Träume von Freiheit - Ferner Horizont. Silke Böschen

Träume von Freiheit - Ferner Horizont - Silke Böschen


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vom Salon der Méry Laurent, in dem Dichter und auch Maler verkehrten. Sie wolle damit eine Stätte schaffen, erklärte die Französin, wo sich die verschiedenen künstlerischen Bereiche gegenseitig befruchten könnten. Ab und zu sei sie selbst noch auf Tournee. Doch sie würde zunehmend in Paris verlangt.

      »Von Mr. Evans, nehme ich an«, bemerkte Clara Jenkins knapp.

      Méry Laurent lächelte und warf ihre Locken zurück. »Ja, was wäre ich ohne Thomas?«, antwortete sie. »Er ist ein wahrer Gentleman. Und ein großartiger Arzt! Wussten Sie, dass er seit Neuestem die russische Zarenfamilie behandelt?«

      Newell Jenkins nickte beeindruckt. »Ein herausragender Kollege. In jeder Hinsicht.«

      Henri saß schweigend vor einem großen Krug Bier. Als er versuchte, die Runde zu einem deutschen Schnaps zu überreden, blieb er erfolglos. So trank er das Kirschwasser allein.

      »Stört es Sie, wenn ich rauche?«, fragte Méry.

      Clara Jenkins hüstelte, wurde aber überhört. Florence begann in ihrem Beutel nach ihrer eigenen Zigarettenspitze zu suchen. Wenn diese Dame rauchte, durfte sie es ebenfalls.

      Henri beobachtete sie. »Muss das sein?«

      »Ja, eine Zigarette wirst du mir doch wohl gönnen?«

      »Hattest du nicht vorhin noch über Migräne geklagt?«

      »Die Kopfschmerzen sind abgeklungen. Ich denke, es war der Schreck wegen der Schlange vor meinem Gesicht«, entgegnete sie schnippisch.

      »Dank Thomas verstehe ich ein bisschen Englisch. Ich muss mich vielmals entschuldigen«, sagte Méry und legte eine Hand auf Florence’ Arm. Ein prächtiger Diamant funkelte mit dem passenden Armband um die Wette. »Es tut mir so leid. Das wollte ich nicht. Ihr Mann hatte so eine kleine Andeutung gemacht, und ich dachte mir nichts dabei!«

      Florence lachte auf. »Ach, eigentlich ist es eine tolle Geschichte. Die kann ich morgen meinem Sohn erzählen. Aug in Aug mit einer Riesenschlange!« Sie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch aus.

      Henri verzog das Gesicht.

      »Gaunerchen, nun guck nicht so böse. Unser Gast raucht schließlich auch!«

      Henri schwieg und bestellte eine weitere Runde.

      Es ging auf Mitternacht zu. Clara drängte zum Aufbruch. Méry Laurent schien ebenfalls müde zu werden. »Leider fahre ich morgen schon weiter. Wir haben noch einen Auftritt in Berlin. Dann geht es zurück nach Paris«, erzählte sie und sah Florence aufmerksam an. »Sind Sie manchmal in Paris?«

      Florence schüttelte den Kopf. »Ich war nur ein einziges Mal dort. Aber das ist schon lange her. Mit meinen Eltern.«

      »Dann sollten Sie wiederkommen. Hier ist meine Karte. Bitte besuchen Sie mich doch, wenn Sie einmal da sind!«

      Florence blickte auf das cremefarbene Papier. »52, Rue de Rome, Paris«, las sie und verstaute die Karte in ihrem Beutel. »Wer weiß? Vielleicht machen wir einmal eine schöne Reise nach Paris, was, Henri?«

      Henri de Meli hob langsam den Kopf. Eine Haarsträhne hatte sich gelöst und klebte an seiner Stirn.

      »Gaunerchen, was ist mit dir?« Florence sah ihn erschrocken an.

      »Nichts. Nichts. Au revoir! Es war mir ein Vergnügen«, er beugte sich zu Méry Laurent und wollte ihr einen Handkuss geben, dabei geriet er ins Schwanken.

      Schnell griff ihm Jenkins unter den Arm. »Na, das waren wohl doch ein paar Gläser zu viel, alter Junge.«

      Henri schnaufte.

      Als Florence und Henri die Treppenstufen zu ihrer Wohnung in den zweiten Stock der Lüttichaustraße 10 hinaufgingen, musste Florence ihren Mann stützen, weil er so betrunken war. Vor der Wohnungstür angekommen, suchte er nach dem Schlüssel.

      »Jetzt sei still, du weckst noch alle auf!« Florence versuchte, ihm den Schlüssel abzunehmen und selbst aufzuschließen.

