabt habe. Tilla funkelte die Staatsanwältin böse an und schüttelte in einem fort den Kopf, bis es aus ihr herausbrach.

      »Heilige Göttin! Nicht jede Altgläubige ist in einem Coven. Nina hatte nie Kontakt zu anderen Altgläubigen.« Böse blitzte sie die Staatsanwältin an und schob trotzig hinterher: »Und wenn, dann hätte es ihr nicht geschadet.«

      »Ach, tatsächlich?« Die Staatsanwältin drehte sich so vehement zu Tilla um, dass ihre Robe sie wie einen unheilvollen Geist umwehte. »Angehörige der Wicca nennen sich Hexen. Hexen sind also völlig ungefährlich?«

      »Hexen schaden niemandem«, fauchte Tilla und fügte sarkastisch hinzu: »Ich hoffe, Ihre Mutter hat Ihnen nicht zu viel von den Grimm’schen Märchen vorgelesen. Was da drin steht, ist Mist!«

      »Wie interessant«, antwortete Staatsanwältin Bleibtreu ungerührt. »Und Sie praktizieren Ihren Glauben im Stillen? Wissen Sie, ich hege ein gewaltiges Maß an Misstrauen gegenüber Glaubensvereinigungen, die im Stillen, also fernab staatlicher Kontrolle praktizieren. Damit folge ich nicht etwa den Ausführungen der Gebrüder Grimm – übrigens geschätzte Juristenkollegen von mir, sondern den neusten Einschätzungen des Bundeskriminalamtes, das gerade zurzeit ziemlich schlecht auf religiöse Fanatiker zu sprechen ist …«

      »Frau Dr. Bleibtreu! Ermüden Sie uns nicht mit Ihren Ansichten, die nichts zur Sache beitragen«, wetterte Peter Ehlers. »Meine Mandantin ist keine religiöse Fanatikerin. Sie hängt lediglich einem weniger verbreiteten Glauben an. Einem Glauben, der übrigens länger in dieser Region verwurzelt ist als das Christentum.«

      »Im Gegensatz zu Ihnen, werter Kollege Ehlers, halte ich die Wiccaner für eine moderne Sekte, die keinesfalls harmlos ist«, zischte die Staatsanwältin zurück.

      »Ich bitte Sie, Frau Kollegin«, ließ Peter Ehlers deutlich abfällig hören. »Eine sektiererische Vereinigung zeichnet sich durch eine pyramidenförmige Hierarchie mit einem strengen Sanktionssystem gegenüber Kritik aus den eigenen Reihen aus. Die meisten Altgläubigen beten allein, und selbst ein Wicca-Coven beinhaltet keines dieser Merkmale.«

      Bevor die Staatsanwältin etwas entgegnen konnte, mahnte Richter Jürgens: »Vielleicht sollten wir an dieser Stelle etwas mehr Sachlichkeit in diesen Gerichtssaal zurückbringen und erörtern, was Wicca eigentlich bedeutet.«

      Als seien diese Worte ein Einsatzzeichen für die Staatsanwältin gewesen, hob diese nun zu einer ausführlichen Erklärung an. Ihr diskreditierender Vortrag über Wicca und Neuzeithexen überschritt bei Tilla das Maß des Erträglichen.

      Vehement sprang sie auf die Beine und brüllte durch den Saal: »Ihr Pseudo-Wissen über Altgläubige strotzt geradezu vor Lücken, Ungenauigkeiten und schlichtem Schwachsinn!«

      Jegliches Geräusch erstarb.

      Richter Jürgens donnerte in die Stille hinein: »Frau Leinwig! Wagen Sie es noch einmal, ungefragt das Wort zu erheben, werde ich ein Ordnungsgeld gegen Sie verhängen, das ganz schnell zu einer Ordnungshaft werden kann!«

      Tilla holte schon Luft für eine weitere Verbalattacke, als Peter Ehlers sie nachdrücklich am Arm fasste und auf ihren Stuhl zurückzwang.

      Ungerührt schulmeisterte die Staatsanwältin weiter. »In einem Coven kommen dreizehn Hexen zusammen. Eine von ihnen ist die Anführerin. Ein Coven unterliegt der Allmacht der Priesterin.« Sie zeigte Tilla ein spitzes Lächeln. »Nach Ihren Worten brauchen die Altgläubigen keinen Pastor, weil sie Hierarchien ablehnen, Frau Leinwig. Sind Hierarchien in Ihrem Wortschatz etwas anderes?«

      Tilla biss die Zähne aufeinander. Ihre Antwort glich einem mäßig unterdrückten Knurren. »Einem Coven treten Altgläubige bei, die sich etwas mehr Struktur, aber auch Gesellschaft


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