      Henri stieß die Luft aus. »Ich bin der Herr im Haus. Nur weil du ein bisschen Französisch parlieren kannst, brauchst du dich hier nicht aufzuspielen! Und als Frau de Meli mit einer Dame aus der Halbwelt am Tisch zu sitzen und zu rauchen! Wenn ich das am Sonntag nach der Kirche meiner Mutter erzähle…«, sagte er mit schwerer Zunge.

      Florence schnaubte empört und wollte sich an ihm vorbeidrängen.

      »Nichts da! Du lässt gefälligst deinem Mann den Vortritt!« Er schob sie taumelnd zur Seite.

      Florence stolperte. Ihr Beutel fiel zu Boden. Die Visitenkarte aus Paris glitt heraus. Vorsichtig hob sie das Kärtchen auf. Erst jetzt bemerkte sie die kleine, zusammengerollte Schlange auf der Rückseite. Die winzigen Schlangenaugen schienen zu glühen. Florence strich über das geprägte Papier. Diese Karte würde sie aufbewahren.

      2. Zigaretten und Absinth

      Dresden, 19. Februar 1881

      Die Zigarettenspitze lag achtlos neben der Mokkatasse. Das Mundstück aus weißem Meerschaum war noch warm vom Rauch. Henri sah missbilligend auf das Utensil seiner Frau. Er verabscheute es. Dazu dieses Lachen. Es hatte etwas Aufreizendes, ja Frivoles. Zu Hause hatte er ihr das Rauchen verboten. Doch er wusste, dass Florence heimlich auf dem Balkon stand und seine Anweisungen ignorierte. Spätestens wenn sie danach in den Duft von Bitterorangen gehüllt wieder vor ihm stand, war ihm klar, dass sie geraucht hatte. Mittlerweile hasste Henri beides – die Zigaretten und das Parfüm der Pomeranzen.

      »Was machst du für ein Gesicht, mein alter Gauner? Hast du schon wieder schlechte Laune?«, fragte Florence eine Spur zu laut. Ihre Tischnachbarn – das Ehepaar Smith – hielten inne und sahen fragend zu ihnen hinüber. Florence lächelte ihnen zu.

      Henri sprach leise. »Du weißt, dass ich den Zigarettenrauch nicht vertrage. Dazu noch von einer Dame. Ich …«

      »Henri, jetzt geht das wieder los!« Sie verdrehte die Augen. »Herr Smith, sind Sie auch so streng mit Ihrer Gattin? Mein Henri lässt mir aber auch gar keine Freude. Dabei raucht er selbst Zigarren.«

      »Ach, wissen Sie, Frau de Meli, rauchende Damen sind für mich eine Modeerscheinung. Wenn es Ihnen gefällt! So ist das mit den jungen Frauen, sie tanzen uns auf der Nase herum, nicht wahr?« Er nickte Henri verständnisvoll zu.

      Henri spürte, wie sein Hemdkragen feucht wurde. Er schwitzte. Wie konnte dieser alte Smith so leutselig sein und sich auf die Seite von Florence schlagen? Er lächelte gequält.

      »Da hast du’s! Gaunerchen!« Triumphierend strich Florence ihm über seinen Bart.

      Henri musste sich beherrschen. Jetzt wollte sie ihn wohl gänzlich zum Narren machen – hier in der Gesellschaft des Amerikanischen Clubs. Zwischen all den honorigen Exil-Amerikanern, zu denen er selbst nun auch schon etliche Jahre gehörte. Manche taten furchtbar vornehm, so wie Theodore Smith und seine blasse Ehefrau, andere waren kaum zu ertragen in ihrer Kulturbeflissenheit in Dresden. Immer unterwegs zwischen Gemäldegalerie, Semperoper, Klavierabend oder Lesung. Versuchten sogar, sich auf Deutsch zu unterhalten. Lachhaft.

      Henri bestellte ein weiteres Bier und warf einen Blick auf seine Taschenuhr. Gleich war es halb elf. Vielleicht sollten sie heute einmal früher aufbrechen, überlegte er, doch im nächsten Moment, als der Kellner ein frisch gezapftes Bier vor ihm abstellte, verwarf er den Gedanken.

      »Wunderbar. Dann machen Sie mir doch bitte noch einen Absinth!«

      Der Kellner eilte mit der neuen Bestellung davon.

      »Aber, Gaunerchen, du wolltest doch keinen Absinth trinken! Das hattest du mir versprochen. Ein paar Tage einmal ohne dein grünes Gift«, sagte Florence und stupste ihn am Arm.

      Diesmal hörten es nicht nur die Smith’, auch Witwe Clarkson und ihr redseliger Begleiter, Jonathan Baker sahen plötzlich in seine Richtung. Henri spürte die Hitze. Und die Wut. Seine Frau machte ihn lächerlich. Vor allen Leuten. Sein Atem ging schwer. Er stürzte sein Bier hinunter und zischte: »Florence, bitte! Benimm


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